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BND ließ sich von Historikern "sezieren"

7. Oktober 2016

Seit 2011 hat ein Forscher-Team die Archive des deutschen Auslandsgeheimdienstes durchforstet. Nun liegen die ersten Ergebnisse in Buchform vor. Viel Stoff zum Lesen und Spekulieren.

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Das Siegel des Bundesnachrichtendienst (BND)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Öffentlicher Ruhm und Erfolg sind Kategorien, die für Geheimdienste so gut wie keine Bedeutung haben. Sie verrichten ihre Arbeit idealerweise geräuschlos und grundsätzlich im Verborgenen. Ob sie das gut tun, davon bekommt die Öffentlichkeit üblicherweise nichts mit. Um es an einem Beispiel zu illustrieren: Dass und vor allem wie der Bundesnachrichtendienst (BND) Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen vor Anschlägen schützt, weiß nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten. Je weniger Mitwisser, desto kleiner das Risiko.

Ärgerlich aus Sicht des BND ist es jedoch, wenn Pannen oder gar Rechtsverstöße bekannt werden. Und an Skandalen ist die Geschichte der vor 60 Jahren gegründeten Behörde reich. Aktuell leiden Image und Selbstbewusstsein des Auslandsgeheimdienstes an der 2013 vom Whistleblower Edward Snowden ausgelösten NSA-Affäre. Denn auch der BND belauscht weltweit nicht nur die Bösen. Damit beschäftigen sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages und das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr).

Alt-Nazis prägten die Arbeit und das geistige Klima

Um lange zurück liegende Zeiten kümmert sich seit 2011 eine Unabhängige Historikerkommission. Ihr Auftrag: die Geschichte dieses Nachrichtendienstes und seiner Vorgängerin, der Organisation Gehlen, von 1945 bis 1968 zu untersuchen. Ein knappes Vierteljahrhundert, das dem BND nicht zur Ehre gereicht. Was vor allem daran liegt, dass sehr viele Alt-Nazis die Arbeit und damit das geistige Klima prägten. Kein ganz neuer Befund. Aber einer, der durch die akribische Recherche der Historiker um Klaus-Dietmar Henke unanfechtbar geworden ist. Davon darf man jedenfalls ausgehen angesichts des ausgewerteten Materials: 54.000 Akten, fünf Millionen Seiten auf Mikrofilm.

Reinhard Gehlen
Reinhard Gehlen 1943 als Chef der Abteilung Fremde Heere Ost Bild: AP

Das Ergebnis des 2,3 Millionen Euro kostenden Projekts mündet in 13 Bücher, die im Christoph-Links-Verlag erscheinen. Die ersten vier Bände wurden am Donnerstag in der neuen Berliner BND-Zentrale vorgestellt, die noch immer eine Baustelle ist. Der erst seit Juli amtierende Präsident Bruno Kahl sieht das Ganze als Teil der von seinen Vorgängern Ernst Uhrlau und Gerhard Schindler eingeleiteten Transparenz-Offensive. Ein Nachrichtendienst, "der sich nicht mehr verstecken will und nicht mehr verstecken muss" - das ist die Botschaft.

Geheimdienst-Staatssekretär Fritsche: "Weltweit einmaliges Werk"

Kahl betont, die Kommission habe "uneingeschränkten" Einblick ins BND-Archiv erhalten. Erst anschließend habe es einen "Sicherheitscheck" gegeben. Der dazu führte, dass manche Stellen geschwärzt wurden. Historiker Henke hob im Namen des gesamten Teams hervor, nie den Eindruck gehabt zu haben, "dass etwas "willentlich" vorenthalten worden sei. Der im Bundeskanzleramt für die Geheimdienste zuständige Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche sprach von einem für beide Seiten "gewinnbringenden Lernprozess". Nur selten habe man im Interesse der Sicherheit die Geheimhaltung aufrecht erhalten. Herausgekommen sei ein "weltweit einmaliges Werk". Henke ergänzte, es sei etwas Besonderes, dass sich ein Nachrichtendienst "bei lebendigem Leibe sezieren lässt".

Deutschland Bruno Kahl neuer BND Präsident
BND-Chef Bruno Kahl meint, dass sich seine Behörde "nicht verstecken muss" Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die Lektüre der nun vorgelegten vier Bände dürfte auch für ein allgemein an Geschichte interessiertes Publikum aufschlussreich und spannend sein. Etwa, wenn es in Gerhard Sälters Studie "Phantome des Kalten Krieges" um die Wiederbelebung des Nazi-Feindbildes "Rote Kapelle" geht. Unter diesem Namen verfolgte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) eine höchst heterogene Widerstandsgruppe. In ihr versammelten sich Kommunisten, Geistliche, Liberale, Konservative. Nach 1945 diente dieses alte Feindbild als konstruierter Vorwand, um das Schreckgespenst des Kommunismus in grellsten Farben zu malen. Treibende Kraft war der ehemalige Wehrmachtsgeneralmajor Reinhard Gehlen, der die nach ihm benannte Organisation leitete und 1956 erster BND-Präsident wurde.

Deutsch-deutscher Geheimdienstkrieg nach dem 17. Juni 1953

Wie stark der vom US-Geheimdienst CIA ins Werk gesetzte westdeutsche Auslandsgeheimdienst von Alt-Nazis durchsetzt war, ist Thema des Bandes von Christoph Rass. "Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes" lautet der Titel. Dabei geht es um die Herkunft und Dienstposten der ersten Mitarbeiter-Generation. Besonders brisant: Mehr als die Hälfte beging sogenannten "Einstellungsbetrug", verleugnete also die eigene NS-Vergangenheit. Es dauert viele Jahre, bis im BND so etwas wie eine nachträgliche Entnazifizierung stattfand. Im Band "Sicherheitsrisiko NS-Belastung" von Sabrina Nowak sind 157 Lebensläufe von überprüften Mitarbeitern skizziert. Am Ende wurden 68 entlassen.

DDR Volksaufstand vom 17. Juni 1953
Der DDR-Volksaufstand am 17. Juni 1953 war Auslöser für geheimdienstliche Operationen in beiden Teilen Deutschlands Bild: picture-alliance/AP

Diese Leute waren tickende Zeitbomben, weil sie für feindlich gesinnte Geheimdienste potenziell erpressbar waren. Darauf hatte es allen voran der DDR-Staatsicherheitsdienst (Stasi) abgesehen. "Geheimdienstkrieg in Deutschland" ist deshalb die durchaus passende Überschrift für den Band eines Autoren-Trios, bei dem es um die Konfrontation der Stasi mit der Organisation Gehlen geht. Auslöser war der mit sowjetischer Hilfe niedergeschlagene DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Während dieses deutsch-deutschen Geheimdienst-Duells wurden 218 Spitzel der BND-Vorgängerorganisation verhaftet.

Warum Verleger Christoph Links das Jahr 2019 für wichtig hält

Die beispiellos tiefgreifende und umfangreiche Erforschung der BND-Geschichte wird mit der Veröffentlichung von neun weiteren Bänden fortgesetzt. Verleger Christoph Links äußerte bei der Präsentation der ersten vier Bücher einen Wunsch: dass der Blick in die Archive über das Jahr 1968 hinaus fortgesetzt werden soll. Damals endete die Ära Gehlen. Links würde ab 2019 gerne die Geschichte des Kalten Krieges weiter "erhellen". Dann jährt sich nämlich der Mauerfall zum 30. Mal. Zum selben Zeitpunkt fällt für viele BND-Akten die Sperrfrist weg. Für weitere Spannung ist also gesorgt.          

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland