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Berlin ist keine Fußballhauptstadt

Jonathan Harding 12. September 2015

Seit Jahrzehnten keine Meisterschaft, immer wieder Abstiege, keine Stimmung im Stadion, wenig Geld. Deutschland ist Weltmeister, aber warum kann die deutsche Hauptstadt eigentlich keinen Fußball?

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Reichstag Fußballspieler
Bild: picture-alliance/dpa

Paris hat PSG. Madrid hat Real. Rom den AS Rom. In London hat man sogar die freie Auswahl. Aber Berlin? Hertha BSC und Union. Klingt nach einer anderen Liga. Noch komplizierter als das Verhältnis der beiden lokalen Konkurrenten zueinander ist das der deutschen Hauptstadt zum Fußball.

Viele Berliner Vereine sind in den vergangenen 70 Jahren über die wirtschaftlichen und politischen Hürden gestolpert und zum Teil auch auf der Strecke geblieben. Hertha und der 1. FC Union haben da noch den wenigsten Schaden genommen. Dabei teilen die beiden die Stadt wie es die Mauer tat, bevor sie vor 26 Jahren niedergerissen wurde. Die Hertha-Fans im Westen, die Anhänger der Union im Osten.

Als Folge des Zweiten Weltkriegs war die Hertha eine von der Außenwelt abgeschnittene Insel in Westberlin, und sie blieb es bis 1990. Diese lange Isolation kam sie teuer zu stehen, sagt Uwe Bremer von der "Berliner Morgenpost". "Hier fehlen fast 50 Jahre an Entwicklung für die Hertha im Vergleich zu anderen Klubs. Und dazu war sie von 1983 bis 1997 noch nicht mal in der Bundesliga vertreten. Dadurch ist die Fußball-Begeisterung über eine ganze Generation nicht weitergegeben worden", analysiert Bremer.

"Man kann nicht sagen, dass den Berlinern die Hertha egal wäre", sagt Bremer. "Schon in der zweiten Liga kamen 40.000 Zuschauer im Durchschnitt, jetzt sind es sogar um die 50.000. Es kommt einfach darauf an, wo in Berlin man sich befindet."

Vom Pech, auf einer Insel zu leben

Aber die geographische Lage ist nicht nur ausschlaggebend für die Fan-Basis, sondern auch Grund dafür, dass Berlin so sehr in seiner fußballerischen Entwicklung zurückgeblieben ist. Die Hauptstadt hat nicht die ökonomische Bedeutung wie etwa London oder Paris. In Deutschland sind die Rollen, absichtlich oder nicht, geteilt: Frankfurt ist die Business-Metropole und Heimat der Deutschen Fußballliga (DFL), während in München mit dem FC Bayern das erfolgreichste Fußball-Team spielt. In Berlin dagegen hat sich die kreative Szene breit gemacht, die Kulturlandschaft ist ausgeprägt, der Wohnraum vergleichsweise billig. Für Fußball war da lange wenig Platz. Das hat sich zwar in den letzten Jahren geändert, aber es gilt, die Gunst des Publikums und der Sponsoren zu teilen: Von Basketball über Eishockey beheimatet Berlin 72 Spitzenmannschaften.

Berlin kann fußballerisch noch nicht einmal mit Dortmund, Stuttgart oder Frankfurt mithalten, obwohl diese Städte viel kleiner sind. Das Konzept 'kleine Stadt, große Leidenschaft', ist, so Bremer, ein Erfolgsgeheimnis, das abei allzu oft vergessen wird. Hier gibt es unglaubliche Unterstützung für die Clubs, schon allein, weil der Fußball das Herz der Gemeinschaft bildet. Und konkurrenzlos dasteht. Nichts davon trifft auf die Hertha zu.

Ungeliebtes Stadion, ungeliebte Hertha

Auch innerhalb der eigenen Stadt hat es Hertha BSC nicht geschafft, sich zu etablieren. Im ehemaligen Osten bringt sie keinen Fuß auf die Erde, und auch die Heimspielstätte scheint nicht attraktiv genug. Das alte Olympiastadion mit seiner Leichtathletik-Laufbahn, jährlich Gastgeber des DFB-Pokalfinales, ist eher eine Sache Berlins, nicht der Hertha. Dabei hätte, so erzählt Bremer, alles anders laufen können. Vor der WM 2006 hatte das Land 250 Millionen Euro für die Sanierung des Olympiastadions bereit gestellt, eine komplett neue reine Fußballarena aber hätte der Club aus eigener Tasche finanzieren müssen. Viele Hertha-Fans glauben heute, die Distanz zum Spielfeld, die Trennung durch die Laufbahn, koste jede Saison drei bis vier Punkte - weil die rechte Stimmung im weiten Rund nicht aufkommen mag.

Bildergalerie Olympiastadion Berlin
Keine reine Fußballarena - im Olympiastadion kommt bei Hertha-Spielen selten Stimmung aufBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

"Hertha BSC hat es komplett verpasst, sich mit Berlin zu entwickeln", sagt der Berliner Sportjournalist Kit Holden. "Während Berlin von einer verschrobenen Stadt zu einer Metropole wurde, ist die Hertha ein verschrobener Club geblieben."

Union als Gegenpol

Auf der anderen Seite der Stadt hat sich Union zu einem Dauergast in der zweiten Liga gemausert. Dabei hat der Fan-Aspekt zu größerer Aufmerksamkeit geführt als die sportlichen Erfolge. Die Anhänger haben Geld gespendet, haben ehrenamtlich mitgearbeitet, um den Verein am Leben zu erhalten. Uwe Bremer erklärt das damit, dass es eben einfacher sei, der kleine Bruder zu sein. Der 1. FC Union hat es geschafft, eine Nische unterhalb der Bundesliga zu finden. Vielleicht ändert sich das jetzt mit dem neuen bundesliga-erfahrenen Trainer Sascha Lewandowski - aber auch wenn nicht: Die Fans würde es nicht stören.

Weihnachtssingen beim 1. FC Union Berlin
Ost-Club Union Berlin spricht die Gefühlsebene an. Volksnah, wie hier beim traditionellen Weihnachtssingen im StadionBild: picture-alliance/dpa

Die Hertha dagegen scheint nicht recht zu wissen, was sie sein möchte. Schon bevor Berlin wieder Hauptstadt wurde, waren überzogene Erwartungen eher Last denn Motivation, aber nicht nur für die Hertha. Bremer versucht zu erklären, wie Berlin funktioniert: "Wir haben zwar keine Berge, aber wenn wir sie hätten, wären sie die höchsten der Welt." Und schon der große Dichter Theodor Fontane sagte: "Vor Gott sind alle Menschen Berliner." Fußball-Legende Franz Beckenbauer bezeichnete die Hauptstadt Mitte der 90er-Jahre als "schlafenden Riesen" und hat ihr damit wohl auch keinen guten Dienst erwiesen. Als dann auch noch Dieter Hoeneß mit seinen anfänglichen Erfolgen als Hertha-Manager das Wort 'Erfolg' neu definierte, wollten alle zu viel, und das auch noch zu schnell.

Es fehlt das Geld

Die Berliner schafften es 1999 in die Champions-League, Siege über internationale Größen wie den FC Chelsea oder den AC Mailand wurden ab sofort als selbstverständlich vorausgesetzt. Aber der Club scheiterte immer wieder äußerst knapp an der erneuten Teilnahme an der Königsklasse. Für viele ein Versagen nach den jüngsten Erfolgen, und diese Hybris hätte die Hertha in der Folge fast die Existenz gekostet.

Seit dem Aufstieg im Jahr 1997 musste der Verein noch zweimal zurück in die zweite Liga, was natürlich auch mit argen finanziellen Einbußen einher ging, werden doch die TV-Gelder nach einem Fünf-Jahres-Schlüssel verteilt. So hat die Hertha auch wirtschaftlich den Anschluss verloren. Während andere am großen Kuchen teilhaben dürfen, werden in Berlin kleine Brötchen gebacken. Oder Schrippen.

Es ist nicht so, dass sie es nicht versucht hätten. Hoeneß´ Nachfolger als Manager, Michael Preetz, hat die Ausgaben gesenkt und die Finanzen neu geordnet und damit die Zukunft des Clubs gesichert. Die Jugendakademie leistet vorzügliche Arbeit, allein fünf ihrer Talente waren bei der WM 2014 dabei. Hier spielen mehr Profis, die auch in der Stadt geboren wurden, als bei jedem anderen Bundesligaverein. Aber trotz all dieser Erfolge steht Preetz im Schatten des mächtigen Club-Präsidenten Werner Gegenbauer. Er ist unantastbar, lässt seinen Manager stets im Ungewissen und scheint jedem seiner Trainer ständig über die Schulter zu schauen.

Hertha Manager Michael Preetz
Manager Michael Preetz: Gute Ideen, aber immer mit begrenzten MöglichkeitenBild: Boris Streubel/Bongarts/Getty Images

Und so sind beide, Berlin und der Fußball, offenbar zu schnell für die Hertha. Die Stadt an sich reizt natürlich die Spieler und ihre Familien, aber sie ist auch ständiger Unruheherd - begleitet von sechs täglich erscheinenden Zeitungen. Der Sport könnte weltspitze sein, aber in einer Stadt, die von allem alles haben möchte, ist er eben nur einer von vielen.

Auf der Suche nach dem Ich

Sportjournalist Bremer wünscht sich nur eines: eine Saison ohne Drama. "Du musst schon eine Menge Leidenschaft mitbringen, um Hertha-Fan zu sein," sagt Bremer mit einem wissenden Schmunzeln, "Ich habe mal in der Kurve ein Schild gesehen: 'Erst Hertha, dann Sex'. So ist das wohl."

"Berlin braucht den Fußball nicht, wie andere Städte den Fußball brauchen", sagt sein Kollege Holden. "Und Fußball hat Berlin noch nie gebraucht, wie andere Subkulturen die Stadt brauchten". Berlin braucht die Hertha nicht, denn inmitten von Chaos und Buntheit hat die Stadt längst ihre Identität gefunden. Wie am anderen Ende Berlins der 1. FC Union - als Underdog und Verein der Fans. Die Hertha dagegen muss ihre Identität wohl erst noch finden.