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Grüne Technologien aus dem Ruhrgebiet

Hao Gui14. September 2015

Das Ruhrgebiet war lange Zeit Synonym für Kohle und Stahl. Es war aber auch bekannt für das Begleitphänomen, den Smog. Der Strukturwandel hat die Luftqualität deutlich verbessert und neue Wachstumsmodelle entdeckt.

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Symbolbild Deutsche Lösungen für Umweltprobleme - Smog

Rolf Beckmann war zehn Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Deutschland lag in Trümmern. Wie so viele andere jungen Menschen aus seinem Stadtteil lernte der gebürtige Duisburger Ingenieurwesen und arbeitete später für das nahe gelegene Hüttenwerk Meiderich. Im Ruhrgebiet, dem industriellen Herzen Deutschlands, bedeutete der Nachkriegsboom mehr Kohle, mehr Stahl, mehr Strom. Koste es, was es wolle.

Doch die Menschen im größten Ballungsgebiet Deutschlands mussten auch die Kehrseite des Wirtschaftswunders in Kauf nehmen. In den 50er Jahren gab es in den Industrieanlagen noch keine Entstaubung. Giftige Gase wurden direkt in die Atmosphäre abgeleitet.

"Das Christkind backt Plätzchen"

Das Ruhrgebiet brannte. Rolf Beckmann erinnert sich: "In den Hochhöfen entstehen heiße Schlacken. Sie wurden in die Deponie gekippt. Deswegen war der Himmel immer rot." Die Kinder im Ruhrgebiet kannten schon von klein auf das Phänomen. Ihre Eltern sagten ihnen: "Das Christkind backt Plätzchen".

Rolf Beckmann im Landschaftspark Duisburg-Nord (Foto: Hao Gui / DW)
Rolf Beckmann arbeitet heute als ehrenamtlicher Führer im Landschaftspark DuisburgBild: DW

Es war immer "diesig", sagt heute der 80-Jährige. Er könne sofort sehen, ob der Staub aus den Großanlagen von ThyssenKrupp kam oder aus anderen Fabriken. "Auf den Fensterbänken hat sich der Staub gesammelt. Die Wäsche durfte nicht draußen aufgehängt werden. Sie bekam immer gelbe Flecken."

"Ortsüblich"

Im Ruhrgebiet wohnten in den 1950er Jahren rund vier Millionen Menschen. Fast alle lebten von der Bergbau- und Stahlindustrie. Jedes Mal, wenn das Christkind Plätzchen backte, wurde irdisches Geld verdient. Nur so war das Wirtschaftswunder Deutschlands möglich. Das Ruhrgebiet musste die industrielle Verschmutzung hinnehmen. Seit der Kaiserzeit wurde das Prinzip der "Ortsüblichkeit" in Gesetzen festgeschrieben. Die Folgen: Menschen wurden krank, bekamen Lungenkrebs, Leukämie, Blutkrankheiten.

1959 zog Frank-Michael Baumann nach Essen, mitten ins Ruhegebiet. "In ein neues Mietshaus. Es war gelb", erinnert er sich, "aber innerhalb kürzester Zeit ist die schöne gelbe Fassade schwarz geworden." Heute leitet der promovierte Ingenieur die EnergieAgentur in Nordrhein-Westfalen. Das Thema "energieeffiziente Energiegewinnung" hat sein Berufsleben geprägt - aber auch der Umweltschutz.

"Das Christkind backt Plätzchen"

Der Umweltschutz war schon Thema im Bundestagswahlkampf 1961. Damals trat der SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt gegen Altkanzler Konrad Adenauer an. Und Brandt formulierte den bekannten Satz: "Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden".

"Es nutzte ja nichts, im Ruhrgebiet neue Parks anzulegen, in denen sich die Menschen nach der schweren Arbeit erholen konnten", sagt Beckmann, "man musste auch Luft zum Atmen haben". "Das war immer ein Wechselspiel", erklärt Baumann das Verhältnis zwischen Politik, Industrie und Wählerschaft. "Die Politik musste hören, was sich die Bevölkerung wünscht. Auch die Einsicht der Industrie war schnell da, dass Veränderungen geschehen mussten. Vom neuen gesetzlichen Rahmen waren alle Unternehmen betroffen. Das war eine Situation, die für alle akzeptabel war." Neue Gesetze zwangen die Betreiber, moderne Filtertechnologien einzusetzen. Abgase und Abwasser wurden kontrolliert abgeleitet. Heute ist der Himmel über der Ruhr in der Tat blau. Man hat den Schritt geschafft von der Montanindustrie hin zum modernen Wirtschaftsstandort mit viel Dienstleistung, Forschung und Kultur.

Porträtaufnahme von Willy Brandt (Foto: picture-alliance/AP Images)
1961 erkannte Willy Brandt im Wahlkampf um das Kanzleramt das Thema Luftverschmutzung im Ruhrgebiet für sichBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Silhouette vom Malakowturm der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop im November 2010 bei Sonnenuntergang (Foto: Julian Stratenschulte dpa/lnw)
Die Silhouette vom Malakowturm der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. Bottrop ist die letzte Bastion des Steinkohlebergbaus: In keiner anderen deutschen Stadt hängen mehr Menschen an der Arbeit unter Tage.Bild: DW/Maksim Nelioubin

Umwelttechnologien als Exportschlager

International seien heutzutage zum Beispiel die Umwelttechnologien aus dem Ruhrgebiet sehr gefragt, berichtet Baumann, der viel um die Welt reist. "Deutschland ist technologisch auf einem hohen Level. Wir haben eine Vielzahl von Forschungseinrichtungen, die sich mit Umweltthemen beschäftigen, und die weltweit führend sind. Aus den Forschungen entstehen reale Produkte, die von den Unternehmen vermarktet werden. Auch sie sind im internationalen Maßstab wettbewerbsfähig."

Viele mittelständische Unternehmen aus dem Bereich der Umwelttechnologien haben sich unter der Federführung der NRW-EnergieAgentur zu einem Cluster zusammengeschlossen. Sie profitieren von den reichen Industrieerfahrungen aus der Region und proben Neues an den vorhandenen Anlagen aus. Die Lösungen aus dem Ruhrgebiet seien immer "effizient und kompetent", wirbt Baumann.

"Die Erfahrungswerte hatte man im Ruhrgebiet gesammelt", sagt Beckmann, "man kann sie weitergeben an die, die jetzt neu bauen, damit sie unsere Fehler nicht wiederholen." Seit seiner Pensionierung führt Beckmann ehrenamtlich Gäste durch das einstige Hüttenwerk, das 1985 stillgelegt wurde. Die Industrieanlage wurde aufwändig zum Landschaftspark Duisburg-Nord umgebaut. Heute klettern hier Alpinisten im ehemaligen Erzbunker, Polizei und Feuerwehr üben im früheren Gasometer das Tauchen - ein weiteres gelungenes Beispiel des Strukturwandels.

Außenansicht der Essener Zeche Zollverein (Foto: DW/Maksim Nelioubin)
Die Essener Zeche Zollverein ist heute ein Architektur- und Industriedenkmal - und gehört seit 2001 zum Welterbe der UNESCO.Bild: picture-alliance/dpa/Bernd Thissen