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"Blanko-Scheck für Saudi-Arabien"

Matthias von Hein16. August 2016

Seit rund 500 Tagen bombardiert Riad den Jemen - zur Unterstützung des geflohenen Präsidenten Hadi. Hisham Al-Omeisi aus Sanaa spricht mit der DW über das Leben im Bombenkrieg und die gescheiterten Friedensgespräche.

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Jemen Sanaa Trümmer nach Saudi Bombenangriff
Bild: picture-alliance/dpa/Y. Arhab

DW: Am Montag wurde ein Krankenhaus der "Ärzte ohne Grenzen" von saudischen Bomben getroffen. Nur Stunden zuvor hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den Angriff auf eine Schule am Wochenende verurteilt und eine unabhängige Untersuchung gefordert. Bei dem Luftangriff waren zehn Kinder getötet worden. Haben Sie irgendeine Hoffnung, dass die Vereinten Nationen an der Lage im Jemen etwas ändern können?

Hisham Al-Omeisi: Unglücklicherweise nein. Es ist nicht das erste Mal, dass Ban Ki Moon oder die UN die Luftangriffe der saudischen Militärkoalition verurteilen. Das machen sie seit 16 Monaten. Es gab in der Vergangenheit schon Angriffe mit weit höheren Opferzahlen- zum Beispiel, als 131 Menschen auf einem Markt in Sanaa getötet wurden. Obwohl es immer wieder zu solchen Vorfällen kam, haben wir bisher keine einzige offizielle, unabhängige Untersuchung gesehen. Deshalb sind die Menschen sehr skeptisch.

Jemen Sanaa Hisham Al-Omeisi (Foto: privat)
Hisham Al-Omeisi, politischer Analyst aus Jemens Hauptstadt SanaaBild: Privat

Was denken denn die Menschen im Jemen, in Sanaa, warum nicht mehr unternommen wird, um die Luftangriffe zu stoppen?

Ehrlich gesagt: In den Augen vieler Jemeniten hat sich die Weltgemeinschaft in den letzten 16 Monaten komplizenhaft gegenüber den saudischen Luftangriffen verhalten. Die Weltgemeinschaft hat den Saudis eine Art Blanko-Scheck ausgestellt. Sie gibt sich nachsichtig. Die Saudis scheinen unantastbar. Obwohl Saudi-Arabien für die Mehrheit der rund 2000 bislang getöteten Kinder verantwortlich ist, wurde es im Juni von der "Liste der Schande" der Vereinten Nationen wieder heruntergenommen. (Diese Liste führt jedes Jahr die Länder, Armeen und Terrorgruppen auf, die Kinder verletzen, töten oder als Soldaten rekrutieren). Als wir das im Jemen gesehen haben, wussten wir: Niemand wird das Verhalten der Saudis untersuchen, geschweige denn stoppen.

Für viele Menschen auf der Welt ist Jemen ein sehr armes und weit entferntes Land von geringem Interesse. Mit Saudi-Arabien ist es genau umgekehrt: Der Westen macht eine Menge Geschäfte mit Saudi-Arabien. Es gibt gemeinsame Interessen, intensive Beziehungen. Niemand wird sich den Saudis in den Weg stellen, um dem Jemen zu helfen. Unser Leben spielt keine Rolle; wichtig sind die Geschäfte mit Saudi-Arabien.

Riad begründet sein militärisches Eingreifen im Jemen als Maßnahme gegen den iranischen Einfluss bei den Huthis. Wieviel iranischen Einfluss nehmen Sie im Jemen wahr und wie wichtig ist die iranische Unterstützung für die Huthis?

Seit 16 Monaten erklärt Riad, iranische Soldaten würden an der Seite der Huthis im Jemen kämpfen. Wir haben hier im Jemen noch keinen einzigen iranischen Soldaten gesehen. Noch nicht einmal einen iranischen Zivilisten! Riad sagt zwar, die Iraner würden die Huthis unterstützen. Aber der Beweis dafür steht noch aus. Die von Saudi-Arabien unterstützte offizielle jemenitische Regierung hat in den letzten 16 Monaten wiederholt behauptet, iranische Soldaten verhaftet zu haben. Aber wo ist der Beweis? Obwohl sie angeblich so viele verhaftet haben, gibt es kein einziges Bild. Das Einzige, was es gibt, sind leere Behauptungen in den Medien. Wir Jemeniten vor Ort können keinen iranischen Einfluss erkennen.

Es stimmt: Die Huthis versuchten, eine Beziehung zu den Iranern aufzubauen, aber sie haben von Teheran nichts bekommen. Nachdem die Huthis erkannt haben, dass ihr Interesse in Teheran nicht auf Gegenliebe stößt, erklären sie seit zwei Monaten öffentlich, dass sie nicht mehr an Beziehungen zum Iran interessiert sind, und dass Teheran sich bitte aus den jemenitischen Angelegenheiten heraushalten soll.

Jemen Krankenhaus nach Bombenangriff zerstört (Foto: Reuters/Stringer)
Bomben der saudischen Luftwaffe zerstörten am 15. August ein Krankenhaus und töteten elf MenschenBild: Reuters/Stringer

Jüngst sind die Friedensgespräche in Kuweit ohne Ergebnis abgebrochen worden. Wen machen Sie im Wesentlichen dafür verantwortlich?

Aus meiner Sicht trägt die saudisch unterstützte jemenitische Regierung die Schuld: wegen ihrer Sturheit. Die Hadi-Regierung besteht darauf, dass die Huthis sich aus allen Städten zurückziehen und all ihre Waffen abgeben, bevor eine politische Lösung gefunden werden kann. Die Huthis haben 16 Monate lang gekämpft. Sie werden ihr Schicksal nicht einfach so in die Hände der jemenitischen Regierung legen. Das wäre gleichbedeutend mit einer Niederlage. Das werden die Huthis nicht akzeptieren. Die saudisch unterstützte Regierung hat jeden Kompromiss abgelehnt. Aber bei Verhandlungen geht es genau darum, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Sie bestehen aber weiter darauf, dass die Huthis sich ergeben, bevor man Gemeinsamkeiten gefunden hat. Das wird nicht passieren.

Sie haben auf Twitter das Bild eines kleinen Jungen eingestellt, der mit Rasierschaum spielt. Das Bild strahlt Freude und Normalität aus. Wie verhält sich dieser Schnappschuss eines glücklichen Moments zum Leben in einem Land im Bürgerkrieg, in dem eine ausländische Macht zusätzlich Bomben wirft?

Es ist beängstigend. Die Kinder sind traumatisiert, auch mein sechs Jahre alter Sohn. Am Wochenende gab es einen Luftangriff auf eine Schule. Zehn Kinder zwischen sechs und 14 Jahren wurden getötet. Es ist gefährlich für die Kinder, auf die Straße zu gehen. Es ist gefährlich, in die Schule zu gehen. Wir behalten sie zu Hause und versuchen, sie mit etwas zu beschäftigen und abzulenken, sie vor dem Krieg und seinen Folgen zu schützen. Während der Luftangriffe - und die finden im Moment ständig statt - bleibt er im Keller. Diesen Morgen kam er hoch, sah, wie ich mich rasierte und fand eine Menge Freude daran, Rasierschaum auf seinem Gesicht zu verteilen.

Anderswo auf der Welt gehen die Kinder in Parks, ins Schwimmbad oder in die Schule. Unsere Kinder müssen zu Hause bleiben und um ihr Leben fürchten. Sie wurden durch die Bomben traumatisiert und suchen Freude in kleinen Dingen - wie ein bisschen Rasierschaum

Hisham Al-Omeisi ist ein politischer Analyst in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen.

Das Gespräch führte Matthias von Hein.