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Berlin ist weit

Darius Cierpialkowski, Moskau20. August 2002

Die deutsch-russischen Beziehungen sind für den Kreml wichtig, aber der Kampf ums Kanzleramt reißt die Russen nicht gerade vom Hocker. Nur beim Thema Irak hört man in Moskau genau hin. Darius Cierpialkowski berichtet.

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Wenn Präsident Putin aus den prächtigen Fenstern des Kreml gen Westen blickt, sieht er vor allem eins, sein Heimatland Russland. Erst weit weit am Horizont schimmert in der Ferne Deutschland. Das heißt jedoch nicht, dass die deutsch-russischen Beziehungen für Moskau eine untergeordnete Rolle spielen, ganz im Gegenteil.

Wirtschaft statt Wahlkampf

Russland pflegt mit Berlin einen intensiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dialog. Für Unternehmer aus Köln, Hamburg oder München stehen die Kremltore weit offen und innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland ein wichtiger Ansprechpartner für die Russen. Aber die Bundestagswahl, fernab im Westen wird sowohl von den russischen Medien, als auch von der offiziellen Politik nur beiläufig registriert.

Schröder oder Stoiber, das scheint den machtgewandten russischen Präsidenten nicht wirklich zu interessieren. Bestimmte Vorlieben lassen sich beim Pragmatiker Putin jedenfalls nicht erkennen. Natürlich ist Deutschland ein wichtiger Partner, aber wer auch immer demnächst im Kanzleramt am Bürotisch sitzen und aus dem Fenster gen Osten blicken wird, der Kremlchef wird mit ihm schon eine gemeinsame Sprache finden. Deutsch beherrscht er jedenfalls exzellent, wie wir seit seiner Rede vor dem Bundestag wissen.

Harter Verfechter russischer Interessen

Während Schröder und Stoiber gleichermaßen vom Ausbau einer strategischen Partnerschaft mit Russland träumen, geht es Putin vor allem darum, die Interessen seines Landes zu schützen - und er ist ein hervorragender Anwalt der Russischen Föderation. Als es etwa im April um die Höhe der Abzahlung russischer Altschulden an Deutschland ging, zeigte er sich äußerst hartnäckig. Gerade mal eine halbe Milliarde Euro versprach Russland zurückzuzahlen, Experten erwarteten ein Vielfaches davon. Wie schrieb doch eine russische Tageszeitung anläßlich des Stoiber-Besuchs in Moskau: "Wer Kanzler in Deutschland werden will, kann es sich nicht erlauben, Moskau links liegen zu lassen."

Deutsche Wahlkampfthemen wie der Streit um den Arbeitsmarkt, die Umwelt- oder Bildungspolitik locken in Russland keinen hinterm Ofen hervor. Ein außenpolitisches Reizthema sorgte aber für Aufmerksamkeit: Irak. Als sich Gerhard Schröder klar von der amerikanisch-britischen Irakpolitik distanzierte, gefiel das den russischen Medien so sehr, dass sie die kritischen Passagen seiner Rede gleich mehrfach und in längeren Ausschnitten als üblich zeigten. Die meisten Medien stehen unter der Kontrolle der russischen Regierung und die ist genauso wie Schröder gegen einen vorschnellen Einmarsch im Irak.

Volksglaube gebietet Zurückhaltung

Natürlich wird hinter manch einer Kremltür darüber spekuliert, wer wohl besser den russischen Interessen entgegenkäme, der Sozialdemokrat Schröder oder Stoiber, der politische Enkel von Franz Josef Strauß. Doch so kurz vor der Wahl will Putin weder dem amtierenden Bundeskanzler noch seinem Herausforderer auf die Füße treten. Ein russischer Volksglaube besagt, dies würde nur Unglück bringen. Der Präsident blickt also aus dem Kremlfenster gen Westen und wartet geduldig, wen die Deutschen am 22. September zu ihrem Kanzler wählen werden.