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Berliner Unterwelten

Nadine Wojcik13. Juli 2008

Knapp 50 Jahre lang war es in der Berliner Unterwelt stockfinster. 1997 knipste dann ein eigens gegründeter Verein das Licht in den Bunker-Anlagen Weddings wieder an und führt heute Gruppen durch die alten Bunker.

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Ein Team des Berliner Unterwelten Vereins in einem Schutzbunker (Foto dpa)
Geschichte hautnah erleben: eine Gruppe im Schutzbunker unter der HauptstadtBild: picture-alliance/ dpa

Der Zugang zur Unterwelt ist ganz unscheinbar: eine einfache Stahltür. Kaum einer der Passanten, die hier täglich auf ihrem Weg zur U-Bahn vorbeilaufen, würde hinter dieser Tür eine eigene Welt vermuten.

Kaum hat sich die Stahltür hinter der Gruppe geschlossen, entsteht bei den Besuchern eine gedämpfte Stimmung und verunsichert laufen sie hinter ihrem Tourguide Wolfram Siever her. Der 32-Jährige ist eigentlich gelernter Schreiner, doch vor einigen Monaten konnte er seine private Leidenschaft, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, zum Beruf machen. Die Touristengruppe fühlt sich noch nicht so richtig wohl in der Berliner Unterwelt, doch Siever bemüht sich, das unsichere Gefühl seiner Gruppe mit Erzählungen zu vertreiben.

Gruppe erforscht ehemalige Bunker (Foto dpa)
Der Verein erforscht die unterirdischen Bauten BerlinsBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Historischer Sprachkurs

"Weitere Hinweise befinden sich an der Tür: Zum Frauen-Abort, zum Männer-Abort, wer kann mit diesem Begriff etwas anfangen?", fragt Siever in die Runde. "Abort - das ist ein Klo!", antwortet die 9-jährige Sophia aus Niederbayern prompt. Was wie ein einfacher Hinweis wirkt, entpuppt sich in Sievers Erzählungen als ein Verweis auf historische Ereignisse. Denn weder die Abkürzung "WC" – die englische Kurzform für "Water Closet" – noch das französische Wort "Toilette" durften während des Krieges in Deutschland benutzt werden.

"Mit diesen beiden Ländern befanden wir uns im Krieg, und die Nationalsozialisten wollten die deutsche Sprache, wie man sagte, 'Re-Germanisieren', also die Fremdwörter beseitigen", erklärt Siever.

Eingepfercht im Schutzkeller

Die Touristen folgen Siever durch die unterirdischen Gänge und steigen eine Treppe hinunter. In Vitrinen sind hier Gasmasken in allen Größen ausgestellt – angefangen von Gasschutzbettchen für Säuglinge bis hin zu überdimensionalen Gasmasken für Pferde.

In einem sehr kleinen Raum bittet Wolfram Siever die Besucher auf sehr schmalen Holzbänken Platz zu nehmen. "So wie sie hier sitzen, saß die Bevölkerung in den Luftschutzkellern." Siever beschreibt das Gefühl der knapp werdenden Luft im Bunker und die fehlenden Belüftungsanlage. Und obwohl keiner der Anwesenden einen Luftangriff jemals miterlebt hat, erinnert sich jeder an die traumatischen Bunkergeschichten der eigenen Großeltern.

"Ziemlich eng - und wenn man denkt, dass über einem die Bomben einkrachen, da hat man richtig Angst. Meine Oma hat mir das mal erzählt. Wenn sie die Sirenen gehört haben sind alle runtergelaufen", berichtet die Touristin Sophia Maurer.

Atom-Schutzbunker unter der Ku-Damm-Karree
In diesem Atom-Schutzbunker unter der Ku-Damm-Karree können im Notfall 3500 Menschen Platz findenBild: picture-alliance / dpa

Mit Humor gegen die Angst

"Man begann damit, Berlin umzubenennen. Man sagte, Berlin sei die Stadt der 'Warenhäuser': da war 'n Haus, dort war 'n Haus und dort war 'n Haus", fängt Siever an zu spaßen.

So allmählich, wie Berlin nach dem Krieg aus diesen Trümmern wiederauferstanden ist, soll auch die ehemalige Bunker-Anlage wieder zu neuem Leben erweckt werden. Erst 1997 mietete der Berliner "Unterwelten Verein" die Anlagen von der Stadt Berlin an, und mittlerweile sind die Führungen des Vereins immer sehr gut besucht.

Die Gruppe ist mittlerweile in einem Raum angekommen, wo damals eine Bunker-Feuerwehr untergebracht war, die nach einem Luftangriff immer die Ein- und Ausgänge des Bunkers von Schutt frei räumen musste. "Diese Männer saßen hier mit ihrem Werkzeug, und wenn es dunkel war, weil der Strom ausgefallen war, wären die sich gegenseitig über den Weg gerannt. Man hätte sich gegenseitig die Schaufel über den Kopf gezogen", erklärt Siever. Plötzlich knipst er das Licht aus, doch im Raum bleibt es hell. Der Trick: Die Wände wurden damals mit Phosphor bestrichen. Und das leuchtet sogar noch bis heute.

In dem hell beleuchteten Raum zeigt sich deutlich das Besondere an den Führungen des Berliner Unterwelten Vereins. Sie holen die Vergangenheit ins hier und heute und machen damit Geschichte wieder für alle erlebbar.