1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Berlin Heijo!

Peter Stützle16. Februar 2007

"Was schimpfen alle auf die Politiker? Die tun doch nichts!“ So tönt es dieser Tage aus manch einer Bütt. Weit gefehlt: Während halb Deutschland dem Karnevalstaumel verfällt, tun die Politiker in Berlin noch allerhand.

https://p.dw.com/p/9sDn

Deutschland ist wieder geteilt. Entlang Rhein und Donau samt ihren Nebenflüssen haben die Tollitäten das Regiment übernommen, entlang Oder und Elbe blickt man mit einem gewissen Unverständnis auf das seltsame Benehmen der dortigen Bevölkerung. Ein Nebenfluss der Elbe ist die Havel und in die Havel mündet die Spree. Die fließt träge durch das Berliner Regierungsviertel, entlang dem Reichstag mit seiner Kuppel und dem Jakob-Kaiser-Haus mit seinen hunderten von Abgeordneten-Büros. In diesem Jakob-Kaiser-Haus nun tritt jedes Jahr zu Weiberfastnacht, also dann, wenn am Rhein kostümierte Frauen den Beamten die Krawatten abschneiden, eine subversive Zelle rheinischen Frohsinns in Aktion, die mit dem Regierungsumzug vor acht Jahren aus Bonn eingeschleust wurde.

"Bußgeldbewehrt verboten"

Doch während in Bonn an den närrischen Tagen wirklich alles stillstand, versucht die Regierung in Berlin weiterzuregieren. So verabschiedete sie am Mittwoch einen Gesetzentwurf gegen den - ausgerechnet - Alkoholgenuss von Führerschein-Neulingen. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, geboren im faschingsverrückten München, erklärte anschließend: „Die Bundesregierung setzt mit diesem Gesetzentwurf ein klares Signal, dass fahren und trinken nicht miteinander vereinbar sind.“ Also erst trinken und dann fahren? Nein, so war das nicht gemeint. Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee aus dem weitgehend karnevalsfreien Leipzig formulierte präziser: „Künftig soll es bußgeldbewehrt verboten sein, in der Probezeit als Fahrer alkoholische Getränke zu sich zu nehmen oder die Fahrt unter der Wirkung eines solchen Getränkes anzutreten.“

Überhaupt hatte es die Bundesregierung in der vergangenen Woche mit dem Verkehr. So erläuterte Familienministerin von der Leyen in einer Pressekonferenz: „Per Gesetz ist es verboten, über eine rote Ampel zu fahren. Das heißt, der, der Auto fährt, darf nicht erst zehn Mal drüberfahren in der Hoffnung, dass er nicht erwischt wird, sondern muss sich an das Gesetz halten.“ Was von der Leyen allerdings im übertragenen Sinn meinte. Denn ihr ging es darum, vor brutale Videospiele eine rote Ampel zu setzen, damit Kinder und Jugendliche da nicht mehr rankommen. Ein absolut ernstes Thema, so wie es die Ministerin aus dem besonders karnevalsresistenten Niedersachsen auch sonst nicht gerade spaßig hatte in dieser Woche. Mit ihrem Vorstoß, die Betreuungsplätze für Kinder ab einem Jahr massiv auszubauen, musste sie viel Kritik aus den eigenen Reihen hören: Sie diskriminiere Mütter, die ihre Kinder nicht möglichst schnell weggeben wollen.

Heiterkeit, Jokus und regionale Erfordernisse

Die Mitarbeiter der Politiker, die für derlei Schlachten normalerweise die Büchsen spannen müssen, sie wollten zumindest an Weiberfastnacht nichts von alledem wissen. Ab 13 Uhr 11 - zwei Stunden später als es rheinischer Tradition entspricht - ließen sie sich in erwähntem Jakob-Kaiser-Haus einfach gehen. Und zwischen viel „Kölle Alaaf“ mischte sich auch manch ein „Berlin Heijo“. Das steht für „Heiterkeit und Jokus“, und schon diese altertümliche Wortwahl beweist: Es gibt sie doch, die Berliner Karnevals-Tradition. Nur halt nicht so offen auf der Straße wie am Rhein. Und eigentlich heißt es hier auch nicht Karneval, sondern Fasching - gemäß der historisch innigen Beziehung zwischen Bayern und Preußen.

So ist es eben mit der Eigenheit der Regionen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zollte ihr Tribut, in einer Rede vor dem Bundesrat, in der sie sagte: „Aufgaben können, den regionalen Erfordernissen entsprechend, auf unterschiedliche Weise in Angriff genommen werden.“ Was mit der europäischen Verfassung gewährleistet werden soll, für die sich die Kanzlerin stark macht. Vielleicht erzählt ihr ja ein Mitarbeiter des Kanzleramts, der im Jakob-Kaiser-Haus mitgefeiert hat, wie wichtig die gerade für die närrische Jahreszeit ist.