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Bulgarien: Zukunft ohne Ärzte?

Mariya Ilcheva 11. Dezember 2015

Jedes Jahr verlassen hunderte erfahrene Ärzte Bulgarien. Viele junge Mediziner gehen schon nach dem Ende ihres Studiums ins Ausland. Schuld daran ist nicht nur die schlechte Bezahlung.

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Dr. Snezha Teneva, Kinderärztin in Asenowgrad/Bulgarien (Foto: DW/Mariya Ilcheva)
Bild: DW/M. Ilcheva

Die Kinderärztin Snezha Teneva (Foto) hätte schon vor einem Jahr in Rente gehen können. Stattdessen arbeitet sie weiterhin im Schichtdienst im Krankenhaus von Assenowgrad. "Wir sind hier nur vier Kinderärzte. Sollten nur drei bleiben, müsste die Kinderstation geschlossen werden", sagt sie. Für die bulgarische Stadt mit rund 60.000 Einwohnern und einem einzigen Krankenhaus hätte das dramatische Folgen.

Viele ihrer Kollegen seien in den letzten Jahren ausgewandert, sagt Dr. Teneva. "Eine Zeitlang habe ich auch daran gedacht. Ich habe sogar ein Angebot aus Frankreich bekommen". Doch sie lehnte ab. "Wenn ich jünger wäre, würde ich auf jeden Fall ins Ausland gehen. Jetzt ist es aber schon zu spät."

"Das Vertrauen ist verspielt"

Die bulgarische Zeitung "168 chasa" prognostiziert, dass das ärmste EU-Land Bulgarien im Jahr 2020 ohne Ärzte sein wird. Seit 2012 haben rund 2000 bulgarische Ärzte ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Außerdem wandern immer mehr junge Bulgaren direkt nach dem Ende ihres Medizinstudiums aus. Gleichzeitig arbeiten nur etwa 500 ausländische Ärzte in Bulgarien.

Heute hat das Land mit sieben Millionen Einwohnern insgesamt nur 28.000 Ärzte. Vor sieben Jahren waren es noch 35.000. Kein Wunder, dass viele bulgarische Krankenhäuser unter akutem Personalmangel leiden. Deshalb arbeiten viele ältere Mediziner wie Dr. Teneva weiter, nachdem sie das Rentenalter erreicht haben. Etwa ein Viertel der praktizierenden bulgarischen Ärzte sind älter als 60.

Dr. Shterju Bojadziev arbeitete jahrelang zusammen mit Dr. Teneva auf der Kinderstation. Heute lebt er in Cambridge. Dort verdient er als Neonatologe - als Arzt für Neugeborene - zehnmal mehr als in Assenowgrad. Doch das Gehalt war für ihn nicht der Hauptgrund auszuwandern. "In Bulgarien hat sich das Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten verschlechtert. Viele sehen die Ärzte als korrupte Personen und gierige Geschäftemacher. Das Vertrauen ist verspielt. Auch die Medien im Land haben dazu beigetragen", sagt der 46-Jährige. Bulgarische Mediziner würden oft angeschrien, sogar angegriffen von ungeduldigen Patienten, die keinen Respekt vor den Ärzten hätten, beklagt er. Das sei nicht zu ertragen.

Proteste bulgarischer Ärzte gegen niedrige Löhne (Foto: BGNES)
Proteste bulgarischer Ärzte gegen niedrige LöhneBild: BGNES

250 Euro im Monat für Assistenzärzte

Neonatologen sind in Bulgarien eine Rarität. Nach Angaben des bulgarischen Ärzteverbandes gibt es im ganzen Land zur Zeit nur 42 solcher Ärzte - und nur 28 Kinderchirurgen. Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht, denn rund 90 Prozent der jungen Mediziner wollen Umfragen zufolge direkt nach oder sogar noch vor ihrer praktischen Ausbildung auswandern.

"In Bulgarien würden sie als Assistenzärzte etwa 250 Euro monatlich verdienen. In Deutschland hingegen würden sie bei 3000 Euro oder vielleicht noch mehr anfangen", sagt Dr. Bojadziev. Der Neonatologe ist verärgert über die schlechten Arbeitsbedingungen und die mangelhafte Finanzierung bulgarischer Krankenhäuser. Viele bulgarische Ärzte seien gezwungen, nur mit einem Stethoskop zu arbeiten. Sie seien geradezu "Magier": "In Bulgarien fehlt das Geld für wichtige Untersuchungen, Behandlungen, für einfachste Medikamente und Utensilien. Oft kann den Patienten aus diesem Grund nicht geholfen werden. Wissen Sie, wie es ist, in solch einer Atmosphäre zu arbeiten?"

Die 50-jährige Gynäkologin Dr. Svetlana Molowa kann das bestätigen. Auch sie hat jahrelang im Assenowgrader Krankenhaus gearbeitet. Vor drei Jahren ist sie nach Deutschland gezogen - und hat sich damit einen Kindheitstraum erfüllt: "Ich wollte schon immer in Deutschland leben. Hier herrscht Ruhe, Sicherheit, Ordnung."

"In Bulgarien nur noch Urlaub machen"

Dr. Molowa wohnt in Nürnberg - in ihren eigenen vier Wänden. "Ich arbeite seit drei Jahren in Deutschland. In dieser Zeit konnten wir uns ein neues Auto kaufen und einen Kredit für eine schöne Wohnung mitten in der Stadt aufnehmen. In Bulgarien wäre das unmöglich", erzählt sie. Sie habe in ihrer Heimat sowohl im staatlichen Krankenhaus als auch in ihrer privaten Praxis gearbeitet. Ihr Mann habe an der Plowdiwer Universität Informatik unterrichtet. "Das Geld war aber trotzdem ständig knapp. Sogar für die Hochzeit unseres Sohnes mussten wir einen Kredit aufnehmen", erinnert sie sich. Heute verdient Dr. Molowa 70 Euro pro Stunde.

Die bulgarische Frauenärztin Svetlana Molowa (Foto: privat)
Die bulgarische Frauenärztin Svetlana Molowa hat sich für ein Leben in Deutschland entschiedenBild: privat

Auch sie klagt über die schlechten Arbeitsbedingungen in Bulgarien. Dort fehle es vor allem an Geld, medizinischen Geräten und Weiterbildungsmöglichkeiten. "In dieser kurzen Zeit in Deutschland konnte ich viel mehr Seminare und Weiterbildungen besuchen als in insgesamt 22 Jahren in Bulgarien." Ob sie vorhat, irgendwann in ihre Heimat zurückzukehren? "Ich möchte bis zum Ende meines Lebens hierbleiben. In Bulgarien würde ich nur Urlaub machen", sagt Dr. Molowa.

"Seit Jahren nicht mehr richtig geschlafen"

Zurück im Krankenhaus in der südbulgarischen Stadt Assenowgrad: Dr. Teneva untersucht gerade einen kleinen Patienten, viele weitere warten schon im Flur. Die Kinderärztin ist müde. Neben der Stelle im Krankenhaus arbeitet sie auch in ihrer eigenen Praxis. Seit Monaten hatte sie kaum mehr freie Tage. Und richtig geschlafen habe sie seit Jahren nicht mehr: "Man gewöhnt sich irgendwann daran", sagt sie.

Vielleicht wird Dr. Teneva aber bald in Rente gehen können. Vor einigen Wochen hat sie erfahren, dass zwei junge Kollegen auf ihrer Station als Assistenzärzte anfangen. "Auch sie werden aber wahrscheinlich nach ihrer Ausbildung ins Ausland gehen, wie fast alle anderen jungen bulgarischen Mediziner", befürchtet die Kinderärztin. Eine dramatische Entwicklung, die den Menschen in Bulgarien große Sorgen bereitet.