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"Slogans sind kein Plan"

Barbara Wesel22. Juni 2016

Es war die letzte öffentliche TV-Debatte vor dem Referendum: Noch einmal durften die Verfechter von "Rausgehen" und "Drinbleiben" aufeinander einschlagen. Erhellend war das nicht. Barbara Wesel hat zugesehen.

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BBC-Brexit-Debatte (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/empics/S. Rousseau

Der Moderator

Die BBC stellt ihren altgedienten Moderator David Dimbledy vor allem bei königlichen Hochzeiten, Thronjubiläen und Staatsbegräbnissen vor die Kamera. Deshalb wohl durfte er auch eine Diskussion moderieren, die vielleicht in der Beerdigung der europäischen Idee münden könnte. Aber Dimbledy ist so betont unaufgeregt, er könnte auch den Weltuntergang auf dem Bildschirm begleiten. Trotzdem flogen bei dieser Brexit-Debatte die Fetzen. "Ich hoffe, dass wir ein paar Fragen geklärt haben", sagte Dimbledy am Ende. Dabei hatten Lügen, Halbwahrheiten, Slogans und reine Propaganda den "Nebel des Krieges" eigentlich nur noch dichter gemacht.

Boris ist Brexit

Vor ein paar Tagen wurde in einer britischen Zeitung spekuliert, ob Boris Johnson eigentlich seine Haare färbt. Neben auffällig weißblond aber ist er vor allem der beste Verkäufer der Brexit-Botschaft. Boris kann so begeisternd über die große Zukunft der Briten außerhalb der EU reden, dass man meint, er würde selber daran glauben. Dabei will er wohl nur David Cameron stürzen und selbst Premierminister werden.

Boris Johnson, Gisela Stuart und Andrea Leadsom (Foto: Reuters)
EU-Gegner: Boris Johnson, Gisela Stuart, Andrea LeadsomBild: Reuters/S. Rousseau

"Redet doch unser Land nicht klein", beschwört er die Befürworter der EU-Mitgliedschaft, wenn die vor den wirtschaftlichen Folgen warnen. Die Zukunft von Großbritannien allein und frei werde großartig sein. Vor dem inneren Auge erscheinen grüne Wiesen und lichte Höhen. Die Wähler sollten sich doch nicht von der Angstkampagne der Regierung verrückt machen lassen. Die britische Wirtschaft werde Riesenerfolge in China und Indien haben, wenn sie endlich die Fesseln Europas los ist. Und dieser Donnerstag kann "der Unabhängigkeitstag unseres Landes" werden. Die Senderegie verpasste hier leider das Abspielen der Nationalhymne.

Die Gegenspieler

Sadiq Khan ist de neue Bürgermeister von London und ein politisches Talent. "Wenn man nur 1,65 misst, ist es schwierig über Größe zu reden", aber Größe spiele eine Rolle bei der EU als Handelsblock zum Beispiel. Selbstironie läuft bei den Briten immer gut. Khan ist schlagfertig, hantiert mit einfachen, emotionalen Botschaften und bringt seine Argumente auf den Punkt:"Wer macht hier den Leuten Angst? Diejenigen die behaupten, die Türkei werde demnächst der EU beitreten!", was eine Lüge sei. Und der Labour Politiker geht in die Attacke: "Wie könnt ihr behaupten, dass der Handel nach dem EU-Austritt leichter wird als vorher? Der Brexit ist ein Sprung ins Dunkel!"

Ruth Davidson und Sadiq Khan (Foto: AP)
EU-Befürworter: Ruth Davidson, Sadiq KhanBild: picture-alliance/AP Photo/S. Rousseau

Neben dem Londoner Bürgermeister kämpft der neue Star der schottischen Konservativen. Ruth Davidson ist so handfest, man hätte sie bei einer Kneipen-Schlägerei gern auf seiner Seite. Mit Verve haut sie den Brexit-Anhängern ihre Argumente um die Ohren: Alle Ökonomen warnten davor, bei einem Austritt werde es in Großbritannien eine Rezession geben. Aber demgegenüber hätten Boris & Co nur Sprüche zu bieten:"Slogans sind kein Plan".

Die EU ist schuld

Tory-Ministerin Andrea Leadsom und Labour-Abgeordnete Gisela Stuart treten gemeinsam als Erinnyen auf, die Europas Tod und Untergang beschwören. Ob sie mit ihren Hasstiraden eigentlich Nordkorea meinen? Die EU ist so unfähig, dass sie nicht mal ein "Curry zum Mitnehmen" beschaffen könne. Sie hat ihre historische Aufgabe überlebt, und Großbritannien solle sich nicht weiter an diesen "korrupten Organismus" ketten. 10.000 überbezahlte Bürokraten ruinierten das Leben der Bürger. Undsoweiter.

Und vor allem: Die EU zwingt den Briten ungebremste Zuwanderung auf. Die Immigranten aber sind an allem schuld. An niedrigen Löhnen, übervollen Schulen und versagenden Krankenhäusern. Das ist nicht etwa díe konservative Regierung, die seit Jahren Milliarden aus dem öffentlichen Haushalten kürzt. Außerdem gefährdeten Zuwanderer aus Europa die Sicherheit des Landes und der Kinder von Andrea Leadsom. Die Einzelheiten bleiben hier unklar.

Das düstere Gemunkel und die flammende Empörung über einen Horror namens Europäische Union aber begeistern das Publikum. Zur Halbzeit der Debatte haben die Brexit-Anhänger schon 17 Mal gefordert, das Königreich müsse endlich die "Kontrolle zurückgewinnen". Irgendwann hört man auf, weiter zu zählen. Und denkt nur noch: Dann kontrolliert mal schön.