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Boom der Call Center

Sean Sinico/chr19. Dezember 2005

Wer genervt den Telefonhörer auflegt, weil er schon wieder beim Abendessen durch einen Call-Center-Anruf gestört wurde – Achtung: Der Markt expandiert weiter. Bald werden es noch mehr Anrufe sein!

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Mehr als drei Viertel aller Call-Center-Angestellten sind FrauenBild: presse

Während der vergangenen zweieinhalb Jahre wurden 35.000 neue Arbeitsplätze in Call Centern geschaffen. Laut dem Call Center Forum arbeiten insgesamt 330.000 Menschen in Deutschlands 2800 Call Centern. Die zunehmende Bedeutung der Dienstleistungsindustrie und die steigenden Service-Erwartungen seien Gründe für dieses Wachstum, sagt Harald Weisbrod, Vize-Präsident des Forums. Er erwarte außerdem, dass im Laufe der nächsten fünf Jahre weitere 80.000 Jobs geschaffen werden.

Viel Stress

Symbolfoto Telefonüberwachung
Experten erwarten ein weiteres Wachstum der BrancheBild: dpa - Report

Die Arbeitnehmer, die diese Stellen besetzen sollen, werden es nicht einfach haben, sagt Silvia Horsch. Die Berlinerin hat dreieinhalb Jahre als Halbtagskraft gearbeitet. Sie könne sich nicht vorstellen, die Arbeit als Vollzeittätigkeit zu machen, sagt sie. "Das Telefon klingelt ständig und man muss sich sehr konzentrieren, um einerseits mit dem Computersystem zu arbeiten und andererseits die Bedürfnisse der Kunden schnell zu befriedigen", erklärt Horsch. Vier oder fünf Stunden am Tag seien in Ordnung. Danach werde es schwierig", sagt die 30-Jährige.

Es gebe einige ordentliche Call Center, aber auch eine Reihe von Call Centern, die in einer Grau-Zone arbeiteten, wenn es darum gehe, sich um die Angestellten zu kümmern, sagt Andreas Splanemann, Sprecher bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die Gewerkschaft wünscht sich für die Call-Center-Mitarbeiter einen Branchen-weiten Tarifvertrag.

Kampf gegen das Negativ-Image

Während Patrick Tapp, Vize-Präsident des Deutschen Direkt Marketing Verbands zugibt, dass es einige "schwarze Schafe" gebe, betont er auch, dass Arbeitssuchende mit guten Kommunikationsfähigkeiten einen Job bei einem anerkannten Call Center finden könnten. Schulungen, Aufstiegschancen und flexible Arbeitszeiten seien Mittel, mit denen viele Firmen versuchten, gegen das negative Image, das Call-Centern häufig anhaftet, anzukämpfen, sagt Tapp.

Nord- und Ost-Deutschland sind für Call-Center-Betreiber besonders attraktiv, weil sie hier genügend potenzielle Arbeitnehmer finden. Landesregierungen locken mit finanziellen Erleichterungen, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden und sorgen für weniger Bürokratie bei der Gründung oder Verlegung einer Firma.

Wachstum in Mecklenburg-Vorpommern

"Die Call-Center-Branche ist der am schnellsten wachsende Geschäftssektor in Mecklenburg-Vorpommern", sagte der Wirtschaftsminister des Landes, Otto Ebnet, bei einer Call-Center-Messe im November. Allein in den vergangenen zwölf Monaten seien 1000 neue Mitarbeiter von Service-Centern angestellt worden. In einer der wirtschaftlich schwächsten Regionen Deutschlands mit einer Arbeitslosenrate von über 18 Prozent hat Ebnet Grund, sich über das Wachstum bei den Call Centern zu freuen. Jetzt arbeiten in rund 70 Call Centern 7900 Mitarbeiter.

Laut den Statistiken des Call Center Forums sind 77 Prozent der Call-Center- Angestellten weiblich. 52 Prozent arbeiten Vollzeit bei einem durchschnittlichen Jahresgehalt von 28.000 Euro.

Offizieller Ausbildungsberuf

Call Center
Headset nur als ÜbergangslösungBild: dpa

Leute zu finden, die für die Tätigkeit qualifiziert seien, sei "schwierig bis sehr schwierig", sagt Weisbrod. Im August 2006 wird ein offizielles Ausbildungsprogramm "Kaufmann für Dialog-Marketing" eingeführt, um die Zahl der kompetenten Arbeitsuchenden zu vergrößern.

Dabei scheint es so, als ob die Jobs in Call Centern nicht wirklich beliebt sind. Für viele ist das Headset nur eine Übergangslösung. Niemand bleibt lange. Ein Phänomen, das Silvia Horsch bestätig: "Ich habe dreieinhalb Jahre in einem Call Center gearbeitet und als ich ging, war niemand von den Leuten, mit denen ich angefangen hatte noch da", sagt sie. Sie habe mit 50 weiteren Mitarbeitern in einer Etage gearbeitet. "Die Leute sind geblieben, bis sie was Besseres gefunden haben und dann sind sie gegangen."