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Referendum in Bolivien

25. Januar 2009

Nach jahrelangem Streit über eine neue Verfassung in Bolivien wird am Sonntag eine Mehrheit für die Pläne des linksgerichteten Präsidenten Evo Morales erwartet. Die Reform würde ihm eine zweite Amtszeit ermöglichen.

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Verkäuferin in La Paz vor einem Graffiti mit 'si' - dt. 'ja', Foto: AP
'Si!' - Für das Referendum zeichnet sich eine Mehrheit abBild: ap

Mit einer Volksabstimmung will Boliviens linksgerichteter Staatschef Evo Morales am Sonntag (25.01.2009) eine neue Verfassung und mit ihr eine stärkere Beteiligung der indigenen Bevölkerung am Wohlstand durchsetzen. Mehr als 300 internationale Wahlbeobachter werden den Ablauf des Referendums beobachten, berichtete die bolivianische Tageszeitung "Los Tiempos" am Freitag. Bislang sieht die Verfassung Boliviens nur eine einmalige fünfjährige Amtszeit des Präsidenten vor. Nach der Reform wäre eine einmalige direkte Wiederwahl erlaubt.

Bolivianerin in traditioneller KLeidung, Foto: AP
Anhänger Morales' ist vor allem die indigene BevölkerungBild: AP

Die Diskussion über das Für und Wider der neuen Verfassung ist in den letzten Jahren zu einem Pro oder Kontra zur Morales-Regierung geworden. Morales hat wiederholt unterstrichen, dass erstmals in der Geschichte des südamerikanischen Landes die bisher ausgegrenzten Bevölkerungsteile wie die indianischen Völker ausdrücklich in die Verfassung aufgenommen werden. Zudem werde die Autonomie der einzelnen Provinzen gestärkt: "Sollte das Nein gewinnen, wird es keine unmittelbare Autonomie geben, und die Provinzen, die auf die Autonomie hoffen, werden bis zum Jahr 2020 warten müssen", sagte er mit Blick auf die konservative Opposition in den reichen Tieflandprovinzen.


Gespaltenes Land

Bolivien ist seit langem tief gespalten. Kern des Konflikts ist der Versuch der Regierung, den Wohlstand aus dem rohstoffreichen Osten und Süden zugunsten der vor allem im kargen westlichen Hochland lebenden Mehrheit der armen Indios umzuverteilen. Die wohlhabende, überwiegend weiße Oberschicht aus den Provinzen Santa Cruz, Chuquisaca, Tarija und Beni fürchtet allerdings um ihre Vorrechte und Einnahmen.

Bei Annahme der Verfassung wird Bolivien ein interkultureller Vielvölkerstaat mit 37 offiziellen Sprachen, der Glaubensfreiheit garantiert. Den indianischen bäuerlichen Völkern und Nationen wird der Schutz ihrer kulturellen Identität, ihrer sozialen wie politischen Strukturen und Institutionen zugesichert. Zudem garantiert der Staat das Recht auf Ernährung, Gesundheitsversorgung, Bildung Arbeit, Rente Trinkwasser und angemessene Entlohnung.

Gegen Umverteilung

Um die wohlhabenden Regionen für seine Reformen zu gewinnen, sicherte Morales ihnen im neuen Verfassungstext ein gewisses Maß an Autonomie zu. Das reichte einigen Gouverneuren jedoch nicht. Im Mai und Juni 2008 hatten die Bevölkerungen der Departamentos in Referenden für eine weitgehende Unabhängigkeit von der Zentralregierung gestimmt. Mit dem Verzicht auf eine weitere Amtszeit nach 2014 erfüllte Morales eine weitere Forderung der Opposition. Morales war 2006 zum Präsidenten gewählt und hatte urspünglich angestrebt, bis zu zehn weitere Jahre im Amt zu bleiben.

Straßenkämpfe in La Paz im Mai 2008, Foto: AP
Im Mai 2008 war der Streit über die neue Verfassung in Bolivien eskaliertBild: AP

Prominentester Kritiker der Verfassungsreform ist Morales' Amtsvorgänger Carlos Mesa (2003-2005). Der konservative Politiker bestreitet, dass der Entwurf in einem transparenten und demokratischen Prozess entstanden sei. Damit spielt er auf die Tatsache an, dass die Verfassungsgebende Versammlung hinter verschlossenen Türen tagte und zudem kein einziger Paragraf mit der vereinbarten Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen wurde.

Sein Hauptkritikpunkt ist jedoch, dass die neue Verfassung Staatsbürger nach Herkunft, Hautfarbe oder Sprache einordne und sich damit der "Diskriminierung verschreibt". Das neue Grundgesetz stelle nicht alle Bürger gleich, weil er für "pueblos originarios" ("Urvölker") Sonderrechte in Bezug auf Wahlrecht, politische Vertretung und Verfügung über Naturressourcen vorsieht: "Damit werden Bürger erster und zweiter Klasse geschaffen", moniert Mesa. Zudem spricht der Text von 36 indianischen "Nationen", die es nicht gibt, wie kürzlich selbst Regierung und regierungsnahe Anthropologen zugeben mussten. Etliche weitere "Nationen" bestehen aus wenigen hundert oder tausend Menschen.

Aymara-Indianer auf einem Feld in der Nähe des Titicaca-Sees, Foto: AP
In Bolivien ist der Gegensatz zwischen dem reichen Tiefland und dem armen Hochland groß - wird die neue Verfassung daran etwas ändern?Bild: AP

"Weltrekord-Ergebnis"?

Präsident Morales hofft bei dem Referendum auf ein "Weltrekord"-Ergebnis: "Mein großer Wunsch ist, dass die Bevölkerung die neue Verfassung mit 60, 70 oder 80 Prozent bestätigt", sagte der Linkspolitiker. Nach den letzten Umfragen kann Morales mit 65 Prozent rechnen.

Während eine hohe Zustimmung vor allem in den Hochlandprovinzen La Paz, Oruro und Potosí zu erwarten ist, dürfte das Ergebnis in den oppositionellen Provinzen wie Santa Cruz knapp ausfallen. Die Polarisierung zwischen dem indianisch geprägten Andenhochland und dem wohlhabenderen Osten des Landes wird sich auch mit einer neuen Verfassung nicht verringern. (ina)