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Alles nur provisorisch

29. März 2011

Seit fast 300 Tagen ist Belgien nun schon ohne Regierung - länger als der Irak. Die Folge: Wichtige Reformen bleiben liegen. Eine Einigung ist weiter nicht in Sicht. Zu viele Widerstände blockieren den Weg.

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Belgische Flagge vor dem Regierungsgebäude in Brüssel
Wie lange hält der belgische Staat noch zusammen?Bild: AP

Flämische Separatisten gingen erst vor kurzem wieder mit Rufen wie "Belgien, platze!" auf die Straße. Sie wollen einen eigenen flämischen Staat und nicht länger den ärmeren wallonischen Landesteil unterstützen. Ihre politische Führungsfigur ist Bart De Wever. Dessen Partei NV-A war bei der Wahl im vergangenen Juni stärkste politische Kraft in Flandern geworden. Doch damals versuchte De Wever vor der internationalen Presse die Gemüter zu beruhigen. "Ich versichere Ihnen, wir wollen einen Kompromiss schließen. Es wird keine lange politische Instabilität geben und schon gar keine Revolution."

Wo bleibt die traditionelle Kompromissbereitschaft?

König Albert und Königin Paola bei Bundespräsident Christian Wulff und seiner Ehefrau Bettina im Schloss Bellevue (Foto: dapd)
König Albert II. und Königin Paola wurden von Bundespräsident Christian Wulff und seiner Ehefrau Bettina im Schloss Bellevue empfangenBild: dapd

Die Revolution ist tatsächlich bisher ausgeblieben. Am Ziel eines unabhängigen Flandern hält De Wever aber fest. Und mit der Prognose, es werde keine lange Instabilität geben, lag De Wever kolossal falsch. Denn auch 289 Tage nach der Parlamentswahl steht Belgien ohne neue Regierung da, das ist Weltrekord.

König Albert II., der sich gerade zu einem zweitägigen Staatsbesuch in Deutschland aufhält, hat seit Monaten einen Politiker nach dem anderen mit Sondierungsgesprächen beauftragt. Bereits in seiner Weihnachtsansprache klagte er: "Es kommt mir vor, als sei die Kunst des Kompromisses in unserem Land in den letzten Jahren etwas verloren gegangen."

Verzweifelter König

Ganz ohne Regierung ist Belgien zwar nicht; die alte Koalition unter dem flämischen Christdemokraten Yves Leterme amtiert kommissarisch weiter. Doch Leterme zeigte sich am Montag (28.03.2011) in einem Interview besorgt. "Wir brauchen eine richtige Regierung, denn es gibt Grenzen für das, was eine Übergangsregierung tun kann", sagte er. Wichtige Vorhaben wie die Rentenreform oder eine Reform der Asyl- und Einwanderungspolitik blieben unerledigt, mahnte Leterme. König Albert hatte in seiner Weihnachtsansprache, die er, der sich als Einiger des Landes sieht, abwechselnd auf Niederländisch und Französisch hielt, auch an die Ehre der Politiker appelliert. "Der Augenblick ist gekommen, in dem wahrer Mut darin besteht, entschlossen einen Kompromiss zu suchen, der zusammenführt, und nicht, die Gegensätze zu verschärfen."

Die Mehrheit will keine Spaltung

Bart De Wever bei einer Pressekonferenz im Juni in Brüssel (Foto: AP)
Will keine Revolution: der flämische Nationalist De WeverBild: AP

Doch zuvor und auch danach sind alle Versuche, die unterschiedlichen regionalen und politischen Gegensätze unter den Hut einer Koalitionsregierung zu bringen, meist schon in einem frühen Stadium gescheitert. Dem Separatisten De Wever, so scheint es, ist die Blockade gerade recht. Doch Umfragen zeigen, dass selbst in Flandern eine Mehrheit für den Erhalt Belgiens ist. Gewünscht wird jedoch eine Staatsreform, bei der die Gliedstaaten noch mehr Kompetenzen bekommen.

Dazu müssten sich die Politiker allerdings bewegen, auch De Wever. Übergangspremier Leterme wurde am Montag gefragt, wie lange es wohl noch bis zur Regierungsbildung dauern wird. "Sehr schwer zu sagen. Es wird mindestens Wochen dauern. Wird es Monate dauern? Das wird die Zukunft zeigen." Doch selbst wenn Belgien schon morgen eine Regierung hätte, der Weltrekord der längsten Regierungsbildung ist dem Land bereits sicher.


Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Thomas Grimmer