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Brot und Spiele für das ungarische Volk

8. Januar 2002

- Statusgesetz und Bündnis mit Zigeunern gefährden Fidesz-Wahlsieg – Schaffung von sicheren Arbeitsplätzen bleibt wichtiges Problem

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Budapest, 8.1.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Zoltan Lovas

Das neue Jahr hat so begonnen, wie das alte endete: im Wahlkampffieber. Jedes Detail, jede Randnotiz wird danach bewertet, was welcher Partei nützt und schadet. Zurzeit sind diese Themen die ungarisch-rumänische Einigung im Streit um das Statusgesetz, das Kokettieren des Fidesz (Bund Junger Demokraten- MD) mit Zigeuner-Repräsentanten und Preissteigerungen zum Jahreswechsel.

"Panem et Circenses", Brot und Spiele, lautete das politische Losungswort der römischen Kaiser, das bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Ihm folgt auch der Fidesz - zumal die Zirkusspiele nun bereits seit Jahren andauern. Etwa in Form von Tausenden von Feuerwerksraketen, die die Regierungspartei bei Massenveranstaltungen aufsteigen lässt, wie bei den Millenniumsfeiern oder jetzt zu Silvester in mehreren Städten. Dass diese größtenteils Fidesz-Hochburgen sind, ist kein Wunder, und das Volk bedankt sich in der Regel mit Kreuzchen auf dem Stimmzettel und friedlichem Verhalten.

Was allerdings das Brot betrifft, so funktioniert das antike Erfolgsrezept heute nicht mehr so sehr. Brot ist günstig und reichlich vorhanden, und das alleine garantiert noch keine Massenunterstützung. Das Volk will mehr, etwa sichere Arbeitsplätze - und genau hier hat die Regierung bei der heimischen Bevölkerung gerade ihren Kredit verspielt, indem sie den rumänischen Arbeitnehmern dieses "Brot" zugespielt hat. Anders lässt sich die ungarisch-rumänische Einigung im Streit um das Statusgesetz kaum verstehen, nach der nicht nur die in Rumänien lebenden Ungarn, sondern jeder Staatsbürger des Nachbarlands die Vorzüge der seit vergangener Woche gültigen Regelung in Anspruch nehmen kann.

Alle erwachsenen Rumänen, sprich 15 Millionen Menschen, dürfen drei Monate lang ohne größere bürokratische Prozeduren in Ungarn arbeiten. Und diese Frist ist zudem verlängerbar. Diese Entscheidung könnte sich für Regierungschef Viktor Orban als schwerwiegendes außen- und innenpolitisches Eigentor erweisen. Ihm war eine schnelle Einigung mit Bukarest wichtiger als alles andere, obwohl die Folgen schon vor Weihnachten vorhersehbar waren.

Der Kompromiss war außenpolitisch ein Signal an ganz Europa, in erster Linie aber an die Nachbarstaaten, dass das Orban-Kabinett erfolgreich unter Druck gesetzt und zu einem ungünstigen Kompromiss gezwungen werden kann. Es nimmt nicht Wunder, dass inzwischen Bratislava angekündigt hat, dass man in der Slowakei auf einen ähnlichen Vertrag hoffe.

Es gehört auch nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, dass auch bald Kiew und Belgrad an die Tür klopfen, um die entsprechenden Vorteile herauszuschlagen. Dann wäre es völlig legal, wenn fast 80 Millionen Arbeitnehmer auf den ungarischen Markt strömen würden. Es ist zwar mehr als fraglich, dass dieser Fall eintreffen wird, aber die prinzipielle Möglichkeit besteht. Keine Überraschung ist es da, dass es Proteste hagelte: von den ungarischen Bewohnern in den Grenzregionen zu Rumänien, von den Gewerkschaften und der größten Oppositionspartei, der MSZP (Ungarische Sozialistische Partei- MD).

Und dabei benötigen die Bewohner Ungarns selbst mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze, zumal der Jahreswechsel eine Reihe von Preissteigerungen mit sich gebracht hat. So sind unter anderem Tabakwaren und Spirituosen teurer geworden, Produkte, auf die ihre Käufer nicht verzichten. Es ist sogar realistisch, dass diese Preissteigerungen auch eine höhere Inflationsrate zur Folge haben könnten.

Brot selbst müsste man eher den 600.000 bis 800.000 ungarischen Roma geben, die am steigenden Wohlstand am wenigsten teilhaben. Stattdessen hat die Fidesz-Führung lieber einen Wahlpakt mit einem Zigeunerführer geschlossen, dessen Vergangenheit und Charakter als zweifelhaft gelten. Die Auswirkungen dieses Vertrags sind nicht zu unterschätzen. Die im Elend lebenden Roma hegen keine großen Sympathien für ihre Anführer und attackieren diese seit einigen Wochen geradeheraus. Nach Aussage der Meinungsforscher werden im April die Zigeuner zum ersten Mal in großer Zahl zur Wahlurne gehen. Pakt hin oder her, ihre mehreren 100.000 Stimmen werden sie wahrscheinlich nicht der jetzigen konservativen Mehrheit geben.

Im übrigen ist Brot seit dem 1. Januar um zehn bis 15 Prozent teurer. Vorläufig. Wenn im Sommer die Steuer auf Erdgas und Benzin erhöht wird, was aus wahltaktischen Gründen bisher zurückgestellt wurde, könnte Brot noch teurer werden. Und auch wenn im Gegensatz zum alten Rom mit der kostenlosen Verteilung von Brot keine Stimme mehr zu gewinnen ist, so ist diese Preiserhöhung doch eine wichtige innenpolitische Angelegenheit. Zumindest für die Ärmeren.

In diesem Punkt stehen Brot und Spiele für die einfache ungarische Bevölkerung nicht mehr im Einklang. Wenn diese die Wahl hat zwischen Brot und staatlich veranstalteten strahlenden Spielen, dann wird sie wahrscheinlich eher das Brot wählen statt des schönen Scheins. (fp)