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Boliviens zweifelhafte Genossenschaften

Kersten Knipp26. August 2016

In Bolivien ist Vize-Innenminister Rodolfo Illanes entführt und ermordet worden. Und das vor einem geplanten Treffen mit Vertretern der Bergbau-Kooperationen. Der Vorfall rückt eine fragwürdige Institution ins Licht.

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Bolivien: Protest der Minenarbeiter (Foto: Reuters/David Mercado)
Minenarbeiter protestieren gegen das neue GesetzBild: Reuters/David Mercado

Er war gekommen, um zu vermitteln. In Panduro, rund 180 Kilometer südlich von La Paz, hatte der stellvertretende Innenminister Rodolfo Illanes mit Mitgliedern der bolivianischen Minen-Kooperationen sprechen wollen. Die wehren sich seit Wochen gegen ein von der Regierung geplantes Gesetz, das unter anderem die Gründung von Gewerkschaften innerhalb der Kooperationen erlauben soll. Zudem fordern sie, selbständig Verträge über Schürfrechte mit privaten Firmen schließen zu dürfen, auch mit ausländischen. Außerdem wenden sie sich gegen die strengen Umweltauflagen. Zu Beginn dieser Woche hatten sie ihren Forderungen mit Blockaden wichtiger Straßen Nachdruck zu verleihen versucht.

Nach dem Mord ordnete der bolivianische Staatspräsident Evo Morales eine dreitägige Staatstrauer an. Die Gewalttat bezeichnete er als "unverzeihlich". Auch sprach er von einer "politischen Verschwörung". Die "echten Genossenschaftler" seien von den Führungskräften der Kooperationen betrogen worden. Und diese seien "Bergbauunternehmer".

Ein etabliertes System

Damit spielte Morales auf das komplexe und in sich widersprüchliche Phänomen der bolivianischen Bergbaugenossenschaften an. Der Bergbau ist ein wichtiger Bestandteil der bolivianischen Wirtschaft. Bis zu 70.000 Menschen arbeiten in dem 10 Millionen-Einwohnerland in den Minen, insgesamt 300.000 Menschen bestreiten ihren Lebensunterhalt in mit dem Bergbau verbundenen Wirtschaftszweigen.

Vize-Innenminister Rodolfo Illanes (Foto: Reuters/Bolivian Presidency)
Ermordet: Vize-Innenminister Rodolfo IllanesBild: Reuters/Bolivian Presidency

Bereits in den 1920er-Jahren bildeten sich die ersten Genossenschaften. Entlassene Bergbauarbeiter schlossen sich zusammen, um die Minen selbst zu bewirtschaften. Ein Gesetz aus dem Jahr 1958 sah vor, dass Minen im staatlichen Besitz ausschließlich von den Kooperativen ausgebeutet werden sollten. Dies solle demokratisch und solidarisch geschehen, forderte das Gesetz weiter.

Zusätzlichen Aufschwung erfuhren die Genossenschaften Mitte der 1990er-Jahre. Damals wurde das für die Minenwirtschaft verantwortliche staatliche Unternehmen Corporación minera de Bolívia (COMIBOL) aufgelöst, die Minen wurden privatisiert. Die bis dahin staatsnah beschäftigten Arbeiter gründeten daraufhin weitere Genossenschaften.

Armut und Reichtum sind eine Frage von Glück und Pech

Diese unterscheiden sich in Größe, Ertragskraft und Vertrieb allerdings erheblich. So gibt es kleine Genossenschaften, die bescheidene Summen erwirtschaften. Sie sind oft nicht in der Lage, eigene Maschinen zu kaufen, sondern müssen diese mieten. Auch sind sie auf Zwischenhändler angewiesen. Andere hingegen sind groß, verfügen über einen modernen Maschinenpark und vertreiben ihre Rohstoffe selbst.

Diese Unterschiede deuten bereits ein Manko der derzeitigen Struktur an: Die Minen werden in einzelne Parzellen gegliedert und zwischen den Genossenschaftlern aufgeteilt. Die Ergiebigkeit der einzelnen Parzellen variiert aber erheblich. Da die Kooperativen aber keine Kompensationsmechanismen kennen, entwickeln sich die Einkünfte der einzelnen Genossenschaftler höchst unterschiedlich. Während die einen von ihrer Arbeit kaum leben können, erzielen andere sehr hohe Gewinne. Diese Unterschiede gründen allein auf den Vorkommnissen der einzelnen Parzellen. Diese werden zugeteilt - Armut und Reichtum sind in gewisser Weise eine Frage von Glück oder Pech.

Bolivien Präsident Evo Morales (Foto: picture-alliance/Anadolu Agency/M.P. del Carpio)
Verurteilt den Mord: Boliviens Präsident Evo MoralesBild: picture-alliance/Anadolu Agency/M.P. del Carpio

Genossenschaftler, die ergiebige Minen bewirtschaften, beschäftigen oft auch Subunternehmer. Diese werden oftmals als Zeitarbeiter mit äußerst geringer Entlohnung angestellt. "Diese besondere Form der Kooperativen hat Hierarchien hervorgebracht, die nichts mehr mit gemeinschaftlicher Arbeit zu tun haben, sondern harte Ausbeutungsstrukturen verschleiern", heißt es in einem Papier der Informationsstelle Lateinamerika.

Die Leiter dieser Kooperativen sind es auch, die sich gegen eine Gesetzesreform wenden, die unter anderem die Einführung von Gewerkschaften innerhalb der Genossenschaften vorsieht.

"Einmaliger Schlag gegen die bolivianischen Institutionen"

Um über diese und andere Fragen Gespräche zu führen, war Vize-Innenminister Rodolfo Illanes nach Panduro gereist. Die Atmosphäre war angespannt. Mitte August hatte die Polizei eine von Bergleuten besetzte Bundesstraße geräumt. Dabei kam es zu schweren Ausschreitungen. Mehrere hundert Demonstranten wurden verhaftet, rund hundert Polizisten verletzt.

Am Donnerstag dieser Woche dann wurde der offenbar nur wenig geschützte Vize-Minister entführt und auf das Schwerste misshandelt. Seine Leiche wurde in der Nacht zum Freitag auf der Straße zwischen La Paz und Oruro gefunden und nach La Paz überführt.

Minenarbeiter protestieren gegen das neue Gesetz (Foto:picture-alliance/dpa/J. Abrego)
Die bolivianische Polizei räumt nach einer Straßenblockade aufBild: picture-alliance/dpa/J. Abrego

Die bolivianische Tageszeitung El Deber bewertet den Mord als einen der schlimmsten Momente in der jüngeren bolivianischen Geschichte. "Ein solch harter Schlag gegen die bolivianischen Institutionen ist bislang einmalig. Ein hoher Repräsentant des Staates, der den Dialog suchte, wurde in einer Bergbauregion ermordet, in die er nicht ungeschützt hätte reisen dürfen."

Mehr als 40 Bergarbeiter wurden nach der Tat festgenommen. Schon jetzt deutet sich an, dass der Mord das politische Klima in Bolivien verdüstern wird. "Der Dialog darf nicht zur Straflosigkeit führen", forderte der bolivianische Verteidigungsminister Reymi Ferreira. Auch kündigte er an, der Staat werde hart durchgreifen. "Alles andere wäre ein verheerender Präzedenzfall."