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Biografien oder die Erfindung der Wahrheit

14. November 2001

Lebensbeschreibungen sind angesagt. Besonders beliebt sind runde Geburts- oder Todestage mehr oder minder berühmter Menschen. Dann schießen sie wie Pilze aus dem Boden - die Biografien.

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Dichter und Philosophen, Politiker und Popstars, Sportler und Prinzessinnen oder die Musen großer Männer: das Geschäft mit dem Leben anderer boomt. Das Subjekt der Betrachtung muss noch nicht gestorben sein, immer häufiger werden Biografien auch über Menschen geschrieben, die nicht mal die Lebensmitte überschritten haben. Hier soll aus welchen Gründen auch immer das Private schnell öffentlich werden. Die Indiskretion diktiert den Erfolg. Neuestes Beispiel ist die Plauder-Biografie von Randy Taraborrelli über "Madonna", den Popstar aus den USA, die viele Anekdoten (und Klischees) ohne großen Tiefgang routiniert zu erzählen weiß.

Wie objektiv sind Biografien?

Die Skala von der Schnellschuss-Biografie eines Stars bis hin zur seriösen, gut ausrecherchierten Biografie eines weit über seine Zeit hinaus bedeutsamen Menschen ist groß. Insgesamt ist die Biografie, wie Literaturkritikerin Sigrid Löffler bemerkt, "ein ebenso populäres wie verrufenes Genre." Denn wie auch immer die Geschichte eines Lebens erzählt wird, es handelt sich um gedeutete Geschichte. Selbst so herausragende Biografen wie etwa Sigrid Damm, die mit ihrem Buch "Christiane und Goethe" wohl eine der erfolgreichsten Biografien der letzten Jahrzehnte schrieb, maßt sich nach eigenen Aussagen nicht an, Leben beschreiben zu können. Versuche, Annäherungen seien das, so stellt Damm bescheiden fest, was sie nach vielen Jahren oft mühsamer Recherche letztendlich zu Papier brachte.

Fakten und Fiktion – was ist in der Biografie erlaubt?

Während sich hergebrachte Biografien gern an einem chronologischen Weg entlang hangeln – von der Wiege bis zum Grab – dabei eine Fülle von Daten und Fakten verarbeiten und diese nach eigenem Gutdünken kommentieren und analysieren, wählen manche Biografen bewusst einen anderen Weg, um dem Gegenstand ihrer Forschung gerecht zu werden. Judith Thurman zum Beispiel hat ihre voluminöse, fast 1.000 Seiten umfassende Biografie über die bekannte französische Skandal-Schriftstellerin Colette "Roman ihres Lebens" genannt – wohl wissend, dass die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion auch für den um Sachlichkeit bemühten Biografen fließend sind. Und dass eine einzelne Figur sich immer vor dem Hintergrund einer Gesellschaft bewegt - im Falle Colettes das Frankreich zwischen Dreyfuß-Affäre und deutscher Besatzung -, die mit einzufangen eine Herausforderung darstellt. Peter Stephan Jungk hat sich für die Darstellung des Lebens von Walt Disney, am 5. Dezember jährt sich zum 100. Mal dessen Geburtstag, schließlich ganz für den Roman entschieden. In dieser Variante wird Disneys Leben aus der Sicht der fiktiven Figur Dantine beschrieben, einem von Disney geschassten, begabten Zeichner.

Die wichtigste politische Biografie des Bücherherbstes ist sicher Gregor Schöllgens Buch über Willy Brandt. Eine klassische Biografie, mit der notwendigen wissenschaftlichen Distanz des Historikers geschrieben und doch getragen von einer großen Sympathie für den stets menschlich gebliebenen Politiker und Ex-Kanzler.