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Biographie über Berthold Beitz erschienen

25. Januar 2011

Er war einer der wichtigsten Industriellen der Bundesrepublik: Multifunktionär, Unterstützer der Ostpolitik, aber auch ein Förderer der Künste und der Wissenschaft. Jetzt ist ein Buch über ihn erschienen.

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Ausschnitt aus Buchcover: Berthold Beitz. Die Biographie
Berthold BeitzBild: Berlin Verlag

Berthold Beitz ist Manager der Deutschen Shell und erst 26 Jahre alt, als er 1939 nach Polen geschickt wird: Einsatz in der Ölindustrie. Das Nazi-Reich führt einen brutalen Krieg, es braucht den kostbaren Rohstoff, den es selbst nicht hat, der aber im von der Wehrmacht besetzten Gebiet vorhanden ist. Zwei Jahre später, als Hitlers Truppen tief in den Osten, in die galizische Erdölregion vorstoßen, übernimmt Beitz die Leitung der Förderanlagen in Boryslaw und die Verantwortung für 13 000 Arbeiter, viele davon Juden. Eine Entscheidung, die sein Leben prägen wird.

Der Manager als Retter

Sabina Wolanski und Berthold Beitz (Foto: Privatarchiv Beitz)
Die Überlebende und ihr Retter: Beitz mit Sabina WolanskiBild: Privatarchiv Beitz

In Boryslaw erleben der junge Manager und seine Frau das Wüten von SS und Einsatzgruppen, die Zerstörung der jüdischen Kultur und den Völkermord aus nächster Nähe. Sie helfen, wo sie können. Hunderte Verfolgte werden von ihnen gerettet, von Beitz eigenhändig aus Güterwaggons geholt, mit lebenswichtigen Papieren, Werksausweisen, Arbeitsgenehmigungen versehen, mit Essen und Kleidung versorgt. Er war, so ein Überlebender später, "ein Engel, der plötzlich in die Hölle kam". Die bescheidenen Retter indes haben selbst nie viel Aufheben von ihrer beherzten Tat gemacht. Jahrzehnte später – da ist Beitz schon von Israel als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet – sagt er anlässlich der Verleihung des Leo-Baeck-Preises: "Gemeinsam mit meiner Frau habe ich in der Zeit des organisierten Mordens Menschen zu helfen versucht, die in den Augen eines verbrecherischen Regimes nicht als Menschen galten. Gegen diese Menschenverachtung haben wir uns aufgelehnt. Was wir tun konnten, um jüdische und polnische Mitmenschen vor dem Schlimmsten zu bewahren, das ist gewiss nur unzulänglich gewesen. Wir waren keine Helden. Wir haben in jener Zeit auch unsere Ohnmacht gegenüber der braunen Gewalt schmerzhaft erlebt."

Aufstieg bei Krupp

Beitz in seinem Büro, Oktober 1963 (Foto: Historisches Archiv Krupp)
Beitz in seinem Büro, 1963Bild: Historisches Archiv Krupp

1952 lernt Beitz Alfried Krupp zu Bohlen und Halbach kennen und wird wenig später zum Generalbevollmächtigten des damals größten deutschen Industriekonzerns berufen. Ein Handschlag genügte, wie Biograph Joachim Käppner berichtet, um die Berufung des Außenseiters zu besiegeln und ein lebenslanges Vertrauensverhältnis zu begründen. Der charmante und elegante Beitz – Boulevardzeitungen rühmen ihn als Deutschlands attraktivsten Manager, der sowjetische Dichter Jewgenij Jewtuschenko als den "schönsten Kapitalisten, den ich je sah" – war fortan eine Schlüsselfigur des Konzerns. Er trug maßgeblich dazu bei, das Image des Unternehmens zu polieren, das als Waffenschmiede in Ersten und Zweiten Weltkrieg und wegen des Einsatzes von Zwangsarbeitern in Verruf geraten war. Als erstes Unternehmen zahlte Krupp Entschädigungen an ehemalige jüdische Sklavenarbeiter – freiwillig. Und von Rüstungsprojekten wollte man in Essen fortan nichts mehr wissen. "Beitz trägt die Botschaft um die Welt: Krupp ist kein Händler des Todes mehr", schreibt Biograph Käppner.

Ein Weltunternehmen im Wandel

Beitz bei Schah Reza Pahlewi, Februar 1977 (Foto: Historisches Archiv Krupp)
Audienz beim Schah 1977Bild: Historisches Archiv Krupp

Aus dem Essener Unternehmen wird ein weltweit agierender Koloss, ein Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs in der jungen Bundesrepublik. Umso schlimmer die Krise, die Krupp 1967 erfasst. Es wird nicht die letzte sein, aber sie führt zur Veränderung des Konzerns. Als Alfried Krupp 1967 stirbt, ist das Unternehmen in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt, das Familienvermögen in eine Stiftung überführt, Beitz, der Testamentsvollstrecker, wird 1970 Aufsichtsratsvorsitzender. Bis heute lenkt er als Kuratoriumsvorsitzender die Geschicke der Krupp-Stiftung – die Kultur, Kunst, Sport und Wissenschaft mit Millionenbeträgen fördert.

Unverkrampft, weltläufig

Früh schon knüpft Berthold Beitz Kontakte in alle Welt, bahnt Geschäftsbeziehungen an, empfängt ausländische Staatsgäste, reist selbst nach Indien, Brasilien, Iran, nach China. Doch vor allem der Austausch mit dem Osten liegt ihm am Herzen. Schon seit den 1950er Jahren fährt er nach Warschau, Sofia, Bukarest und Belgrad. In der Sowjetunion ist er Ehrengast der Regierung, ein "verständnisvoller Zuhörer", was Kanzler Adenauer ergrimmt und Zweifel an seiner "nationalen Zuverlässigkeit" laut werden lässt. Andere schätzen den weltläufigen Manager. US-Präsident John F. Kennedy sagt 1963 beim Deutschlandbesuch begeistert: "Endlich mal ein unverkrampfter Deutscher".

Wegbegleiter der Ostpolitik

Beitz mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Chrustschow, Mai 1963 (Foto: Historisches Archiv Krupp)
Mit Chrustschow im Kreml, 1963Bild: Historisches Archiv Krupp

Die guten persönlichen Beziehungen und Kontakte in Europas Osten ebnen auch der Politik den Weg. Beitz, der Mittler zwischen den Welten, ist in den Siebzigern aktiver Unterstützer der Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt, reist in den achtziger Jahren wiederholt in die DDR, hilft bei humanitären Angelegenheiten und Familienzusammenführungen, unterstützt Kliniken und Kirchen, nicht zuletzt in seiner pommerschen Heimat. 1983 erhält er die Ehrendoktorwürde der Universität Greifswald – eine von zahllosen Auszeichnungen im In- und Ausland – und sagt: "Jeder von uns, der in der Politik, in den Wissenschaften oder der Wirtschaft etwas zu bewegen versucht, begegnet opponierenden Meinungen und muss sich mit ihnen auseinander setzen. Wenn darin ein Wagnis liegt, so müssen wir es annehmen. Denn weder der innere noch der äußere Friede werden uns geschenkt."

Mit journalistischem Gespür

Beitz beim chinesischen Ministerpräsidenten Tschou Enlai, Mai 1973 (Foto: Historisches Archiv Krupp)
Bei Chinas Ministerpräsident Tschou En Lai, 1973Bild: Historisches Archiv Krupp

Joachim Käppner, der mit dem zurückgezogen lebenden Beitz eine Reihe von Interviews führen konnte und auch Zugang zum Archiv der Krupp-Stiftung hatte, schildert dieses Jahrhundertleben anschaulich, detailreich, gewürzt mit Anekdoten und mit einem journalistischen Gespür für Situationen und Menschen. Man merkt der Biographie an, dass sie von einem hohen Maß an Respekt und Sympathie für den Porträtierten geprägt ist. Anbiedernd ist sie trotzdem nirgends. Auch über den Privatmann Beitz erfährt man einiges: Dass er ein Familienmensch ist, seit 1938 mit seiner Frau Else verheiratet, Kinder und Enkelkinder hat. Er ist ein leidenschaftlicher Jäger, begeisterter Segler, den Künsten und der Kultur gegenüber aufgeschlossen.

Machtmensch - Gefühlsmensch

Buchcover Joachim Käppner: Berthold Beitz. Die Biographie (Berlin Verlag)
Buchcover

Berthold Beitz hat sich, wie Käppner immer wieder betont, stets ein hohes Maß an innerer Unabhängigkeit bewahrt. Bis heute ist er weder Mitglied eines Vereins, noch einer Partei. Er hält Abstand zu den Funktionären der Industrieverbände. Berührungsängste vor den so genannten "kleinen Leuten" hat er nie gekannt. Auf guten Kontakt zu seinen "Kruppianern" legte er Wert. Beitz agiert oft spontan, intuitiv – "aus dem Bauchgefühl heraus", schreibt sein Biograph -, er hat Humor, aber er ist auch ein Machtmensch, durchsetzungsstark, ungeduldig. Vom Ruhestand mag Beitz nichts wissen, fährt auch mit fast 98 noch täglich ins Büro. Joachim Käppner schildert ihn als einen der letzten Vertreter einer fast verschwundenen Spezies: einen in hohem Maße ethisch geprägten Unternehmer, meilenweit entfernt von den heute üblichen Heuschrecken, Hedgefonds-Managern und Bonusjägern. Beitz, ein Repräsentant der guten, alten sozialen Marktwirtschaft. Und so lautet denn der Schlusssatz des Buches zutreffend: "Doch, einzelne Menschen können die Welt verändern. Jedenfalls ein Stück weit".

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Gabriela Schaaf

Joachim Käppner: "Berthold Beitz. Die Biographie"

Berlin-Verlag, 621 Seiten

ISBN 978-3-8270-0892-3

€ 36,-