Das modernste Müllauto der Welt
19. April 2021Wasserstoff ist das große Zauberwort auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft. Auch für Nutzfahrzeuge und ganz besonders für Müllfahrzeuge, die sich durch dichtbesiedelte Städte zwängen. Auf Wasserstoff und Brennstoffzelle setzt das Unternehmen Faun aus Osterholz-Scharmbeck bei Bremen. Bluepower haben sie das neue Fahrzeug genannt.
Seit August letzten Jahres, sagt Geschäftsführer Burkard Oppmann, läuft ein Fahrzeug bei der Bremer Stadtreinigung zur Probe. "Dieses Fahrzeug hat eine Brennstoffzelle und zwei Tanks, 8,2 Kilo Wasserstoff an Bord und eine Batterie mit 85 kWh Leistung." Das Herzstück ist ein 250-Kilowatt-Elektromotor - das entspricht der Leistung eines 320 PS starken Dieselmotors. Den Strom liefern Brennstoffzellen, gespeist mit Wasserstoff. Mit an Bord ist immer auch eine Batterie. Sie wird geladen mit Energie, die beim Bremsen entsteht. Die Technik ist sündhaft teuer. Für eine Brennstoffzelle sind 70.000 Euro fällig. Burkhard Oppmann setzt auf die Serienfertigung: "Es gibt im Moment auf der Welt nur einen, der industriell Brennstoffzellen herstellt, das ist Hyundai in Südkorea."
Hohe Zuschüsse des Bundes
Schlägt ein herkömmliches Müllauto mit knapp 250.000 Euro zu Buche, kostet ein wasserstoffangetriebenes Fahrzeug gleich das Dreifache. 90 Prozent der Mehrkosten bezuschusst der Bund, ab Mai werden es noch 80 Prozent sein. Das Geld kommt aus dem Neun-Milliarden-Paket der Bundesregierung für die nationale Wasserstoffstrategie.
Burkard Oppmann verlässt sein lichtdurchflutetes Büro im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes und geht hinüber in die Produktionshallen. Davor sind zwei nagelneue, weißlackierte Bluepower-Müllfahrzeuge geparkt. "Ein Fahrzeug geht nach Duisburg, das andere nach Wuppertal." Die Müllverbrennungsanlage in Wuppertal produziert in einer eigenen Elektrolyse-Anlage den Wasserstoff selbst. "In Duisburg fahren sie eine öffentliche, mobile H2-Tankstelle an."
Ein Kilogramm Wasserstoff kostet derzeit 9,50 Euro, 6,5 Kilogramm schluckt das Müllfahrzeug im Stadtverkehr. Bei den derzeitigen Spritpreisen erhält man an der Zapfsäule dafür 50 Liter Diesel. So viel braucht kein herkömmlicher Lkw auf 100 Kilometer. Wasserstoff, da emissionsfrei, gilt für Paul Schneider vom Oldenburger Energieversorger EWE gleichwohl als Treibstoff der Zukunft. "Wir gehen davon aus, dass sich der Wasserstoffpreis halbieren wird." Der Preis fällt mit der Nachfrage. Noch fehlt der Markt.
Aber fest steht auch, dass sich die CO2-Steuer in den nächsten Jahren mehr als verdoppeln wird; das treibt den Preis für fossile Energieträger weiter in die Höhe. Am Batterie- und Brennstoffzellenantrieb wird kein Weg vorbeiführen. Gegen die Brennstoffzellentechnologie wird häufig der höhere Wirkungsverlust ins Feld geführt - zu Unrecht, meint Paul Schneider. "Einen Wirkungsverlust haben wir immer, wenn wir einen Energieträger wie Kohle, Gas oder Windenergie in Strom umwandeln." Bei Wasserstoff sei das nicht anders. "Wir können Wasserstoff aber besser transportieren und besser speichern als elektrische Energie."
Salzkavernen als Zwischenlager
Auch nach dem CO2-Ausstieg wird Deutschland einen Großteil seines Energiebedarfs durch Importe decken müssen. Im Geschäftsbereich der EWE liegen riesige, unterirdische Salzkavernen, in denen heute Gas zwischengelagert wird, aber die ebenso gut für die Lagerung von Wasserstoff geeignet wären. Für Abtransport und Verteilung ließe sich das bestehende Ferngasleitungssystem ohne größeren Aufwand anpassen. Außerdem: Eine Brennstoffzelle ist ein Energiewandler, ein kleines Kraftwerk, das an Bord des Fahrzeugs den Strom erzeugt, der das Auto antreibt.
Batterien sind Energiespeicher; der Strom wird außerhalb des Fahrzeugs produziert - in Kohlekraftwerken, Gaswerken, Windkraftanlagen mit entsprechenden Wirkungsgradverlusten, die dort entstehen. Betrachtet man die Kette von der Stromerzeugung bis zur Umwandlung der elektrischen Energie in kinetische, also die Kraft, die an den Rädern ankommt, ist der Wirkungsgrad eines batterieangetriebenen Autos nur noch geringfügig besser als der einer Brennstoffzelle. Und, so Paul Schneider, eine Brennstoffzelle verschlingt deutlich weniger Seltene Erden als eine Batterie. "Nichtsdestotrotz brauchen wir mehr Anwendungsbereiche, in denen die Brennstoffzelle ihre Vorteile ausspielt."
Die Produktion läuft an
Vor allem eben im Schwertransport, wo entsprechend leistungsstarke Batterien deutlich schwerer wären als Brennstoffzellen und die Nutzlast sich infolgedessen verringern würde. Das gilt ebenso bei Abfallsammelfahrzeugen, wie sie das Unternehmen Faun erstmals auf Wasserstoffbasis den Entsorgern anbietet. Geschäftsführer Burkard Oppmann zählt auf, wohin die ersten Fahrzeuge ausgeliefert werden: "Sechs Stück gehen nach Berlin, zwei nach Freiburg; wir haben Mainz, Reutlingen, Bielefeld und Bochum."
Nach der Anschubfinanzierung muss die neue Technologie am Markt bestehen - ohne staatliche Zuschüsse. Burkard Oppmann ist zuversichtlich, dass das klappt. "Wir werden in diesem Jahr noch circa 50 Fahrzeuge bauen und ausliefern." Für 2022 sind 100 bis 150 Fahrzeuge angepeilt. "Bis 2030 soll in diesem Werk kein konventionelles Müllfahrzeug mehr vom Band laufen."
Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist beschlossene Sache, die Förderung alternativer und klimaneutraler Treibstoffe politisch gewollt. In Kürze läuft die Testphase bei der Bremer Stadtreinigung aus. Aber nicht alle Fragen werden beantwortet sein - etwa die nach der Haltbarkeit einer Brennstoffzelle. Burkard Oppmann hofft auf acht Jahre. Länger würde ein kommunales Abfallsammelfahrzeug ohnehin nicht im Einsatz sein.