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Brüsseler Spekulationen

Alexander Kudascheff21. Januar 2004

Brüssel hat eine Depression, Tristesse überall. Das einzige Highlight: Spekulationen zu Personalien. Zum Beispiel über Romano Prodis Nachfolge. Wer nicht vom Personalkarussell fallen will, muss sich gut festhalten.

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Der Januar ist in Brüssel so trübe wie gewöhnlich. Die Depression hält auch die Berufseuropäer gefangen. Die Europawahl ist noch weit. Die Klage der Kommission gegen den Rat der Finanzminister - ein kurzes Wetterleuchten im Institutionenhimmel, mehr noch nicht. Die Finanzplanung der Kommission für den Haushalt ab 2006 bis 2013 - sie ist schwieriger als vermutet. Also wurde die Klausur am Wochenende erst mal verschoben - in den Februar hinein. Denn auch in Brüssel weiß man: Wer einen völlig unrealistischen Haushaltsentwurf vorlegt, der an den Wünschen der Nettozahler (also an denen, die die EU bezahlen) vorbeigeht, kann seine Koffer gleich packen.

Wankt Warschau?

So herrscht eine unübersehbare graue Tristesse, die nur durch gewagte Spekulationen aufgehellt wird: Schließt sich Spanien mit Polen zu einer neuen Achse zusammen, um der deutsch-französischen ein Gegengewicht entgegenzusetzen? Erweitert sich der deutsch-französische Motor gerade um die englische Dimension, weil sich nun nicht mehr nur Jacques Chirac und Gerhard Schröder, sondern die beiden mit Tony Blair treffen - und zwar öfters als früher? Wankt Warschau, weil es seinen harten Kurs in der Verfassungsfrage inzwischen als politisch dumm ansieht? Oder weicht es gar nicht, sondern sendet nur ein paar Nebelkerzen, um von seiner rigorosen Position abzulenken? Und werden sich Warschau und Madrid nicht in dem Moment entzweien, in dem sie sich um denselben Geldtopf der Regional- und Strukturfonds streiten? Wird der irische Ratspräsident Bertie Ahern wirklich einen Kompromiss für eine neue Verfassung vorlegen, die seinem Ruf als geschickter Vermittler hinter den Kulissen gerecht wird? Oder ist dieser Ruf gar nicht so gut?

Also spekuliert man in Brüssel schnell weiter und kommt dann unvermeidlich auf den Neujahrsempfängen zu den wirklich entscheidenden Themen, den Personalien. Denn eins ist klar: ein neuer Kommissionspräsident muss her. Romano Prodi, ebenso glück- wie erfolglos, ist schon "a lame duck" – eine lahme Ente. Aber wer wird ihn beerben? Favorit Nummer 1 (in der deutschsprachigen Gemeinde und ein bisschen darüber hinaus): Jean Claude Juncker, Luxemburgs Premier, der den unschätzbaren Vorteil besitzt: Er spricht fließend Französisch und er kennt den EU-Laden bis in den letzten Winkel.

Aznar lernt Englisch

Und sonst, wenn Juncker nicht will? Guy Verhofstaedt, Belgiens Ministerpräsident. Oder der Österreicher Wolfgang Schüssel, der Finne Paavo Lipponen, der Grieche Kostas Simitis (spricht auch Deutsch, übrigens) oder gar Spaniens Jose Maria Aznar, der freiwillig nach zwei Amtszeiten aufhört? Aznar wäre eine politische Überraschung, aber er lernt gerade Englisch, denn eigentlich will er an der Washingtoner Georgetown-Universität über transatlantische Beziehungen lehren. Und wenn er in Brüssel etwas werden will, müsste er die Zustimmung aus Paris und Berlin haben - und das erscheint eher unwahrscheinlich. Oder doch nicht?

So oder so: das Personalkarussell dreht sich bereits. Und wer nicht sofort runterfliegen will, hält sich am besten an die unausgesprochene Maxime Junckers: Ich habe einen Job. Er macht mir Spaß. Warum sollte ich ihn aufgeben? Dann kann aus ihm etwas werden.