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"Brasilien ist Deutschlands wichtigster Partner in Lateinamerika"

Das Interview führte Geraldo Hoffmann3. Juli 2005

Brasilien boomt - davon will Deutschland profitieren. "Wir wollen Infrastrukturprojekte in Brasilien stärker mit deutscher Technologie realisieren", sagt Michael Rogowski, Industrie-Vizepräsident, im DW-WORLD-Interview.

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Michael RogowskiBild: dpa

Vom 3. bis 5. Juli 2005 finden in Fortaleza im Nordosten Brasiliens die 23. Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage statt - die wichtigste Konferenz in den Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder. Etwa 800 Unternehmer - rund 160 aus Deutschland - nehmen am dem Treffen teil; auf der Agenda stehen Automobil- und Maschinenbau, aber auch neue Felder wie Bio- und Nanotechnologie. DW-WORLD sprach mit Dr. Michael Rogowski, dem Vizepräsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), über die Lage in Brasilien.

DW-WORLD: Wo liegen zurzeit die Stärken und Schwächen Brasiliens als Investitions- und Exportstandort?

Dr. Michael Rogowski: Zunächst sprechen die makroökonomischen Fakten für Brasilien. Das Land hat mit einem Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent im vergangenen Jahr das beste Ergebnis der letzten zehn Jahre erreicht. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt belegt Brasilien inzwischen den neunten Platz im Ranking der größten Volkswirtschaften der Welt. Mit rund 180 Millionen Konsumenten verfügt Brasilien über den größten Binnenmarkt Lateinamerikas.

Zu den Schwächen des Standortes gehören die hohen Zinsen und Steuern. Sonderfaktoren wie die Dienstleistungssteuer belasten gerade ausländi­sche Investoren in Brasilien. Auch die Bürokratie ist - ähnlich wie in Deutschland - eine erhebliche Last. Darüber hinaus wird der Export gegen­wärtig durch eine starke Aufwertung des Reals (24 Prozent gegenüber dem US-Dollar innerhalb eines Jahres) belastet.

Brasilien Landwirtschaft Baumwollernte
In der Landwirtschaft ist Brasilien weit vorneBild: dpa

Bevorzugt die brasilianische Regierung nicht zu sehr den Bereich Agrobusiness und benachteiligt dadurch andere Industriezweige?

Im Bereich Agrobusiness hat Brasilien große komparative Vorteile; darüber hinaus besitzt dieser Sektor auch eine wichtige entwicklungspolitische Komponente. Ein starkes Augenmerk richtet die brasilianische Regierung aber auch auf den Ausbau der Infra­struktur. Hier wurde Ende vergangenen Jahres ein PPP-Gesetz (public private partnership, Anm. d. Red) verabschiedet, das neue Impulse für Investitionen in die Infrastruktur geben soll. Im Bereich Energie- und Infrastruktur koordiniert der BDI eine bilaterale Initiative: Unser Ziel ist es, Infrastrukturprojekte in Brasilien stärker mit deutscher Techno­logie zu realisieren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Deutschland und Brasilien bei erneuerbaren Energien kooperieren und ob China Brasilien den Rang abläuft.

Macht die deutsche Industrie einen Fehler, indem sie momentan sehr stark in China und Osteuropa investiert und dabei Brasilien vernachlässigt?

Siemens Werk in Brasilien
Siemens produziert seit Jahrzehnten in BrasilienBild: presse

Hier geht es zum Teil um eine Entwicklung, die in Asien nachgeholt wird. Deutsche Unter­nehmen sind bereits seit Jahrzehnten in Brasilien tätig. In China haben 1.500 deutsche Unternehmen bis zum Jahr 2003 circa 7,9 Milliarden Euro investiert - in Brasilien ist es mehr als das Doppelte.

Hat die jüngste politische Krise in Brasilien (Korruptionsfälle, Rücktritt von Präsidialamtschef José Dirceu) die ausländischen Investoren verunsichert?

Es gehört zu einer funktionierenden Demokratie, dass Unregelmäßigkeiten zwar geschehen können, diese jedoch offen aufgearbeitet werden. Ich betrachte diese politische Krise als eine Chance und Ermunte­rung für die Regierung Lulas, ihren Reformkurs fortzusetzen. Hier gibt es in der Tat alte Strukturen im Bund-Länder-Verhältnis, die Investitionsprojekte bisher verzögern. An der wirtschafts- und währungspolitischen Stabilität Brasiliens zweifelt heute aber kaum ein ausländischer Investor.

Erneuerbare Energien und Emissionshandel sind auch Themen auf der Tagung in Fortaleza. Welche Kooperationsmöglichkeiten sehen Sie hier?

Rapsfeld Industrielandschaft
Biodiesel aus Raps - dem wollen Brasilien und Deutschland zusammen zum Durchbruch verhelfenBild: AP

Es gibt bereits einen regen Austausch und die Planung konkreter Projekte im Bereich Biokraftstoffe im Rahmen der Deutsch-Brasilianischen Agribusiness-Initiative. Die deutsche Automobilindustrie ist weltweit führend bei Bioethanol-Fahrzeugen. Im vergangenen Mai wurden in Brasilien erstmals mehr Flex-Fuel-Automobile verkauft als herkömmliche Benziner. Auch gibt es im Bereich des Kyoto-Protokolls interessante Mechanismen, die eine effiziente Kooperation zum Abbau von CO2-Emissionen ermöglichen. Hier braucht die Industrie aber auch eine langfristige Planungsgarantie.

Was ist Ihr Fazit zur Situation der deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen? Erwarten Sie hier große Veränderungen im Falle eines Regierungswechsels in Berlin?

Brasilien ist der wichtigste Wirtschaftspartner der deutschen Industrie in Lateinamerika. Die Produktion deutscher Unternehmen vor Ort macht ein Mehrfaches unserer Exporte von Deutschland nach Brasilien aus. Der Beitrag der deutschen Wirtschaft am brasilianischen Bruttoinlandsprodukt liegt bei circa 5 Prozent, in der Industrie sogar bei 15 Prozent.

Natürlich muss man auch sehen, dass sich die deutsche Wirtschaft bei der Privatisierungswelle in den 90er Jahren kaum beteiligt hat. Bei einer Fortsetzung des Wachstumskurses sehe ich jedoch viele interessante Möglichkeiten eines Ausbaus unserer Wirtschaftsbeziehungen. Bezüglich der politischen Rahmenbedingungen gibt es zur Zeit kleinere Rückschläge wie die Kündigung des Doppelbesteuerungsabkommens. Das bringt konkrete Nachteile für den Standort Brasilien mit sich. Insgesamt erwarte ich jedoch eine Fortsetzung der bilateralen Wirtschaftskooperation.