1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die letzten Tage im "Führerbunker"

Sertan Sanderson
27. Oktober 2016

Sensationslüstern oder aufklärend? In Berlin rekonstruiert eine Ausstellung die Räume des Führerbunkers. Besucher erleben, was sich in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs unter der Hauptstadt dort abspielte.

https://p.dw.com/p/2RnfQ
Deutschland | Austellungseröffnung Führerbunker Hitlers Arbeits- und Wohnzimmer
Bild: picture-alliance/dpa/W. Klumm

Mehrere Stockwerke unter der Erde harren Tausende Menschen im Bunker am Anhalter Bahnhof in Berlin aus und hoffen aus ein Ende des Bombenkriegs. Tage vergehen ohne Nahrung, während die Menschen in den von Fäkalien verschmutzen und übel riechenden Räumen darauf warten, wieder an die Oberfläche kommen zu dürfen.


Nur etwa einen Kilometer entfernt wird groß gefeiert. Im Führerbunker herrscht Ausgelassenheit, vielleicht ist es auch eine Art perverse Endzeitstimmung, doch hier fließt der Champagner, als sei der Sieg nahe. Ferner könnte die Realität nicht sein, aber der Führer hat schließlich Geburtstag.


So extrem waren wohl die Kontraste im Berlin der letzten Tage vor dem Kriegsende. Beide Bunker sind seit dem Zweiten Weltkrieg schon längst zu Touristenattraktionen geworden sind. Wie es damals wirklich in Hitlers Bunker aussah, das will jetzt die Ausstellung "Dokumentation Führerbunker" näher beleuchten.


Faszination Führerbunker


Die neue Ausstellung im "Berlin Story Bunker" am Anhalter Bahnhof verdeutlicht diese Gegensätze, indem sie die kargen Betonwände des Zivilbunkers der luxuriösen Ausstattung des Führerbunkers gegenüberstellt. Während einer 90-minütigen Führung durch die unterirdischen Gewölbe werden Geschichten aus dem Krieg erzählt, die nur selten in Dokumentationen über den Nationalsozialismus erwähnt werden.


Kernpunkt der Ausstellung ist eine maßgetreue Rekonstruktion von Hitlers Arbeitszimmer. Es wirkt klein und eher untypisch für den Diktator, der über seiner Welthauptstadt Germania den größten Bau der Welt errichten wollte. Über dem Pult hängt ein Bildnis von Friedrich dem Großen - doch selbst Hitlers Vorbild wirkt eher gestaucht in der Enge der Räumlichkeiten.

Deutschland | Ausstellungseröffnung Dokumentation Führerbunker | Enno Lenze
Enno Lenze meint, dass dem Extremismus nur durch Aufklärungsarbeit vorgebeugt werden könne Bild: DW/S. Sanderson


"Das hier ist kein Hitler-Showroom, sondern ein ehrgeiziges Projekt von einem Verein, der sich mit Geschichte beschäftigt. Deswegen können Sie auch nicht mal eben schnell durch die Ausstellung rennen und das Arbeitszimmer von Hitler sehen, sondern nehmen erst einmal an einer langen Führung teil", erklärt Enno Lenze, Vorstandmitglied von des Vereins Historiale e.V., der die Ausstellung ins Leben gerufen hat. 


Vorwurf: "Hitlertourismus"


Lenze beteuert, an der Ausstellung gäbe es nichts Sensationslüsternes. Ihm werde häufig vorgeworfen, mit der Hitler-Ausstellung nur schnelles Geld verdienen zu wollen. Dem sei aber nicht so: "Ich hätte mir ja auch einen Ferrari von dem Geld kaufen können, das ich in dieses Projekt gesteckt habe. Aber ich wollte lieber etwas Sinnvolles damit machen."

Deutschland | Ausstellungseröffnung Dokumentation Führerbunker | Wieland Giebel
Wieland Giebel meint, die Ausstellung sei keine Hitler-ShowBild: DW/S. Sanderson


Dem schließt sich auch Wieland Giebel an. Giebel ist der Vorstandsvorsitzende des Vereins und gibt, wie auch Enno Lenze, Führungen durch das unterirdische Labyrinth. "Hitlertourismus" sei genau das Gegenteil von dem, was bei der Dokumentation Führerbunker zu sehen sei, sagt er.

 

"Wir wollen keine Hitlershow veranstalten. Wir wollen den Leuten nur zeigen, wie das Ende des Zweiten Weltkriegs ausgesehen hat. Deshalb erlauben wir es den Menschen ja auch nicht, das rekonstruierte Arbeitszimmer Hitlers zu begehen. Sie können es nur durch Glasscheiben besichtigen", sagt Giebel.


Pilgerstätte für Rechtsextremisten?


Der Mythos, der sich in den letzten Jahren um den Führerbunker gebildet hat, wirkt auf die Besucher Berlins wie ein Magnet. Täglich schauen sich Tausende Touristen die Tafel auf dem Parkplatz auf der Gertrud-Kolmar-Straße an, wo der Eingang zum Bunker einst stand. Viele fürchten auch, dass solche Orte Pilgerstätten für Rechtsextremisten werden könnten.

Deutschland | Ausstellungseröffnung Dokumentation Führerbunker
Maßstabgetreu will die Dokumentation Führerbunker dem Mythos seine Macht nehmenBild: DW/S. Sanderson

Enno Lenze meint, dass dies keineswegs Sinn und Zweck der Ausstellung sei und bezweifelt, dass Neonazis überhaupt daran Interesse hätten:


"Neonazis wollen in aller Regel nicht sehen, wo Hitler starb. Viele von Ihnen glauben ja nach wie vor nicht daran, dass er überhaupt gestorben ist, sondern es geschafft hat, aus Deutschland zu flüchten," sagt Lenze und fügt selbstbewusst hinzu: "Und selbst wenn sie kämen, dann wäre es doch schön, wenn die an so einen Ort kämen und wirklich mal darüber informiert würden, was damals passiert ist. Wir zeigen schließlich den Extremismus wie er wirklich war."


Von Berlin nach Braunau


Lenze meint, die Arbeit der Dokumentation Führerbunker würde so dem Rechtextremismus sogar vorbeugen. Wieland Giebel bestätigt, dass in all den Jahren der Vorarbeit des Vereins Historiale nur ein einziges Mal eine kleine Gruppe von Skinheads die Ausstellung über den Zivilbunker am Anhalter Bahnhof besucht hätte. Er glaubt nicht, dass durch die Ergänzung der Ausstellung um den rekonstruierten Führerbunker sich daran etwas ändern wird. "Hitlertourismus und Pilgerstätten für Rechtsextreme können erst recht vermieden werden, indem man Ausstellungen wie diese überhaupt macht. Man nimmt dem Mythos die Macht. Deswegen wäre es eigentlich auch sinnvoll, so etwas auch mit Hitlers Geburtsstätte in Braunau in Österreich zu machen."

Deutschland | Ausstellungseröffnung Dokumentation Führerbunker
Die Ausstellung ist im Bunker am Anhalter Bahnhof untergebracht - einen Kilometer vom Ort des Führerbunkers entferntBild: DW/S. Sanderson


Dort gibt es nach wiederholten Zwischenfällen mit Neonazis Überlegungen, das Geburtshaus Hitlers abzureißen. Ob das Vergessen besser als das Gedenken ist, kann zumindest in Berlin jeder für sich entscheiden.


Die Dokumentation Führerbunker öffnet am 28. Oktober 2016 in Berlin Ihre Türen. Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet und kostet 12 Euro Eintritt. Die Führung dauert mindestens 90 Minuten.