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Berechtigte Angst vor Parallel-Gesellschaften?

Peter Philipp22. November 2004

In Deutschland ist eine intensive Debatte über die Integration von Muslimen entbrannt. Peter Philipp kommentiert.

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Sie leben in eigenen Gemeinden, sprechen ihre eigene Sprache, pflegen ihre eigene Kultur, selbst Orts- und Straßenschilder sind zweisprachig. Und der Staat sichert ihnen sogar per Gesetz zu, die Pflege der eigenen Kultur und Sprache zu unterstützen. Wahrlich eine Parallelgesellschaft. Aber nicht eine von der Art, gegen die jetzt landauf, landab argumentiert und polemisiert wird. Hier geht es um das knapp 60.000 Seelen zählende slawische Völkchen der Sorben, die
seit Jahrhunderten in Brandenburg und in Sachsen leben.

Niemand hat Angst vor den Sorben. Auch nicht davor, dass sie stolz ihre Eigenart pflegen und bewahren. Angst hat man vor den anderen, von denen es bereits 3,2 Millionen in Deutschland gibt und die das Nachrichtenmagazin "Focus" auf seinem Titel bedenkenlos als "unheimliche Gäste" bezeichnet: Die Muslime in Deutschland.

In ihrer überwiegenden Mehrheit Türken, werden diese jetzt offenbar zumindest unterschwellig verdächtigt, eine fünfte Kolonne Osama Bin Ladens in Deutschland zu sein. Warum sonst die täglichen Vorwürfe, in den türkischen Vierteln oder Ghettos deutscher Städte habe sich eine gefährliche Parallelgesellschaft herangebildet, die im Widerspruch
stehe zur christlich-deutschen "Leitkultur"?

Auslöser der Hysterie war der Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh. Und nicht etwa irgendein Vorfall in Deutschland. Aber was in Amsterdam geschah, lockte in Deutschland all jene vor, denen die wachsende Zahl von Muslimen hier schon längst ein Dorn im Augen ist. Mit einem Schlag wird das Los muslimischer Frauen in Deutschland zum Thema, wird über die Sprache diskutiert, in der Muslime ihre Gottesdienste abhalten sollten, und wird - ganz generell - die multikulturelle Gesellschaft zu Grabe getragen, noch bevor das Gros der deutschen Mehrheitsbevölkerung sich überhaupt erst daran gewöhnt hatte.

Und Politiker jeder Couleur fühlen sich berufen, eigene Ideen und Aufrufe zum Thema zu verbreiten. So als gäbe es wirklich einen neuen Sachverhalt und ein neues "Thema". Dabei geht es doch eigentlich in erster Linie um längst bekannte Dinge, die man schon längst hätte ändern und verbessern sollen. Man tat es nicht - aus Gleichgültigkeit oder Kurzsichtigkeit - und hat dadurch erst noch ein Sich-Abkapseln von Muslimen in Deutschland forciert.

Ein probates Mittel gegen die offenkundigen Missstände gibt es nicht: Wer unter den Muslimen heute kein Deutsch kann, der wird es nicht in ein, zwei Wochen lernen. Wer trotz jahrelangen Aufenthalts in Deutschland nicht integriert ist, dem wird das auch jetzt nicht gelingen. Dafür wird wohl auch die Mehrheitsgesellschaft sorgen. Und Zeitungstitel wie "Die unheimlichen Gäste" ...

Und wenn man sich nun auf "Parallelgesellschaften" fixiert, dann ist das falsch und bewirkt eher das Gegenteil des Erhofften: Es ist doch natürlich, dass man sich in der Fremde zu Seinesgleichen hingezogen fühlt. Davon zeugen die "Chinatowns" in Nordamerika, auch die italienischen, hispanischen und anderen Viertel dort. Und "Germantown", wo sich einst deutsche Einwanderer in den USA niederließen, ist fast schon ein historisches Kulturdenkmal.

Nicht solche Viertel oder Orte sind das Problem - das beweist das Beispiel der Sorben. Sondern die Frage, ob dort womöglich ein "Staat im Staate" entsteht - mit eigenen Regeln und eigenem Gesetz. Das kann und darf nicht sein. Aber das ist bisher auch nur im Ansatz der Fall. Nur in solchen Fällen sollte und muss der Staat eingreifen.