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"Von Gesetzen eingeholt"

8. Oktober 2009

In den internationalen Medien ist das Urteil des römischen Verfassungsgerichts überwiegend positiv aufgenommen worden. Die Zeitungen sehen die Rechtstaatlichkeit Italiens gewahrt und fordern Konsequenzen.

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Themenbild Presseschau
Bild: DW

Die linksliberale Tageszeitung "La Repubblica" aus Rom begrüßt die Entscheidung:

"Wenn man von den rituellen Kommentaren Berlusconis, dass alle Richter Kommunisten seien, und von den Drohungen des Lega-Partei-Chefs Umberto Bossi, den Zorn des Volkes anzuführen, einmal absieht, ist die Entscheidung des Verfassungsgerichts so ausgefallen, wie sie ausfallen musste. Nichts war in Wirklichkeit selbstverständlicher als die Ablehnung eines Gesetzes, mit dem sich der italienische Zar seine Immunität eigens geschaffen hatte. Die Polemik, die heute die römischen Regierungspaläste entflammen, spricht denn auch nicht mehr von der Entscheidung selbst, sondern über den Konflikt um die Vorherrschaft zwischen dem Recht und dem Wähler-Mandat. Wie Berlusconi bei einem Prozess 2003 erklärte: 'Es ist richtig, dass alle vor dem Gesetz gleich sind, aber ich bin gleicher, weil mich die Mehrheit des Volks gewählt hat.' Das ist auch das, was er heute sagt und morgen sagen wird. Traurige Tage erwarten uns."

Die britische Zeitung "The Times" aus London fordert Konsequenzen:

"Berlusconi hat das Urteil des Verfassungsgerichts als Komplott seiner politischen Feinde aufgefasst. Das war es gewiss nicht. Es wurde hervorgerufen durch ernste Sorge über die Ehrlichkeit eines Mannes an der Spitze einer Regierung einer wichtigen westlichen Demokratie. Wenn der Prozess in Mailand wieder aufgenommen wird, wird Berlusconi wie jeder andere Bürger auch vor Gericht erscheinen müssen. Doch das Verfahren wird eine gewaltige Ablenkung von seiner Tätigkeit als Ministerpräsident bedeuten. Er hat versucht, über den Gesetzen zu leben. Nun wird er von den Gesetzen eingeholt. Es ist höchste Zeit, dass Berlusconi damit aufhört, seine eigenen Interessen über die des Landes zu stellen. Er sollte zurücktreten."

Die niederländische Zeitung "de Volkskrant" aus Amsterdam sorgt sich um die Folgen für die politische Kultur Italiens:

"Berlusconi versucht schon seit Jahren, sich allen Versuchen zu entziehen, ihn strafrechtlich zu verfolgen. Nun aber kann doch noch direkt gegen ihn ermittelt werden wegen des Verdachts auf Beteiligung an der Bestechung eines Richters durch Fininvest, die Holding der Berlusconi-Familie. Zudem kann der Ministerpräsident und Geschäftsmann erneut vorgeladen werden, in einem Prozess um das Einsetzen von Strohmännern, die ihm die Kontrolle über Fernsehsender in Spanien und Italien sicherten. Das jetzige Urteil kann erhebliche Folgen für die Stabilität der italienischen Regierung und das politische Klima in Italien haben."

Die "Neue Zürcher Zeitung" aus der Schweiz befasst sich mit den möglichen Folgen:

"Die politischen Folgen des spektakulären Urteils sind noch kaum abzuschätzen, die Zukunft des italienischen Regierungschefs ist aber ungewiss. Berlusconi hat zwar einen Rücktritt sofort ausgeschlossen. Bereits angeschlagen durch die Gerüchte um sein skandalumwittertes Privatleben, hat er nun aber zu gewärtigen, dass mindestens zwei Verfahren gegen ihn automatisch wiedereröffnet werden. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung wird es zwar noch dauern, aber das Damoklesschwert einer drohenden Verurteilung wegen Korruption oder Steuerhinterziehung wird Berlusconi und das ganze Mehrheitslager zusätzlich schwächen."

Die "Rheinische Post" aus Deutschland sieht das Urteil mit einer gewissen Genugtuung:

"Italien bleibt ein Rechtsstaat, in dem nicht jeder machen kann, was er will. Das beruhigt das Volk und verschafft dem Regierungschef unruhige Zeiten. Silvio Berlusconi wollte mit einem Gesetz erreichen, dass die Inhaber der höchsten Staatsämter während ihrer Amtszeit nicht mit Gerichtsverfahren belästigt werden können. Das wäre vor allem ihm selbst zugute gekommen und hätte ihn unter Artenschutz gestellt. Das Verfassungsgericht hat dem wohl einen Riegel vorgeschoben und das Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Damit ist der Regierungschef nicht vor Strafverfolgung geschützt. Das könnte das politische Ende des virilen Staatsmannes sein, der in letzter Zeit mehr durch pikante Aspekte seines Privatlebens Schlagzeilen machte, als durch handfeste Politik in der globalen Finanz- und Wirtschaftkrise. Berlusconi bekommt gravierende Probleme, denn ihm drohen nun mehrere Wiederaufnahmeverfahren wegen Korruption und Beeinflussung der Justiz. Sollte die italienische Justiz wirklich die Kraft dazu finden, muss Berlusconi sein Amt niederlegen. Ein Regierungschef als Angeklagter vor Gericht würde das Ansehen des Staates beschädigen. Er würde die Glaubwürdigkeit des Amtes ruinieren und Italien international schwächen."

Und das "Luxemburger Wort" merkt an:

"Italien ist ein schönes, aber kein einfaches Land. Es hat seine Launen, seine Schattenwirtschaft, seine Schattenpolitik. Doch Italien ist nicht nur das Land von Machiavelli, Andreotti und Berlusconi. Italien ist auch das Land von Cicero, Don Sturzo und von 15 unbekannten römischen Verfassungsrichtern, die gestern mit ihrer Entscheidung, die juristische Immunität Berlusconis aufzuheben, die rechtsstaatliche Ehre der Stiefelrepublik gerettet haben. Die Botschaft des überfälligen Urteils ist klar: Niemand in Italien ist juristisch unantastbar. Auch nicht, wenn er Milliardär ist, populistischer Premier, oder einen Großteil der nationalen privaten und staatlichen Medien direkt oder indirekt kontrolliert. Straffreiheit kann man sich auch in Rom weder erkaufen, noch erwählen, noch erschreiben lassen. Berlusconi muss sich nun wieder der Justiz seines Landes stellen. Etwa wegen des Vorwurfs der Bestechung und des Steuerhinterzugs. Nicht als Premier, sondern als Bürger. Mit Pflichten, Rechten und Unschuldsvermutung! Dennoch sind die Rücktrittsforderungen der Opposition zumindest politisch nicht völlig unberechtigt."

Autor: Frank Wörner
Redaktion: Heidi Engels