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Biowaffe Stollen

Steffen Marquardt20. Dezember 2006

Traditionell gehört der Dresdner Stollen zur deutschen Weihnacht. Die Spezialität hat auch Freunde in aller Welt. Der Export dahin aber kann sehr problematisch sein.

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Lecker und gefährlich - für die FigurBild: AP

Die Tradition, in Dresden Weihnachtsstollen zu backen, entstand vor 550 Jahren. Der so genannte Christ-Stollen soll in seiner Form das in Windeln gewickelte Christkind versinnbildlichen. Niemand im Dresdner Backhaus wird auf die Idee kommen, das genaue Rezept zu verraten. Doch um einen Stollen einen "echten Dresdner" nennen zu dürfen, muss er nicht nur im Marken geschützten Dresden und einigen umliegenden Ortschaften gebacken werden, sondern auch andere Kriterien erfüllen: Er muss zumindest teilweise handgefertigt sein, einen gewissen Anteil an Butter haben, entsprechend Rosinen und Zitronat, Organgat und Mandeln. Ganz wichtig ist auch, dass er keine Margarine und keine künstlichen Aromen enthält. "Dann kriegt er seine Form, Puderzucker obendrauf und er muss eine gewisse Haltbarkeit garantieren", so Backhaus-Chefin Elisabeth Kreuzkamm-Aumüller.

Ausgebombte Tradition

Der Name Kreuzkamm hat in Dresden Tradition. Elisabeths Ur-Ur-Großvater eröffnete 1825 eine Konditorei in der Stadt. Schon bald begann er mit der Stollenproduktion und wurde königlicher Hoflieferant. Am Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wurde die Familie in Dresden ausgebombt. Elisabeths Vater baute das Familienunternehmen in München wieder auf. Gleich nach dem Mauerfall eröffnete ihre Familie aber wieder eine Filiale in Dresden.

Qualität will erschnüffelt werden: Bäckermeister riechen während einer öffentlichen Qualitätsprüfung (2004)
Qualität will erschnüffelt werden: Bäckermeister riechen während einer öffentlichen QualitätsprüfungBild: AP

Die damals 26-jährige Tochter ging 1993 nach Dresden. Geplant waren sechs Monate, weil sie nach ihrem Studium in den USA noch ihren Doktortitel machen wollte. Mittlerweile sind 13 Jahre vergangen. Sie hat in Dresden geheiratet und ist Mutter von vier Kindern. Leicht hatte sie es in der von Männern dominierten Bäcker-Gilde anfangs nicht: "Ich bin hier schon auf viele Widerstände gestoßen, weil ich ja auch eine bankrotte Bäckerei übernommen habe und nicht alle Mitarbeiter übernehmen konnte. Von Morddrohungen und Reifenschlitzereien bis hin zu diversen Anschlägen haben wir alles durchgemacht."

Mittlerweile hat man sich arrangiert. Sie ist im Vorstand des Dresdner Stollenschutzverbandes. und lebt inzwischen gern sehr gerne in Dresden, "auch mit meinen Kollegen."

Puderzucker und Anthrax

Das Backhaus hat bereits Kunden in 86 Ländern beliefert. Wenn man ins Gästebuch der Homepage "dresdnerstollen.de" schaut, wird schnell klar, wie viele Freunde das Weihnachtsgebäck weltweit gefunden hat. Stephen aus Großbritannien kann sich Weihnachten ohne Dresdner Stollen nicht mehr vorstellen, wie auch John aus den USA, der ihn durch seine Oma Mily aus Dresden für sich entdeckte. William Prochnow aus Brasilien fasst seine Begeisterung in einem Wort zusammen: "Excelente"!

Exporte in die USA erwiesen sich jedoch nach dem 11. September 2001 als problematisch: Die Zuckerbeutel wurden mit Antrax-Kuverts verwechselt. "Wir hatten massive Nachfragen, weshalb wir Beutelchen mit weißem Puder darin durch die Welt verschicken", sagt Kreuzkamm-Aumüller. "Wir haben seitdem auf unseren Beuteln in Englisch stehen, dass es sich um Puderzucker handelt und man dort keine Vernichtungsregularien in Kraft setzten muss."

Christstollen
Nur original aus Dresden - und ohne MarzipanBild: AP

Hinzu kommt, dass der Import von Lebensmitteln in die USA seit drei Jahren unter deren Bio-Waffen-Gesetz fällt. Jede Sendung muss vorher im Internet registriert werden: "Es ist völlig egal, ob Sie einen Stollen schicken oder einen ganzen Container, Sie müssen 13 Seiten im Internet beantworten und den Stollen anmelden - von wem er kommt, an wen er geht, was drin ist, welche Zollklassen das hat, wie er verpackt ist, was drin ist, welches Gewicht das Brutto, welches Gewicht das Netto und, und, und", erzählt die Bäckerin. Kreuzkamm-Aumüller. "Und braucht man auch noch einen Agenten in Amerika, damit das alles seine Richtigkeit hat."

Amerikanischer Protektionismus

Es gibt Stimmen, die im Zusammenhang mit den neuen Importregularien der USA auch von Protektionismus sprechen. Die Mitarbeiter von Elisabeth Kreuzkamm haben sich aber mittlerweile daran gewöhnt und wissen, zu welcher Tageszeit sie am besten Ihre Formulare versenden. Immerhin gehen acht Prozent ihrer Stollen-Produktion nach Nordamerika. Bei einem Empfang zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober in Washington war in diesem Jahr auch das Backhaus Dresden mit 164 Kilo der Bio-Waffe Stollen vertreten. Sie mundete 3000 Gästen, darunter Helmut Kohl und George Bush senior. Auch wenn Weihnachten noch fern war.