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Brasilien am Pranger

Fernando Caulyt (apo)28. November 2013

Ein halbes Jahr vor dem Anpfiff der WM sind erst sechs von zwölf Stadien fertig. Nach dem tödlichen Unfall in der Arena von Sao Paulo muss sich Brasilien unbequeme Fragen zur Vorbereitung des Megaevents gefallen lassen.

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Schäden am WM-Stadion "Itaquerao" (Foto: Miguel Schincariol/AFP/Getty Images)
Bild: Miguel Schincariol/AFP/Getty Images

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Nach dem tragischen Unfall im WM-Stadion "Itaquerao" in Sao Paulo am Mittwoch (27.11.2013) mehren sich in Brasilien die Zweifel, ob bis zum Beginn der Fußballweltmeisterschaft am 12. Juni 2014 wirklich alle Stadien fertig werden. Denn der Bau der WM- Arenen ist nicht nur viel teurer als ursprünglich geplant, er zieht sich auch gefährlich in die Länge.

"Wir haben fast drei Jahre wertvolle Zeit mit der Diskussion verloren, in welchen Städten die Stadien gebaut werden sollen. Dies hat die Planung beeinträchtigt", kritisiert Agostinho Guerreiro, Vorsitzender des Regionalen Ingenieursverbands aus Rio de Janeiro (CREA) im DW-Gespräch. "Der Zeitdruck verursacht viele Probleme, und eines davon sind auch Arbeitsunfälle."

Bei dem Unfall im WM-Stadion "Itaquerao" in Sao Paulo kamen zwei brasilianische Bauarbeiter ums Leben. Der Unfall ereignete sich, als ein Baukran beim Anheben eines 500 Tonnen schweren Metallgitters umstürzte. Dabei wurden große Teile der Dachkonstruktion und auch Teile der Tribüne beschädigt.

Tod im Stadion

Über die Themen Arbeitssicherheit und Verzögerungen beim Zeitplan wird auch bei der nächsten Sitzung des FIFA-Exekutivkomitees gesprochen. Die Vertreter treffen sich vom 4. bis 6. Dezember in der brasilianischen Stadt Salvador da Bahia. Neben der Gruppenauslosung der Endrunde geht es bei dem Treffen auch um den Stand der WM-Vorbereitungen.

Modell des WM Stadiums "Itaquerao" in Sao Paulo. (Foto: CDC arquitetos)
Leuchtende Zukunft: Im Modell des WM-Stadions "Itaquerao" verläuft das Eröffnungsspiel reibungslosBild: CDC arquitetos

Das Unglück im Stadion in Sao Paulo war nicht der erste tragische Unfall auf den zahlreichen WM-Baustellen. Erst im März dieses Jahres starb in der Amazonas-Arena in Manaus ein Bauarbeiter an den Folgen eines Sturzes aus fünf Metern Höhe. Im WM-Stadion "Mané Garrincha" in der Hauptstadt Brasília stürzte im Juni 2012 ein Bauarbeiter aus 30 Metern Höhe in die Tiefe.

"Es gibt bei der Arbeitssicherheit einen gewissen Grad an Flexibilität, der nicht empfehlenswert ist", meint der Ingenieur Agostinho Gueirreiro im DW-Gespräch. "Empfehlenswert wäre es, wenn auf allen Baustellen neben Bauingenieuren auch täglich Sicherheitsingenieure anwesend wären, aber dies ist nicht immer der Fall."

Das WM-Eröffnungsstadion "Itaquerao" in Sao Paulo war bereits zu 94 Prozent fertiggestellt und sollte der FIFA bis Ende des Jahres zur Abnahme übergeben werden. Doch nach dem Unfall reiht sich die Arena nun in den Klub der Sorgenkinder ein, zu dem bereits die Stadien in den brasilianischen Großstädten Curitiba, Porto Alegre, Natal, Manaus und Cuiabá gehören.

"Die Lage im Itaquerao ist kompliziert", erklärt José Roberto Bernasconi, Vorsitzender der Vereinigung für Architekten und Ingenieure aus dem Bundesstaat Sao Paulo (Sinaenco/SP). "Wir können das Ausmaß der Schäden noch nicht einschätzen und wissen deshalb nicht, wie viel Zeit für den Wiederaufbau notwendig ist."

Sorgenkind Curitiba

Erst sechs der insgesamt zwölf WM-Stadien sind komplett fertiggestellt. Zu den positiven Beispielen gehören das Maracana in Rio de Janeiro sowie die Stadien in Belo Horizonte, Fortaleza, Salvador, Recife und Brasília. Schon jetzt ist somit abzusehen, dass die von der FIFA festgelegte Übergabe der WM-Stadien am 5. Januar 2014 nicht bei allen Stadien eingehalten werden kann.

Luftaufnahme vom Fußball- Stadium Maracana in Rio de Janeiro (Foto: VANDERLEI ALMEIDA/AFP/Getty Images)
Wahrzeichen: In Rios legendärem Maracana-Stadion findet das Endspiel der WM 2014 stattBild: VANDERLEI ALMEIDA/AFP/Getty Images

Am kritischsten in die Lage in der südbrasilianischen Stadt Curitiba. Nach Angaben der FIFA ist die WM-Arena dort erst zu 75 Prozent fertiggestellt, die Baufirma gibt einen Wert von 83 Prozent an. Fest steht schon jetzt, dass beim offiziellen FIFA-Test am 26.1.2014 improvisiert werden muss.

Die Errichtung der WM-Stadien war in Brasilien von Anfang an von Problemen und Polemik überschattet. Streiks, heftige Regenfälle und Feuerschäden führten immer wieder zu Stillstand auf den Baustellen. Auch Rechtsstreits und Probleme bei der Auszahlung von Krediten der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES trugen zur Verzögerung bei.

Zeit ist Geld

Schon jetzt hat sich der Bau der WM-Stadien zu einer enormen finanziellen Belastung für die brasilianischen Steuerzahler entwickelt. Nach Angaben des Sportministeriums in Brasília summieren sich die Kosten für die Spielstätten auf mittlerweile rund 2,6 Milliarden Euro. Im Jahr 2007 waren dafür noch rund eine Milliarde Euro veranschlagt. Im Gegenzug wurden die Ausgaben für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur um umgerechnet 250 Millionen Euro zurückgefahren und liegen mittlerweile bei rund 2,2 Milliarden Euro.

Demonstration in Brasilien während des Confed-Cups: Frau hält ein Transparent in die Höhe (Foto: YASUYOSHI CHIBA/AFP/Getty Images)
Beim Confed-Cup im Juni 2013 demonstrierten in Brasilien Millionen Menschen für Schulen auf "FIFA"-NiveauBild: Y.Chiba/AFP/GettyImages

Während des Confed-Cups im Juni dieses Jahres gingen in Brasilien Millionen von Menschen auf die Straße, um gegen die Kostenexplosion im Zuge der WM-Vorbereitungen zu protestieren. Sie forderten neue Schulen und Krankenhäuser auf "FIFA-Niveau" statt teure Fußball-Paläste. Die Investitionen kämen in erster Linie den Baufirmen zu Gute und nicht der Bevölkerung, lautete die Kritik der Demonstranten.

Bis zum Anpfiff der WM am 12. Juni 2014 wird sich an dieser Entwicklung wohl nichts ändern, im Gegenteil: Schon jetzt wird in den meisten WM-Stadien, die beim Zeitplan hinterher hinken, rund um die Uhr in drei Schichten gearbeitet. Ingenieur Agostinho Guerreiro rechnet damit, dass zusätzliche Arbeitskräfte angeheuert werden müssen.

"Die Aufholjagd kostet richtig viel Geld", meint Guerreiro. Brasilien werde den Zeitplan wahrscheinlich noch einhalten können, wenn auch mehr schlecht als recht, so seine Prognose. "Doch ohne zusätzliche öffentliche Mittel geht es nicht", erklärt Guerreiro.