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Retro: Bonner Bundesbüdchen ist wieder da

21. August 2020

Gemütlich und bescheiden - so war die Bonner Republik. Jetzt macht der kleine Verkaufspavillon im früheren Regierungsviertel, Symbol der Bonner Republik, wieder auf.

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Deutschlands berühmtester Kiosk aus Bonner Republik am Kranhaken
Das Bundesbüdchen, berühmt aus der Bonner Republik, kehrt zurückBild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Joschka Fischer hat bei ihm morgens seine Zeitungen gekauft - 16 Stück, von "Bild" bis "FAZ". Irgendwann wollte er plötzlich auch "Fit for Fun" haben, das war, als er mit dem Joggen begann. "Aber am wichtigsten war ihm der neueste Asterix-Band", erinnert sich Jürgen Rausch im DW-Gespräch, "das brauchte er wohl zum Entspannen". Rausch betrieb das sogenannte Bundesbüdchen zwischen Kanzleramt und Bundestag in Bonn. "Alle kamen sie zu mir: Vom Stadtstreicher bis zum Bundeskanzler."

Zeitungskiosk im ehemaligen Bonner Regierungsviertel
Zwischen Bundestag und Kanzleramt - der Zeitungskiosk im Bonner RegierungsviertelBild: picture-alliance/dpa

Bonn war damals das Zentrum der Macht. Rauschs Büdchen, geformt wie ein überdimensionierter Nierentisch, war Treffpunkt und Nachrichtenumschlagplatz. Jedenfalls bis 1999, da ging die Bonner Republik zur Neige. Regierung und Bundestag zogen nach Berlin. Das Büdchen geriet in die Mühlen der Geschichte. Für 14 Jahre verschwand es aus dem ehemaligen Regierungsviertel. An diesem Freitag (21.08.2020) öffnete es endlich wieder seine Pforten.

Bonns Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan
Bonns Oberbürgermeister Ashok-Alexander SridharanBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Bonns Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan, in den 1990er Jahren selbst einmal Rauschs Kunde, als er im Justiziariat der CDU/CSU-Bundestagsfraktion arbeitete, freut sich: "Das Büdchen steht dafür, dass die große Politik menschlich und nahbar sein kann und auch sein muss."

Seine Entstehung verdankt das legendäre "Bundesbüdchen" der Mutter von Rausch. Schon kurz nach Gründung der Bundesrepublik 1949 stand sie zunächst mit einer Obstkarre im neu entstehenden Bundesviertel, dann mit einem Anhängerwagen und ab 1957 schließlich im 20 Quadratmeter großen Pavillon in Form eines schön geschwungenen Ovals im Stil der 50er Jahre.

Ihr beliebter Kiosk kombinierte Zeitungsstand, Tabakregal, Eistruhe, Trinkhalle und Wursteck. Die gesamte Belegschaft der Bonner Republik deckte sich hier mit Brötchen und Pommes ein, vom Saaldiener bis zum Bundeskanzler.

Rückkehr des Bundesbüdchens: Kiosk steht auf Stützen
Relikt aus Bonner Bundeshauptstadts-Zeiten: Das "Bundesbüdchen" nimmt wieder PlatzBild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Aber das Büdchen war viel mehr: "Es hat der Entkrampfung des politischen Kampfes gedient", zitiert die Deutsche Presseagentur den kürzlich verstorbenen Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm. Parlamentarier, die sich eben noch im Plenarsaal gefetzt hatten, standen kurz darauf zusammen für Gummibärchen an. "So war halt Bonn", erinnerte sich Blüm, "nicht großspurig. Eine liebenswerte Republik". 

Ähnlich sieht es Armin Laschet, inzwischen Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen: "Bonn war nicht behäbig, es ging zur Sache. Der Deutsche Bundestag am Rhein war kein Raumschiff oder Elfenbeinturm. Die Wege waren kurz und der Draht zu den Bürgerinnen und Bürgern direkt", schrieb Laschet in einem Artikel für die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).

Die Bonner Republik ging zur Neige

Jürgen Rausch übernahm den Kult-Kiosk 1984. Er selbst sah sich freilich nicht selbst im Dunstkreis der Macht, doch marschierten die Mächtigen, wie er sagt, dauernd unter seinen Augen vorbei. Selbst der schwergewichtige Einheits- und Dauerkanzler Helmut Kohl (CDU) bewegte sich in Bonn oft zu Fuß, es lag ja alles ganz nah beieinander.

Jürgen Rausch, damals Betreiber des Bundesbüdchens
Kioskbesitzer Jürgen Rausch neben dem "alten" Büdchen (Foto: 2002)Bild: picture-alliance/dpa/G. Breloer

1999 dann der Exodus nach Berlin. Auch Rausch erwog den Umzug. Er hatte sogar schon die Genehmigung vom Berliner Bezirksbürgermeister. "Aber meine Familie wollte am Rhein bleiben", sagt er, "da war erst mal tiefes Hängen im Schacht". Um das Büdchen wurde es still, die Stammkundschaft war weg. Als Bonn ein riesiges Konferenzzentrum um den alten Plenarsaal herumzubauen begann, stand der Pavillon im Weg und wurde 2006 abgebaut.

Er kam zur Zwischenlagerung nach Bornheim – und blieb dort für 14 Jahre. Rausch und ein "Förderverein historischer Verkaufspavillon" kämpften um den Wiederaufbau. Jetzt endlich ist es so weit: Das denkmalgeschützte Büdchen steht wieder, ganz nah bei der alten Stelle. "Das 'Bundesbüdchen' ist ein besonders originelles Zeugnis des Bonner Regierungsviertels", sagt Nordrhein-Westfalens Landeskonservatorin Andrea Pufke, "es steht sowohl für den Charakter des Regierungssitzes als gewachsenes Provisorium als auch für ein Stück Alltagskultur im Politikgeschäft der Bonner Republik." Eine Bäckerei hat jetzt den Betrieb übernommen. Und auch die neuen Kunden kennen sich mit Politik aus - die meisten arbeiten bei der Deutschen Welle oder beim UN-Klimasekretariat.

sd/vg (dpa/LVR/Stadt Bonn)