Bundesbank: drei Prozent Wachstum möglich
19. August 2010Nach der rasanten Konjunkturentwicklung im zweiten Quartal erwarten die Experten der Bundesbank nun für das Gesamtjahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von rund drei Prozent. Bislang waren sie für 2010 von einem Plus von 1,9 Prozent ausgegangen. "Alles in allem stellt sich die konjunkturelle Grunddynamik in Deutschland derzeit günstig dar, und die wirtschaftliche Aufwärtsbewegung dürfte sich im zweiten Halbjahr fortsetzen", schreibt die Notenbank in ihrem am Donnerstag (19.08.2010) in Frankfurt veröffentlichten Monatsbericht. Im zweiten Vierteljahr hatte die Wirtschaftsleistung verglichen mit dem Auftaktquartal um 2,2 Prozent zugelegt - so kräftig wie seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 nicht mehr.
Viele Volkswirte noch optimistischer
Die Bundesbanker sind mit ihrer neuen Schätzung optimistischer als Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), der ein Plus des BIP von über zwei Prozent für realistisch hält. Die offizielle BIP-Prognose der Bundesregierung liegt nach wie vor bei 1,4 Prozent. Allerdings gab es zuletzt Berichte, nach denen zumindest im Wirtschaftsministerium auch ein Wachstum von etwa drei Prozent angenommen wird. Viele Volkswirte sind noch optimistischer. Allerdings heißt dies nicht unbedingt, dass der Boom mit unvermindertem Tempo anhält: Das Statistische Bundesamt hat errechnet, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr selbst dann unter dem Strich um 2,8 Prozent gewachsen sein wird, wenn der Aufschwung im zweiten Halbjahr zum Stillstand kommt. Im vergangenen Jahr war das BIP in der schwersten Rezession seit Gründung der Bundesrepublik um knapp fünf Prozent geschrumpft.
Das zuletzt rasante Tempo der Erholung dürfte aber demnächst nachlassen. "Hierfür spricht, dass die Weltwirtschaft in der zweiten Jahreshälfte voraussichtlich auf einen moderateren Expansionspfad einschwenkt", schreiben die Bundesbanker. Das kräftige Export-Plus, das stark zur Frühjahrsbelebung beigetragen hatte, werde in den kommenden Monaten nicht mehr so deutlich ausfallen. "Demgegenüber dürfte aber die gewerbliche Investitionstätigkeit eine größere Eigendynamik entfalten" - nicht zuletzt dank neuer Zuversicht in den Firmen. Diese dürften wohl auch keine Schwierigkeiten haben, von den Banken genug Geld für neue Maschinen und Anlagen zu bekommen. "Weder Umfragen unter Banken noch bei Unternehmen geben Hinweise auf eine bestehende oder drohende Kreditklemme in Deutschland." Dank der Wende am Arbeitsmarkt könne auch der Konsum - zuletzt meist die Achillesferse der deutschen Wirtschaft - einen Beitrag zum Aufschwung leisten.
Positive Auswirkungen auch auf Etatdefizit
Angesichts der konjunkturellen Aufholjagd dürfte nach Meinung der Bundesbank auch der Staatshaushalt in nächster Zeit besser aussehen als bislang erwartet. Die Notenbanker rechnen in diesem Jahr mit einer Defizitquote von "merklich unter fünf Prozent" und im kommenden Jahr von vier Prozent. Im Vergleich zu dem für 2009 zu Buche stehenden Defizit von 3,1 Prozent ist das jedoch immer noch ein deutlicher Anstieg. Deutschland dürfte es also noch mindestens zwei Jahre lang nicht gelingen, die Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts einzuhalten. 2012 könne die Bundesrepublik aber die Defizitgrenze von drei Prozent des BIP wieder unterschreiten, meint die Bundesbank. Voraussetzungen dafür seien allerdings, dass die Politik ihren Sparkurs beibehält und es auch keine Überraschungen gebe.
Beispielsweise habe die Regierung trotz der Konjunkturerholung keinen Spielraum für die kürzlich erneut von FDP-Chef Guido Westerwelle ins Gespräch gebrachten Steuersenkungen. "Es gilt jetzt, den Kardinalfehler früherer Jahre zu vermeiden, eine günstiger als erwartete Entwicklung zu einer Aufweichung der finanzpolitischen Ausrichtung zu nutzen", mahnt die Bundesbank. Stattdessen müsse die Regierung die durch teure Bankenrettungen, milliardenschwere Konjunkturpakete sowie Kreditzusagen und Hilfen für europäische Schuldenstaaten stark angegriffenen Staatsfinanzen zügig sanieren.
Autor: Stephan Stickelmann (dpa, apn, rtr, afp)
Redaktion: Naima El Moussaoui