1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Brüssel, nicht Babylon

sam12. Dezember 2002

Die EU-Osterweiterung lenkt einmal mehr das Augenmerk auf eines der grundsätzlichsten Probleme der Union: das der Sprachen. Um Brüssel nicht zu Babylon werden zu lassen, gibt es ganze Heerscharen von Dolmetschern.

https://p.dw.com/p/2z0E
Eldorado für Übersetzer

Auf dem EU-Gipfel vom 12.-14. Dezember in Kopenhagen werden sich die zehn Beitrittskandidaten dem Aufnahmegremium stellen. Langfristig hoffen dabei alle auf Gewinn – und eine Berufsgruppe steht schon jetzt als Gewinner fest. Berufsübersetzer und Dolmetscher dürfen sich die Hände reiben, denn in der Europäischen Union werden sie nun verstärkt gebraucht.

20 Sprachen, 460 Kombinationen

Bisher wurden in Brüssel und Straßburg im Durchschnitt zwischen 700 und 800 Übersetzer benötigt, damit sich die Abgeordneten in den elf offiziellen EU-Sprachen verständigen konnten. Ab dem 1. Januar 2004 werden nun Zypern, Tschechien, Slowenien, die Slowakei, Polen, Lettland, Litauen, Ungarn, Estland und Malta neu zur EU gehören. Neun Amtssprachen kommen somit zu den elf bisherigen hinzu – was immerhin 460 Übersetzungs-Kombinationen ergibt. Und für jede neue EU-Sprache wird ein Pool mit jeweils 120 bis 130 Übersetzern gebraucht.

Schon jetzt beträgt das Jahresbudget der EU für Übersetzungen stolze 700 Millionen Euro - das sind mithin zwei Euro pro EU-Einwohner. Die zehn neuen Sprachen der Beitrittskandidaten würden Mehrkosten von 10 Cent pro Einwohner verursachen, so Ian Andersen im Gespräch mit DW-WORLD. Andersen ist Sprecher des gemeinsamen Dolmetscher- und Konferenzdienstes der EU - des "Joint Interpreting and Conference Service" (JICS).

Von Estnisch zu Ungarisch und zurück

Jeder dritte Mitarbeiter der EU ist im Sektor Sprachen tätig. Dies mag manchem als Beleg für die monströse Brüsseler Bürokratie gelten, doch es gehört eben zu den ehernen politischen Grundsätzen der EU, dass jede Sprache gleichberechtigt zu sein hat – zumindest im Prinzip. "Es kann vorkommen, dass man ein Meeting hat, auf dem in Französisch, Deutsch, Ungarisch, Estnisch und Polnisch verhandelt wird," erklärt Andersen. Häufig allerdings würden die realen Bedürfnisse mehr als die politischen Vorgaben zählen, so Andersen.

Um Kosten zu sparen, einigt man sich bei manchen Sitzungen auf einige wenige oder eine gemeinsame Sprache. Das geschieht je nach Wichtigkeit der Beratungen und dem beabsichtigten Zielpublikum. Zudem müssen alle offiziellen EU-Vertreter eine der drei EU-Hauptsprachen sprechen – also Englisch, Französisch oder Deutsch. Deshalb gibt es auch manche Unterlagen nur in diesen drei Sprachen. Trotzdem müssen Sprachspezialisten bei vielen Meetings – zum Beispiel von Abgeordneten des Europäischen Parlaments – helfend zur Seite stehen.

Auf heiklem Parkett

Seit 1990 sorgt sich der JICS um die Ausbildung der Übersetzer in den potentiellen neuen Mitgliedsländern, inklusive Bulgarien, Rumänien und Albanien. Die Kriterien sind streng – man möchte schließlich auf heiklem diplomatischen Parkett keine Komplikationen durch schlampige Übersetzungen bekommen. Besonders schwierig war die Rekrutierung von geeigneten Kandidaten in den Baltenrepubliken Estland, Lettland und Litauen, da es in diesen Ländern keine Ausbildungstradition gab. In Kopenhagen wurde deshalb ein spezielles Büro eingerichtet.

Andersen ist zuversichtlich, dass es bei der ersten Sitzung nach der EU-Erweiterung genügend qualifizierte Übersetzer der Baltensprachen geben wird. Eine Qualifikation, die sich auszahlt: Die EU lockt Dolmetscher mit einem Einstiegsgehalt von 3000 Euro, maximal 14.000 Euro sind pro Monat zu verdienen. Sprachen lernen lohnt sich!