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Berlin bedauert Wikileaks-Coup

29. November 2010

Nach der Veröffentlichung vertraulicher Unterlagen des US-Außenministeriums zeigt sich Berlin gelassen, aber besorgt. Die Bundesregierung muss sich aber auch fragen: Wie sicher sind die Texte ihrer eigenen Botschafter?

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Seibert (Foto: dapd)
Keine Trübung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses: Regierungssprecher SeibertBild: AP

"Die Bundesregierung bedauert die Veröffentlichungen" durch die Enthüllungs-Internetplattform Wikileaks, betonte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag (29.11.2010) in Berlin. Sie seien auf illegale Art an die Öffentlichkeit geraten. Die robusten und festen Beziehungen zu Washington würden auch durch wenig schmeichelhafte Einschätzungen von deutschen Spitzenpolitikern wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in "keiner Weise" getrübt.

Es gebe eine in Jahrzehnten gewachsene auf gemeinsamen Werten ruhende tiefe Freundschaft. Und diese werde durch die Veröffentlichungen "nicht ernsthaft beschädigt". Die Bundesregierung sei aber tief besorgt über mögliche außenpolitische Auswirkungen der Enthüllungen von US-Botschaftsberichten im Internet. Der US-Botschafter in Berlin, Philip D. Murphy, bedauerte, dass seine Regierung die Veröffentlichung der Geheimdokumente nicht verhindern konnte.

"Gravierender Vorgang mit großer Tragweite"

US-Botschaft in Berlin (Archivfoto: dpa)
Wenig Schmeichelhaftes über deutsche Politiker kam aus der US-Botschaft in BerlinBild: picture-alliance/ dpa

Die von Wikileaks publizierten Dokumente - unter anderem aus der amerikanischen Botschaft in Berlin - werden jetzt im Auswärtigen Amt intensiv geprüft. Ministeriums-Sprecher Andreas Peschke erklärte, es handele sich um einen "gravierenden Vorgang von großer Tragweite". Er betonte, das ganze Ausmaß sei noch nicht absehbar.

Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass dadurch auch Sicherheitsbelange von Deutschland oder Verbündeten berührt würden. Dies gelte weniger für die internen US-Bewertungen von deutschen Politikern, sondern vielmehr für Vorgänge im Nahen Osten und in Asien. Dies könne möglicherweise "weltweite Bedeutung" bekommen und auch Auswirkungen auf die Arbeit der deutschen Diplomatie haben, erklärte Peschke.

Nicht "detektivisch" nach Quellen suchen

Sowohl das Auswärtige Amt als auch das Kanzleramt wollten den Inhalt der geheimen Berichte aus den US-Botschaften nicht kommentieren. Was die Passagen über deutsche Politiker angehe, so hätten sie eher das "Niveau des Lästerns", meinte Regierungssprecher Seibert. Mit Blick auf mögliche deutsche Informanten der US-Botschaft betonte Seibert, man werde nicht "detektivisch" nach diesen Quellen suchen. Ein Sprecher des Justizministeriums wollte sich nicht darauf festlegen, ob es sich dabei um eine Straftat handeln könnte.

In den elektronischen Berichten der US-Botschaft in Berlin ist auch davon die Rede, dass ein "junger, aufstrebender Parteigänger" der FDP die Amerikaner über Interna wie die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP auf dem Laufenden gehalten habe.

"Wäre dies der Fall, wäre das natürlich nicht in Ordnung", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz (CDU), im ZDF. Dabei handele es sich aber weniger um ein Problem der USA, sondern um das einer Partei. Entwicklungsminister Dirk Niebel wies solche Verdächtigungen zurück. Er bestreite, dass es einen Informanten gebe, sagte der frühere FDP-Generalsekretär in der ARD.

Ausschnitt einer Wikileaks-Internetseite (Foto: dpa)
Geheimes und Vertrauliches auf der Enthüllungs-Internetplattform WikileaksBild: dpa

Wenig Schmeichelhaftes

Wikileaks hatte am Sonntagabend mit der Veröffentlichung von mehr als 250.000 vertraulichen Dokumenten aus US-Botschaften begonnen. Viele internationale Spitzenpolitiker wurden darin wenig schmeichelhaft beurteilt.

So wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel darin laut "Spiegel" als "selten kreativ" und "risikoscheu" eingeschätzt sowie als "Teflon"-Kanzlerin bezeichnet. Bundesaußenminister Guido Westerwelle wurde "inkompetent und eitel" genannt. Ihm wurde zudem eine "aggressive" und "überschäumende Persönlichkeit" zugeschrieben. Dem CSU-Chef Horst Seehofer wurde unterstellt, er sei "unberechenbar". Andere Politiker kamen deutlich besser weg. Karl-Theodor zu Guttenberg wurde schon als Wirtschaftsminister 2009 das Potenzial zugebilligt, "dem Kabinett etwas Glanz hinzuzufügen". Im Kontakt mit US-Vertretern soll der CSU-Politiker - so "Der Spiegel" - aber Westerwelle angeschwärzt haben, weil eine größere Aufstockung der deutschen Truppen in Afghanistan Anfang 2010 an ihm gescheitert sein.

Ex-US-Botschafter: "Normale Diplomatenberichte"

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach von einem schlimmen und "unappetitlichen" Vorgang. Wikileaks werde viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Persönlich habe er gar kein Interesse, die kritischen Kommentare von US-Diplomaten über Spitzenpolitiker zu lesen.

Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, sagte der Deutschen Welle, er sehe keine schwerwiegende Belastung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Es handele sich um normale Berichte aus diplomatischen Vertretungen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Dies sei international üblich. Die Bemerkungen zu deutschen Politikern seien "vielleicht peinlich, aber nicht gefährlich". Mit der Veröffentlichung handele Wikileaks aber unverantwortlich.

Gefahr auch für Texte der Bundesregierung?

Eine Veröffentlichung zehntausender vertraulicher Dokumente durch die Enthüllungs-Internetplattform Wikileaks könnte nach Medienberichten theoretisch auch der Bundesregierung drohen. Sie vertraut ihre geheimen Daten ebenfalls einem gesicherten Intranet an: Über SINA (Sichere Internetzwerk Architektur) sind weltweit alle deutschen Botschaften und Generalkonsulate mit dem Auswärtigen Amt verbunden.

Das deutsche Verschlüsselungssystem gilt im Prinzip als so sicher, dass selbst Informationen mit höchster Geheimhaltungsstufe wie "Streng Geheim" oder "NATO Secret" über SINA kommuniziert werden.

Autor: Herbert Peckmann (dpa, afp)

Redaktion: Sabine Faber