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Blinde ertasten Brustkrebs

Gudrun Heise / Christina Beyert13. April 2012

Ärzte können im Brustgewebe Veränderungen von etwa 1,5 bis zwei Zentimeter Größe ertasten. Sehr viel genauer arbeiten blinde Tasterinnen: Sie finden Auffälligkeiten, die oft nur wenige Millimeter groß sind.

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Frau tastet ihre Brust ab (Foto: Fotolia.de)
Bild: Fotolia/Forgiss

Blinde verfügen über einen sehr gut ausgebildeten und sensiblen Tastsinn und können oft auch kleinste Knoten und Veränderungen in einer Brust mit ihren Händen spüren. Das brachte den Duisburger Gynäkologen Dr. Frank Hoffmann auf die Idee, blinde Frauen als "Medizinische Tastuntersucherinnen" einzusetzen, als MTU. Und so gründete er im Jahr 2006 die Initiative "Discovering hands".

In Deutschland erkranken jährlich etwa 74.000 Frauen an Brustkrebs, und jedes Jahr sterben daran mehr als 17.000. Oft wird die Krankheit zu spät erkannt. Um die Tumoren möglichst bereits im Anfangsstadium zu entdecken, setzen deutsche Ärzte auf verschiedene Vorsorgeuntersuchungen wie etwa die Mammografie und die Ultraschalluntersuchung. Zudem wird jeder Frau geraten, monatlich ihre Brust selbst abzutasten. Zweimal pro Jahr soll ein Gynäkologe diese Untersuchung vornehmen, außerdem gibt es noch die Möglichkeit, sich einer ausgebildeten Tastuntersucherin anzuvertrauen, die mit dem Arzt zusammenarbeitet.

Eine Frauenärztin betrachtet an einem Monitor ein Brustkrebs-Karzinom. (Foto: Patrick Seeger dpa/lsw)
Bei früher Erkennung sind die Chancen auf Heilung größerBild: picture alliance/dpa/lsw

In vier Zonen zum Befund

Marie-Luise Voll erblindete im Alter von 52 Jahren infolge eines Glaukoms. Seit 2008 arbeitet sie eng mit der gynäkologischen Praxis von Frank Hoffmann zusammen. Neun Monate hat ihre Ausbildung gedauert. Anatomie der weiblichen Brust, Therapie und Diagnostik standen dabei unter anderem auf dem Stundenplan. "Das Tasten an sich haben wir an Übungsmatten gelernt. An uns selbst und an unseren Lehrerinnen haben wir Orientierungsstreifen aufgeklebt", erzählt Marie-Luise Voll. Mit diesen Streifen wird die Brust in vier Zonen aufgeteilt. So kann die Tasterin mögliche Veränderungen oder Knoten im Gewebe genau lokalisieren und dem Arzt möglichst exakt benennen.

Kein Ersatz für herkömmliche Verfahren

Die bisherigen Erfahrungen mit den Medizinischen Tastuntersucherinnen sind erfolgreich: Bei 56 von etwa 450 Frauen fanden die MTU Veränderungen in der Brust. "Im Rahmen der Untersuchungen konnte ganz klar belegt werden, dass die MTU mindestens so gut tasten wie fertig ausgebildete Fachärzte", erklärt Frank Hoffmann. Und sie hätten sogar eine ganze Menge Tastbefunde erhoben, die bei den Ärzten als unauffällig durchgegangen wären.

Diese Methode wird die herkömmlichen Verfahren wie Mammographie oder Ultraschall nicht ersetzen können, aber ergänzen. Und es gibt einen weiteren Pluspunkt: die Zeit, die den MTU zur Verfügung steht. Mindestens 30 bis 60 Minuten pro Patient. So können sie sich intensiv um die Frauen kümmern und versuchen, ihnen die Ängste vor der Untersuchung zu nehmen.

Patientin und Ärztin bei Brust Scan im Krankenhaus
Patientin beim Brust-ScanBild: picture alliance/CHROMORANGE

Eine Methode für Entwicklungsländer

Frank Hoffmann hat die Initiative "Discovering hands" 2006 ins Leben gerufen und bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Mittlerweile werden die Tasterinnen an verschiedenen Orten in Deutschland ausgebildet, und seit Ende letzten Jahres wird der Gynäkologe von "Ashoka" unterstützt. Die Organisation fördert sogenannte "Social Entrepreneurs", Sozialunternehmer. Als solcher habe er ein Ashoka-Stipendium bekommen, erläutert Hoffmann. Die Arbeit in seiner gynäkologischen Praxis hat er reduziert, kümmert sich jetzt intensiv um die Weiterentwicklung von "Discovering Hands".

Hoffmann ist überzeugt, dass die Tastmethode mithilfe von Blinden auch für Vorsorgeuntersuchungen in Schwellen- und Entwicklungsländern geeignet ist, dort also, wo es an technischem Gerät, an Ausrüstung und Infrastruktur mangelt. Für blinde Frauen könnten sich so ganz neue Perspektiven ergeben und sich ein ganz neuer Berufszweig entwickeln.