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Brutale Bilder

Tanja V. Selmer2. April 2004

Bei einem Gewaltexzess in Falludscha haben Iraker vier US-Bürger hingerichtet - begleitet vom johlenden Mob. Die Bilder wurden teilweise als 'bedenkliches Material' eingestuft. Wieviel Grauen ist den Menschen zumutbar?

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"Entsetzlich und verabscheuungswürdig" seien die brutalen Angriffe auf die amerikanischen Zivilisten, so der Sprecher des Weiβen Hauses, Scott McClellan. Gleichzeitig drängte er die anwesenden Journalisten, doch bitte verantwortungsbewusst mit den Bildern der Gräueltaten umzugehen. Ein Appell, dem die US-Medien äuβerst bereitwillig Folge leisteten.

Bereits nach dem 11. September 2001 hatten sich die sonst quotensüchtigen Networks schnell zu einem dezenten Verhalten entschlossen. Die meisten verschonten ihr Publikum vor allzu schmerzvollen Bildern - wie die von den Menschen, die sich das World Trade Center herabstürzten. Spätestens nach ersten Diskussionen über die Ethik, solche Bilder zu zeigen, liefen sie bei keinem Sender mehr über den Bildschirm.

US-Fernsehsender üben sich in Zurückhaltung

Im Fall Falludscha waren solche Diskussionen gar nicht erst notwendig. Die Bilder, die APTN zur Verfügung stellte, versetzten das US-Fernsehen offenbar erst einmal in einen lähmenden Schockzustand. Denn gezeigt wurde von den Gewaltakten zunächst – nichts. Stattdessen liefen die Bilder über die Rettung einer entführten College-Studentin stundenlang den Bildschirm rauf und runter.

Erst gegen Abend entschlossen sich die Nachrichtenstationen die Berichterstattung über das Blutbad auch bildlich auszuweiten. Aber auch jetzt blieben sie vorsichtig, beschränkten sich zumeist auf Szenen mit zwei brennenden Autos. Die meisten Aufnahmen seien zu grausig, um gezeigt zu werden, so CNN. Auch bei Fox News waren keine schockierenden Aufnahmen zu sehen, genau so wie bei NBC wurde der Horror der Ereignisse nur in Worten übermittelt.

Lediglich ABC und CBS wagten sich weiter vor und zeigten kurz Bilder von einer Leiche, die an einem Brückenpfeiler baumelte. Allerdings waren die Aufnahmen verzerrt und unkenntlich gemacht. Zusätzlich sprachen die Moderatoren Warnungen aus. Die Aufnahmen seien widerwärtig, das entspreche aber der Realität des Krieges.

Mogadischu-Widerhall

Einig sind sich die Kommentatoren und Analysten in der Parallele, die sie ziehen: Mogadischu.

Vor gut zehn Jahren schockierten Bilder aus Somalia die amerikanische Nation. 1993 wurden 18 US-Marineinfanteristen von einem wütenden Mob in Mogadischu ermordet. Im Fernsehen waren immer wieder Szenen zu sehen, wie die Leichen durch die Straβen geschleift wurden. Die Angriffe führten schlieβlich dazu, dass die Stimmung kippte und Präsident Bill Clinton die US-Truppen aus dem Bürgerkriegsland zurückzog.

Im Irak klettert die Zahl der amerikanischen Todesopfer wöchentlich, rund 600 sind seit Beginn des Krieges umgekommen. Eine Zahl, die die amerikanische Öffentlichkeit sehr genau beobachtet. Je höher sie steigt, umso gröβer die Gefahr, dass die Stimmung auch hier kippt. Bilder von einer brutalen Barbarei, wie von der am Mittwoch, könnten den Trend tatsächlich verstärken, wie Kenneth Pollack von der Washingtoner Denkfabrik ‚Brookings Institution’ betont: „Ohne Frage werden die Leute hierzulande fragen: Was genau machen wir da drüben eigentlich? Warum müssen wir uns solche Hinrichtungen ansehen?“

Falludscha ist nicht Mogadischu

Doch „Falludscha ist nicht Mogadischu“, versucht CNN-Moderator Aaron Brown die Zuschauer zu beruhigen. Eine Haltung scheinbar ganz auf der Linie der US-Regierung. Diese gibt Durchhalteparolen aus, sie werde sich durch die Angriffe nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Im Gegenteil, die Regierung sinnt auf Rache. Der US-Zivilverwalter im Irak, Paul Bremer und der US-Militärsprecher in Bagdad, Mark Kimmit, überbieten sich geradezu in Aussagen darüber, dass sie die Taten sühnen wollen und die Täter bestrafen.

Als Täter verstehen sie dabei nicht nur die Mörder, sondern vor allem auch den Mob, der die Leichen anschlieβend schändete. Einig sind sich Regierung und Militär auch darin, dass die Gewaltakte entsetzlich sind aber nichts daran ändern, dass der Irak insgesamt auf dem Weg der Demokratie sei und die USA stetig Fortschritte machten. Die Zivilisten seien somit für das gröβere Ganze gestorben. Von Gedanken über einen Rückzug wie damals aus Mogadischu keine Spur. Im Gegenteil.

Es steht viel auf dem Spiel

In der Tat, Falludscha ist nicht Mogadischu. Für die USA steht in Irak weit mehr auf dem Spiel. Ein Rückzug der Amerikaner könnte das Land in einen Bürgerkrieg stürzen und schlieβlich zu einem neuen Zufluchtsort für Terroristen werden. Was die Wirkung der Bluttat und deren Bilder auf die Öffentlichkeit angeht, gilt auch hier, Falludscha ist nicht Mogadischu. In Mogadischu sind in einer einzigen Nacht so viele Amerikaner umgekommen wie bis dahin während des gesamten Einsatzes. Im Irak sind bereits fast 600 US-Tote zu beklagen.

Und obwohl die steigende Zahl von Toten die amerikanische Öffentlichkeit beunruhigt, die anhaltende Serie von Anschlägen hat gleichzeitig einen betäubenden Effekt auf die Aufmerksamkeit. Die Menschen in den USA sind auf Schreckensmeldungen vorbereitet, wie es Michael O’Hanlon vom Brookings Institution formuliert: „Sicher, die Überfälle waren besonders abscheulich, doch unser Land ist mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem unsere Nerven für solche Meldungen gestärkt sind.“