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"Bin Jip": Entrückende Suche nach sich selbst und der Liebe

Constantin Schreiber19. August 2005

Seit mehreren Jahren feiern Filme aus Fernost weltweit Erfolge. Jetzt ist mit "Bin Jip" wieder koreanisches Kino zu sehen. Doch Regisseur Kim Ki-Duk ist sehr umstritten.

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Tae-suk: Einbrecher in fremde LebenBild: press
Leere Häuser Bin-Jip Regie Kim Ki-Duk Filmszene
Sun-hwa auf einem Sofa in einem fremden HausBild: presse

Tae-suk ist ein Einbrecher - aber nicht im klassischen Sinne. Er bricht nicht in Häuser ein, sondern in das Leben anderer Menschen. Dafür muss er zwar verschlossene Türen öffnen und Schlösser knacken. Aber das ist nebensächlich. Tae-suk bricht ein und lebt in den Wohnungen fremder Menschen, blättert in ihren Fotoalben, schläft in ihren Betten, wäscht ihre Wäsche. Bevor er wieder geht, verwischt er seine Spuren.

Einbruchs-Pärchen

Doch einer der Einbrüche verändert sein eigenes Leben: Da sind nicht nur Bilder und Kleider und Gegenstände in diesem Haus, da ist eine junge Frau, Sun-hwa, die, geschlagen und misshandelt von ihrem Ehemann, doch nicht viel mehr ist als ein Gebrauchsgegenstand. Ist es Liebe? Die zarte Sun-hwa, deren Gesicht von den Schlägen gezeichnet ist, verlässt ihr Haus, ihr Leben und geht mit Tae-suk. Gemeinsam brechen sie in fremde Wohnungen ein, leben in dem Lebensraum anderer - und gehen wieder.

Ménage-à-trois

Eines Tages werden sie überrascht, verhaftet und voneinander getrennt: Tae-suk muss ins Gefängnis, Sun-hwa zurück zu ihrem gewalttätigen Ehemann. Die Erfahrungen der Trennung entrücken die beiden schließlich der Realität. Sie schaffen sich ihre eigene Welt. Und als sie wieder zusammen kommen, müssen sie nicht mehr in fremde Leben einbrechen. Sie gründen eine ganz besondere Ménage-à-trois mit dem bösen Ehemann. Und sie finden ihr Glück.

Suche in fremden Lebensbildern

"Bin Jip" ist Koreanisch und heißt "Leeres Haus". Leer sind zwar die Häuser, in die Tae-suk einbricht, aber "leer" ist in erster Linie er selber. Keine Regung zeigt er, keine Mine verzieht Tae-suk oder nur, um mit der Luftpistole oder den Boxhandschuhen seiner "Gast-Familien" zu posieren. Warum brechen Menschen ein? Ist es Neid und Habgier nach Dingen, die man nicht hat? Tae-suk sucht sein eigenes Leben und er sucht es in den Lebensbildern anderer.

Die Ordnung wegschlagen

Taek-suk will eine neue, seine eigene Existenz, denn seinen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung hat er nicht gefunden. Sinnbildlich dafür steht sein Hobby, das Golfspiel. Golf, als kultivierte Sportart der Vornehmen, als Inbegriff einer starren hierarchisch-gesellschaftlichen Struktur. Taek-suk beherrscht das Golfen meisterhaft. Er übt in kleinen Parks. Dazu durchlöchert er einen Golfball, zieht einen Draht hindurch und wickelt damit den Golfball um einen Baumstamm. Jedes Mal, wenn er auf den Ball einschlägt, wirbelt dieser um den Baumstamm, um anschließend wieder an derselben Stelle zu landen. Taek-suk versucht, die gesellschaftlichen Fesseln wegzuschlagen, aber es gelingt ihm nicht, so sehr er es auch versucht, so viele fremde Leben auf Zeit er auch lebt, weil die Ordnung, in der er lebt, ihn an demselben festen Draht hält, wie den Golfball, und er jedes Mal wieder an seiner Ausgangsposition landet.

Leere Häuser Bin-Jip Regie Kim Ki-Duk Filmszene
Tae-suk befreit Sun-hwa aus ihrem goldenen KäfigBild: presse

Auch Sun-hwa ist eine Suchende, eingesperrt in einen Goldenen Käfig. Tae-suk befreit sie. Wortlos und selbstverständlich begleitet sie ihn fortan auf seinen Einbrüchen. Doch Frieden und Glück finden die beiden nicht. Nicht in der Wohnung des Boxers und seiner jungen Frau. Nicht in dem Apartment des Fotografen, der gerade im Ausland ist. Nicht in der Bleibe des alten Mannes, den sie tot in seinem Blut finden, und den sie traditionell bestatten. Ihre Suche bleibt erfolglos - zunächst. Als beide nicht mehr den Lebensraum wechseln können - Tae-suk, weil er im Gefängnis ist, Sun-hwa, weil sie zurück in den goldenen Käfig muss - ändert sich alles. Nicht in dem Leben anderer liegt ihr Glück, sondern in ihrem gemeinsamen, das sie in der Trennung erst entdecken. Sun-hwa ist den ganzen Film hindurch stumm. Erst am Ende haucht sie "ich liebe dich". Sie sagt es zu ihrem schlagenden Ehemann, doch blickt durch ihn hindurch. Dahinter steht Tae-suk. Ein Geist, der Traum einer zerbrochenen Frau, die in einer anderen Welt ihr eigenes Leben gefunden hat.

Polarisierender Liebesfilm

Dem koreanischen Regisseur Kim Ki-Duk ist mit "Bin Jip" eine entrückende Erzählung gelungen, ein polarisierender Liebesfilm über Menschen, die auf ihrer Lebenssuche Wunden reißen, in das Dasein anderer und in ihr eigenes. Und deren Wunden erst geheilt werden durch das Verlassen der Realität. "Leeres Haus" ist ein weiterer Höhepunkt fernöstlicher Filmkunst, eine Erfüllung der Erwartungen an eine fesselnde Erzählung und ein Neustart für einen Regisseur, der in Korea wegen seiner unverschleierten Darstellungen von Gewalt und Liebe umstritten, ja abgelehnt ist. Er beschreitet mit "Bin Jip" einen neuen Weg poetischer Film-Dichtung, die einen mitfühlen und schließlich die verrückt Liebenden beneiden lässt.