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Killen für die Quote

13. August 2009

Stellen Sie sich vor, Eduard Zimmermann hätte seinerzeit die Mordfälle für Aktenzeichen XY selbst in Auftrag gegeben, um die Quote zu erhöhen. In Brasilien wird dem Moderator einer Polizei-Serie genau das vorgeworfen.

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TV-Moderator Wallace Souza bei einer Pressekonferenz, Foto: ap
Wallace Souza wehrt sich gegen die Vorwürfe bei einer PressekonferenzBild: AP

Der brasilianische Zimmermann heißt Wallace Souza, ist Regionalabgeordneter im Bundesstaat Amazonas, ehemaliger Polizist und Moderator der Crime-Show "Canal Livre", deren Team bei Mordfällen meist auf wundersame Weise vor der Polizei am Tatort eintraf, um dramatische Aufnahmen der Opfer zu bekommen.

Geld und Waffen, die im Haus von Wallace Souza beschlagnahmt wurden, Foto: ap
Geld und Waffen, die im Haus von Wallace Souza beschlagnahmt wurdenBild: AP

Kein Zufall, wie jetzt die brasilianische Polizei vermutet. Sie verdächtigt den 50-Jährigen, mindestens fünf Morde in Auftrag gegeben zu haben, um die Quote seiner Sendung zu steigern, die von ihm angeprangerte Welle von Gewaltverbrechen zu belegen - und um konkurrierende Drogenhändler auszuschalten.

Lange Liste der Anschuldigungen

Grundlage der Anschuldigungen sind Zeugenaussagen eines festgenommen Ex-Polizisten, der den Ermittlern Details und Namen nannte sowie die Pläne für die Morde schilderte. Der Zeuge sagte, oft seien die Kamerateams schon vor dem Verbrechen am Tatort gewesen, weil Souza die Morde in Auftrag gegeben habe. Die Filmaufnahmen wurden dann in dem Polizeiprogramm "Canal Livre" gezeigt, das über Verbrechen in der Region berichtete. "Die Ermittlungen zeigen, dass Souza Verbrechen in Auftrag gegeben hat, um so Material für seine Show zu gewinnen", so Thomaz Augusto Vasconcelos von der Behörde für öffentliche Sicherheit in Amazonas.

Die Liste der Anschuldigungen ist aber länger: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn auch wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Drogenhandels, Zeugenbestechung und illegalen Waffenbesitzes. Wegen seiner Immunität als Abgeordneter ist Souza noch auf freiem Fuß. Weitere 15 Personen wurden jedoch festgenommen, darunter auch Souzas Sohn, Mitglieder der Militär-Geheimpolizei und weitere Polizeibeamte.

Konkurrenz ausgeschaltet

Souza weist alle Vorwürfe als "vollkommen absurd" zurück. Er und sein Sohn würden von politischen Gegnern und von Drogenbossen hereingelegt, die seine unermüdliche Kriminalberichterstattung und seine Nachforschungen als Abgeordneter leid seien. "Ich war derjenige, der parlamentarische Untersuchungen des organisierten Verbrechens, des Strafvollzugs, von Korruption, Drogenhandel durch Polizisten und Pädophilie in die Wege geleitet hat", sagte er in einem Interview. Seine Leute seien so schnell am Tatort, weil sie gute Quellen hätten und den Polizeifunk abhörten. Souzas Anwalt erklärte, es gebe keinerlei Beweis für die Anschuldigungen. Einziger Zeuge sei ein des neunfachen Mordes angeklagter Polizist, der auf Milde hoffe.

Favelas im Süden von São Paulo, Foto: dpa
Allein im Bundesstaat São Paulo werden pro Jahr etwa 12.000 Menschen ermordet.Bild: dpa

Vasconcelos dagegen beruft sich auf Aussagen ehemaliger Mitarbeiter und Wachleute, die mit den Souzas in die Drogengeschäfte einer Bande von Expolizisten verwickelt sein sollen. "Wir glauben, dass sie eine Art Todesschwadron organisiert haben, um Rivalen im Drogengeschäft aus dem Weg zu räumen", bekräftigt er. Souza habe so die Konkurrenz ausgeschaltet und zugleich eine Story für seine Sendung gehabt.

"Wie gegrillt"

Souza ist einer der bekanntesten TV-Moderatoren im Staat Amazonas und zudem der Abgeordnete, der bei der letzten Regionalwahl die meisten Stimmen erhielt. Vor seiner Medienkarriere war er als Polizist wegen Betrügereien gefeuert worden, wie Vasconcelos sagte. Nach eigener Darstellung hatte Souza den Polizeidienst 1987 aufgrund falscher Anschuldigungen quittieren müssen. Zwei Jahre später startete er bei einem Privatsender in Manaus den "Canal Livre", der bei den 1,7 Millionen Bürgern der Stadt äußerst beliebt wurde. Den TV-Ruhm nutzte er zugleich für eine politische Karriere. Als die Polizei intensiver ermittelte, wurde die Sendung voriges Jahr eingestellt.

Im Studio pflegte Souza gegen das überhandnehmende Verbrechen zu wettern und dazu oftmals exklusive Bilder von Tatorten, Festnahmen und Drogenfunden zu zeigen. In einem der Einspieler geht der Reporter auf eine verbrannte Leiche zu, hält sich das Hemd vor die

Nase und bemerkt locker: "Das riecht wie gegrillt." (ina/ap/afp/dpa)