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Mehr Arbeitslose in Bochum wegen Nokia

17. Dezember 2010

Vor drei Jahren schloss Nokia sein Handy-Werk in Bochum - trotz großer Gewinne und 80 Millionen Euro öffentlicher Zuschüsse. Über tausend ehemalige Beschäftigte haben bis heute keinen neuen Job gefunden.

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Ein Vorhaengeschloss verschliesst am Mittwoch, 16. Januar 2008, ein Tor des Nokia Werkes in Bochum (Foto: ap)
Ende mit Schrecken bei Nokia in BochumBild: AP
Die Kinder von Nokia-Mitarbeiter beteiligen sich in Bochum am Dienstag, 22. Januar 2008, an einer Demonstration gegen die Schliessung des Nokia Werkes. (Foto: pa)
Auch die Kinder von Nokia-Mitarbeitern beteiligten sich an ProtestenBild: AP

Der finnische Elektronik-Konzern Nokia war einer der größten Arbeitgeber in der Ruhrgebietsstadt Bochum. Die Handy-Produktion an diesem Standort bescherte dem Konzern satte Gewinne. Doch die Entscheidung, das Werk, das tiefschwarze Zahlen schrieb, zu schließen, traf vor knapp drei Jahren nicht nur die Mitarbeiter wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Auch Heinz-Martin Dirks, Leiter der Wirtschaftsförderung der Stadt Bochum, hatte zuvor keinen blassen Schimmer davon, was die Nokia-Spitze auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf am 15. Januar 2008 verkündete. "Mir ist völlig unverständlich, was die da gemacht haben."

Dass der Nokia-Konzern, der ein Jahr zuvor noch einen Gewinn von 7,6 Milliarden Euro eingefahren hatte, das gut ausgelastete Bochumer Werk dicht machen würde, damit habe niemand rechnen können.

Seit der Werksschließung fehlen in der Stadtkasse jährlich rund 25 Millionen Euro. Das entspricht gut 15 Prozent aller Gewerbesteuereinnahmen. Ein herber Verlust mit Folgen für die Stadt. Aus heutiger Sicht, stellt Dirks nüchtern fest, sei man eine "Nothaushaltsgemeinde". Also eine Stadt, in der sich finanziell nicht mehr viel bewegen lässt.

Plötzlich hatten 4.000 Menschen keine Arbeit

Ein Nokia Mitarbeiter zerstoert sein Mobiltelefon mit dem Fuss vor den Toren der Nokia Fabrik in Bochum (Foto: ap)
Wut: Ein Nokia Mitarbeiter zerstört sein MobiltelefonBild: AP

Aber nicht nur im Stadtsäckel klaffte urplötzlich ein tiefes Loch. Ganz persönlich betraf es, wenn man Zulieferer und Leiharbeiter mitrechnet, die Existenz von 4.000 Menschen, die arbeitslos wurden.

Mochten die Nokia-Beschäftigen auch Menschenketten um ihr Werk bilden und sowohl die Stadtverwaltung als auch die nordrhein-westfälischen Landesminister sich demonstrativ von ihren Dienst-Handys der Marke Nokia trennen. Alle Aktionen halfen trotz bundesweiter Aufmerksamkeit am Ende nicht.

Letzte Station: Hartz IV

Der finnische Konzern verlagerte kühl kalkulierend aus rein materiellen Gründen die Produktion nach Rumänien. Den betroffenen Nokia-Mitarbeitern boten sich auf dem Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet danach kaum Perspektiven, wie Wirtschaftsförderer Dirk bilanziert. "2.200 Leute, die in der Produktion arbeiten, die kriegt man heute nicht so schnell in den Arbeitsmarkt rein. Gerade bei Nokia ist auch der Anteil der Frauen noch sehr hoch gewesen, so dass da besondere Schwierigkeiten waren."

Über 1.000 der ehemaligen Nokia-Beschäftigten haben bis heute keinen neuen Arbeitsplatz gefunden. Oder anders formuliert: Sie beziehen notgedrungen Hartz IV, also Sozialhilfe.

Reine Kosmetik

Gewerkschafter von VW in Wolfsburg protestieren am Dienstag, 22. Januar 2008, bei einer Grossdemonstration fuer den Erhalt des Nokia-Werkes in Bochum (Foto: ap)
Solitarität: Gewerkschafter von VW im Januar 2008 bei einer Demonstration für den Erhalt des Nokia-Werkes in BochumBild: AP

Über 80 Millionen Euro hatte der gut verdienende Konzern im Laufe der Jahre an Zuschüssen von der EU und der Bundesregierung für den Ausbau des Standortes Bochum erhalten. Und nur unter massivem öffentlichem und politischem Druck steuerte Nokia nach der Werksschließung 20 Millionen Euro zu einem Programm mit dem Namen "Wachstum für Bochum" bei. Viel bewirkt hat das für die Betroffenen nicht. Letztlich, so Heinz Martin Dirks, sei dieser Beitrag von Nokia reine Kosmetik gewesen.

Mit einer Universität und fünf Hochschulen im Einzugsbereich sehen sich die städtischen Wirtschaftsförderer dennoch durchaus gut mit qualifizierten Absolventen für die Zukunft gerüstet. Als ersten Erfolg wertet man daher die Ansiedlung des kanadischen Kleincomputerherstellers Blackberry. Mit dem standen die Bochumer Wirtschaftsförderer nach eigenen Angaben übrigens schon vor der Ankündigung der Schließung des Nokia Werkes in Verhandlungen. Insofern handele es sich um einen Teilerfolg mit Blick in die Zukunft. Weil man, so Dirks, den Innovationsgehalt des Standortes Bochum zumindest auf gleichem Stand gehalten habe.

Breite Lücke

Allerdings nicht arbeitsmarktpolitisch. Blackberry hat in Bochum eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung etabliert, jedoch keine Produktionsstätte. Mehr als ein paar hundert Arbeitsplätze für Hochqualifizierte sprangen bisher nicht heraus. Auf dem rund 200.000 Quadratmeter großen ehemaligen Produktionsgelände von Nokia haben sich mittlerweile verschiedene Unternehmen eingemietet, die alle zusammen etwa 1.100 Mitarbeiter beschäftigen. Unter dem Strich aber etwa 2.000 weniger als zu Zeiten Nokias.

Nach dem Fortzug von Nokia nach Rumänien fehlen in Bochum vor allem Arbeitsplätze im produzieren Gewerbe. Und diese von Nokia gerissene Lücke, wird auch der andere große Arbeitgeber in der Stadt, der Autobauer Opel, nicht füllen können. Denn auch dort wird um jeden Arbeitsplatz gezittert, wie Heinz Martin Dirks einräumen muss. "Opel hatte Anfang der 90er Jahre noch knapp 19.000 Mitarbeiter. Momentan sind sie bei 5.000 und müssen ja noch 2.000 abbauen. Das heißt: Opel wird letztendlich bei 3.000 Mitarbeitern liegen."

Am Beispiel Bochum wird deutlich, dass international agierende Konzerne keine Rücksicht kennen, wenn sie irgendwo in der EU günstigere Produktionsmöglichkeiten finden. Dass qualifizierte Mitarbeiter zu Tausenden dann an verlassenen Standorten wie Bochum in die Arbeitslosigkeit gehen müssen, betrachten die Unternehmen nicht als ihr Problem.

Autor: Klaus Deuse

Redaktion: Klaus Ulrich