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Gesellschaft

Besorgte Bürger gegen Pariser Flüchtlingszentrum

25. Oktober 2016

In Paris leben Flüchtlinge meist unter erbärmlichen Umständen auf Matratzen und Bürgersteigen. Nun will die Stadt sie in einem Vorzeigeprojekt unterbringen. Doch die Nachbarn sind wenig begeistert. Lisa Louis aus Paris.

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Flüchtlingslager in Paris (Foto: Mairie de Paris/Jean-Baptiste Gurliat)
Bild: Mairie de Paris/Jean-Baptiste Gurliat

In wenigen Tagen, Ende Oktober, soll im Norden der französischen Hauptstadt das erste offizielle Aufnahmezentrum für Flüchtlinge eröffnet werden. 400 bis 600 männliche Flüchtlinge sollen dort vorübergehend ein Dach über dem Kopf, sowie Kleidung, Essen, Medikamente und Sozialberatung finden. Nach fünf bis zehn Tagen sollen die Männer dann in andere Unterkünfte in ganz Frankreich gebracht werden. Dort bleiben sie solange, bis ihr Asylantrag bearbeitet wurde. Für Frauen und Kinder soll nächstes Jahr ein ähnliches Zentrum in Ivry entstehen, einem Vorort im Süden der Hauptstadt.

Eine Eigeninitiative der Bürgermeisterin

In Frankreich ist es Aufgabe der Zentralregierung, sich um Flüchtlinge zu kümmern. Weil die es jedoch nicht schaffte, Flüchtlinge in der Hauptstadt angemessen unterzubringen, war die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo irgendwann mit ihrer Geduld am Ende. Sie kündigte kurzerhand die Eröffnung eines Flüchtlingszentrums in Paris an - und zwar ohne das offizielle Okay der Regierung dafür zu haben.

"Für uns ist es eine Frage der Ehre, Migranten würdevoll zu empfangen", sagte ihre Stellvertreterin Dominique Versini kürzlich vor Journalisten. "Wir können es nicht länger dulden, dass diese schutzlosen Menschen im Winter auf unseren Straßen leben", so Versini weiter.

Kampierende Migranten mit Zelt auf der Straße in Paris (Foto: Reuters/B. Tessier)
Damit soll Schluss sein: Flüchtlinge mussten bislang auf den Straßen von Paris unter freiem Himmel kampierenBild: Reuters/B. Tessier

Als im vergangenen Sommer immer mehr Menschen nach Europa flüchteten, kamen auch in der französischen Hauptstadt täglich 50 bis 80 Migranten an. Über ganz Paris verteilt kampierten Tausende notgedrungen unter freiem Himmel. Die meisten von ihnen stammten aus dem Irak, Afghanistan, Eritrea oder dem Sudan. Die Regierung hat inzwischen 28 dieser ungenehmigten, provisorischen Matratzen- und Zeltlager geschlossen und bereits 19.000 Flüchtlinge von dort in Unterkünften außerhalb von Paris untergebracht.

Neuer Zustrom nach Schließung des "Dschungels" von Calais

Vergangenes Jahr noch wehrte sich die Regierung gegen den Vorschlag, ein offizielles Flüchtlingscamp in der Hauptstadt zu errichten. Inzwischen erhält Bürgermeisterin Hidalgo für ihre Initiative sogar finanzielle Unterstützung: Mehr als acht Millionen Euro sollen in das Projekt fließen. Das deckt etwa 20 Prozent der Erstinvestitionen und die Hälfte der laufenden Kosten im ersten Jahr.

Außerdem hat die Regierung zugesichert, monatlich 1.200 zusätzliche Plätze in weiterführenden Unterbringungen zu schaffen. Diese werden benötigt, damit die Idee des Pariser Flüchtlingscamps überhaupt funktioniert. Denn die Flüchtlinge sollen nach zehn Tagen in andere Einrichtungen umziehen können.

Flüchtlingslager in Paris (Foto: Mairie de Paris/Jean-Baptiste Gurliat)
Das neue Flüchtlingszentrum in der Nähe des Nordbahnhofs soll nur eine vorübergehende Bleibe seinBild: Mairie de Paris/Jean-Baptiste Gurliat

Der Bedarf an neuen Unterkünften könnte nun, da der "Dschungel" von Calais - ein riesiges, illegales Flüchtlingslager im Norden Frankreichs - geschlossen wird, allerdings deutlich wachsen. Die Migranten, die bislang dort lebten, werden nun auf Auffanglager im ganzen Land verteilt.

Daher hofft die Pariser Vize-Bürgermeisterin Versini, dass das neue Aufnahmezentrum in Paris so etwas wie eine Vorzeigeunterkunft für Flüchtlinge werden könnte. Frankreich brauche nun mindestens drei oder vier solcher Drehkreuze für Flüchtlinge, schätzt sie.

Mehr Flüchtlinge, mehr Elend?

Aber für die Anwohner des Pariser Stadtteils Porte de la Chapelle, wo das neue Flüchtlingszentrum entsteht, ist diese Lösung alles andere als ideal. Das Arbeiterviertel gilt als eines der ärmsten der Hauptstadt. Ein sozialer Brennpunkt, bekannt für seine Probleme mit Drogenabhängigen, Prostitution, illegalen Straßenhändlern und Taxifahrer sowie gewalttätigen Jugendlichen.

Farid Ouahabi, der die Brasserie Le Pari'Go betreibt, fürchtet: Mit dem Zentrum für Flüchtlinge komme noch mehr Elend in diese Gegend.

Neues Flüchtlingslager in Paris (Foto: DW/L. Louis)
Anwohner wie der Brasserie-Betreiber Ouahabi fürchten, ihr Viertel könne weiter in die Abwärtsspirale geratenBild: DW/L. Louis

"Mussten sie das Zentrum ausgerechnet hier bauen?", fragt er, während er einem Mann mittleren Alters einen Kaffee an der Bar serviert. "Alle meine Kunden beschweren sich über die Pläne. Wir haben jetzt schon genug von der Situation und machen uns Sorgen, dass es noch schlechter werden könnte", sagt Ouahabi im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Gegenüber seiner Bar arbeitet Fatiha, die lieber nicht ihren vollen Namen nennen möchte, in einer Crêperie. Wenn sie abends um 22 Uhr von der Arbeit kommt, muss sie 200 Meter zu ihrem Auto laufen, das in einer Tiefgarage parkt. "Ich habe Angst, dass mein Heimweg nun noch unheimlicher wird - vor allem, weil nur Männer im Flüchtlingszentrum leben werden", sagt Fatiha der Deutschen Welle.

Viele ihrer Kundinnen hätten Angst vor dem, was kommt - insbesondere mit Blick auf ihre Kinder, fügt Fatiha hinzu. "Eine Kundin erzählte mir, dass ihre 13-jährige Tochter jetzt jeden Tag von der Schule abgeholt werden möchte, weil sie sich nicht mehr sicher fühlt."

"Habt keine Angst"

Bruno Maurel vom Sozialverband Emmaüs Solidarité, der das Zentrum beitreiben wird, sagt: Die Menschen sollten aufhören, Angst vor Migranten zu haben. Stattdessen sollten sie sich auf die vielen guten Beispiele im Land konzentrieren. "In allen Unterkünften, in denen die Flüchtlinge aus Paris untergebracht wurden, läuft es sehr gut", berichtet Maurel. Das zeige doch, dass Frankreich sehr wohl in der Lage sei, Migranten auf anständige Weise willkommen zu heißen. "Wir schaffen hier in Paris etwas wirklich Innovatives und wir sollten optimistisch sein", so Maurel weiter.

Paris will Flüchtlinge von der Straße holen

Aber die Anwohner hatten auf ein anderes Projekt in ihrem Stadtviertel gehofft: Einen neuen Universitätscampus, der die Gegend aufgewertet hätte. Die Bauarbeiten für die Condorcet Universität für Human- und Sozialwissenschaften sollen im März 2018 beginnen. Vielen fürchten nun, das Projekt könnte sich verzögern oder gar platzen.

Die Vize-Bürgermeisterin Versini versichert derweil, die Universität werde wie geplant gebaut. "Unser Aufnahmezentrum wird hier nur 16 Monate bleiben. Wir suchen bereits nach einem anderen Standort für die Zeit danach." Die Unterkunft sei extra in Modulbauweise konzipiert worden, damit sie leicht ab- und woanders wieder aufgebaut werden könne.

Die Gegner, so Versini, seien in der Minderheit. "Die meisten Menschen wollen helfen und sind erleichtert, dass die Flüchtlinge endlich nicht mehr auf den Straßen von Paris kampieren müssen", sagt sie.