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Ethanol: Wunderwaffe gegen Armut?

16. September 2010

Präsident Lula will ein lukratives Dreiecksgeschäft mit der EU und Afrika zur Biosprit-Produktion aufbauen. NGOs befürchten einen neuen "Agrokolonialismus" und kritisieren Sklavenarbeit auf brasilianischen Plantagen.

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Mit Ethanol gegen die Armut in Afrika?Bild: Ricardo Stuckert

Die Pläne von Brasilien, dem weltweit zweitgrößten Produzenten von Bioethanol, sind ehrgeizig. Das Land will schon seit langem die Ethanol-Produktion vorantreiben und blickt jetzt vor allem in Richtung Afrika. Mit Unterstützung der EU soll dort eine eigene Ethanol-Industrie aufgebaut werden, um den europäischen Markt zu versorgen. Brasilianische Unternehmen wittern ein großes Geschäft: Ab 2020 muss in allen EU-Ländern zehn Prozent des Treibstoffes aus Erneuerbaren Energien gewonnen werden. Rund sechs bis neun Prozent, so die Schätzung von Experten, dürften dabei aus Biosprit stammen.

Auf dem EU-Markt gibt es dann einen Bedarf von 14 bis 18 Milliarden Liter Ethanol pro Jahr, schätzt der brasilianische Verband der Zuckerindustrie, Unica. Derzeit beträgt der Konsum 4,3 Milliarden Liter pro Jahr. "Das wäre eine Verdreifachung des jetzigen Bedarfs. Natürlich erwarten wir, dass brasilianischer Biotreibstoff dabei einen hohen Anteil hat", sagt Geraldine Kutas von Unica. Europa ist nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Markt für Ethanol, mit steigender Tendenz. Kutas verweist darauf, dass bis auf das brasilianische Ethanol in Europa kein Biotreibstoff wirtschaftlich ist. Die Energiebilanz von Ethanol aus Zuckerrohr sei beispielsweise sieben Mal so hoch wie die aus Mais oder Soja.

Lula will mit Zuckerrohr Armut bekämpfen

Brasiliens Präsident Lula und sein Kenianischer Amtskollege Mwai Kibaki in Nairobi
Auf gute Zusammenarbeit - Lula und Mwai Kibaki in NairobiBild: Ricardo Stuckert

Eingefädelt hat diese Dreieckszusammenarbeit Brasiliens scheidender Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. "In 20 Jahren wird Brasilien das Saudi-Arabien des Biotreibstoffes sein", verkündet er stolz. Zuckerrohr sei der Schlüssel zur weltweiten Bekämpfung von Armut und Hunger. Auf seinen jüngsten Afrika-Reisen steckte Lula da Silva das Terrain ab und schloss mit Mosambik und Kenia Verträge über die Lieferung von Technologie und Know-how zum Aufbau einer eigenen Ethanol-Produktion.

Er sieht nur Vorteile: Die afrikanischen Länder könnten sich so neue Devisenquellen erschließen und auch kleinen Produzenten ermöglichen, ihr Einkommen aufzubessern. Und die Europäer hätten die Garantie auf billiges Ethanol, das nach sozialen Standards und zertifizierten Umweltkriterien produziert wird. Besonders lukrativ ist, dass Brasilien bei der Produktion in Mosambik als ehemalige portugiesische Kolonie die hohen Einfuhrzölle umgehen kann. Transportkosten und Importzölle erhöhen derzeit die Kosten um rund 20 Prozent.

Neuer "Agrokolonialismus"?

Doch Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sehen die Realität anders und schlagen Alarm. "Friends of Earth" prangert die Vertreibung von Kleinbauern in Mosambik an und spricht von einem neuen Agrokolonialismus. Investoren hätten schon Rechte für fünf Millionen Hektar Land in Mosambik erworben, ohne die Menschenrechte zu berücksichtigen, erklärt die Nichtregierungsorganisation. Angesichts des Hungers in dem Land sei dies eine "perverse Situation". Außerdem profitierten nur die großen multinationalen Konzerne von der Produktion und den öffentlichen Fördergeldern.

Zuckerrohr (Foto: AP)
Zuckerrohr - Wunderwaffe gegen Armut?Bild: CC / Rufino Uribe

Auch in Brüssel sieht man die ehrgeizigen brasilianischen Pläne noch mit Zurückhaltung. Man will die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Ländern wie Kenia oder Angola abwarten und knüpft dies vor allem an die Abhaltung von freien Wahlen.

Moderne Sklavenarbeit

Doch auch in Brasilien werden Jahr für Jahr die Menschenrechte bei der Zuckerrohrproduktion verletzt. Mehr als 4000 Arbeiter wurden nach Angaben der katholischen Kirche im vergangenen Jahr befreit, weil sie unter Bedingungen moderner Sklaverei arbeiteten. Bis Ende August dieses Jahres waren es etwa 2900. "Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher", sagt Xavier Plassant von der kirchlichen Organisation "Commisão Pastoral da Terra" (CPT). Oftmals existiere ein System der Schuldknechtschaft wie im 18. Jahrhundert. Die Wanderarbeiter müssten horrende Preise für ihre Unterkunft und Essen bezahlen. Sie wohnten isoliert in Baracken, weit weg von der nächsten Ortschaft, erzählt Plassant. Das Arbeitspensum sei immens und mit jedem Jahr wachse der Druck auf die Wanderarbeiter, die meist aus dem armen Nordosten Brasiliens sind. So musste 1995 ein "canavieiro", wie die Arbeiter auf den Plantagen genannt werden, fünf Tonnen Zuckerrohr pro Tag schneiden. Jetzt werden bis zu 18 Tonnen verlangt, sagte der französische Geistliche. "Formal sind sie keine Gefangenen, aber in der Realität ja."

"Nur ein Tropfen auf den heißen Stein"

Arbeiter bei der Zuckerrohrernte im Bundestaat São Paulo Brasilien (Foto: k.A.)
NGOs prangern Sklavenarbeit auf Plantagen anBild: PTR15

Seit 2004 führt das brasilianische Arbeitsministerium regelmäßig Kontrollen durch, aber diese reichen nicht aus. Rund 300 Mal im Jahr rücken die staatlichen Kontrolleure aus, meist, nachdem Anzeigen eingegangen seien. "Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Plassant. Auf einer so genannten "schmutzigen Liste", in der die Verstöße geahndet werden, befinden sich auch prominente Unternehmen wie der größte Zuckerrohrproduzent Brasiliens, Cosan. Nach einem gerichtlichen Verfahren wurde die Raffinerie von der Liste gestrichen, aber nur vorläufig. Kritik an schlechten Arbeitsbedingungen werde von der Regierung Lula negiert und erstickt, kritisiert Plassant.

"Ja, leider existiert Sklavenarbeit", sagt auch Kutas. "Aber wir bei Unica wissen, dass dies keine übliche Praxis ist." Europa hält sie vor, viele Vorurteile gegen die Zuckerrohrproduzenten in Brasilien zu haben. Weniger als ein Prozent der Unternehmen würden wegen arbeitsrechtlicher Verstöße angezeigt, sagte sie. Und Kutas legt Wert darauf, dass kein Zuckerrohr im Amazonasgebiet angebaut wird. "Dort sind die klimatischen Bedingungen ungünstig. Es regnet zu viel", sagt sie. Außerdem seien die langen Transportwege von rund 2500 Kilometern ökonomisch sinnlos.

Autorin: Susann Kreutzmann
Redaktion. Anne Herrberg