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Diktatur in Belarus

17. August 2011

Im August 1991 verließ auch Belarus die UdSSR. 20 Jahre später gibt es keinen Grund zum Feiern: Das Land hat sich in eine Diktatur verwandelt, Menschenrechte werden verletzt und Medien zensiert, meint Natalia Makuschina.

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Fotos zum Thema die Präsidentschaftswahlen in Weißrussland, die unser Korrespondent Andrej Alexandrovich gestern in Minsk gemacht hat. Zulieferer: Vladimir Dorokhov Schlüsselwörter: Weißrussland, Belarus, Präsidentschaftswahlen, Minsk, Alexandrovich
Propaganda für ein "starkes und blühendes Belarus"Bild: DW

Heute ist das unabhängige Belarus in einer Situation, die sehr an die 1990er-Jahre erinnert. Auf der "Insel der Ruhe", wie manche Besucher das Land gern nennen, fehlen Wirtschaftsreformen, die Inflation steigt rasant und viele Menschen sind von Arbeitslosigkeit bedroht. Die Belarussen, so scheint es, sind in das Jahr 1994 zurückversetzt. Damals, am 10. Juli, wählten sie unter dem Motto "Keine Schock-Therapie!" Aleksandr Lukaschenko zum ersten Präsidenten des Landes. In seinem Wahlprogramm hieß es, er wolle "das Volk vor dem Abgrund retten".

Portrait von Natalia Makuschina (Foto: DW)
Natalia Makuschina, Russische Redaktion der Deutschen WelleBild: DW

Lukaschenko versprach, gegen Mafia-Clans vorzugehen und eine "Diktatur des Gesetzes" zu schaffen. Erschöpft von der Unsicherheit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nahm die belarussische Gesellschaft stillschweigend Lukaschenkos große Worte hin. Ende 1994 waren die Menschen zudem so sehr damit beschäftigt, ihre Grundbedürfnisse zu stillen, dass es keinen Protest gegen die "weißen Flecken" gab, die in den zensierten Zeitungen dort erschienen, wo Berichte über Korruption in der Regierung vorgesehen waren. Während die Bevölkerung um das tägliche Überleben kämpfte, begriffen Lukaschenko und seine Gefolgschaft, dass die Menschen nicht jeden ihrer Schritte kontrollieren würden und dass lediglich die zahlenmäßig kleine Opposition zu einer realen Bedrohung werden könnte.

Referenden und ihre Folgen

Die Staatsmacht nutzte die Trägheit der Wähler aus. Innerhalb eines Jahrzehnts organisierte sie drei Volksbefragungen, die das politische System und die Atmosphäre in der Gesellschaft grundlegend veränderten. Mit dem Referendum von 1995 wurden in Belarus die Staatssymbole aus der Sowjetzeit wieder eingeführt. Mit der Erhebung des Russischen zur zweiten Amtssprache wurde die belarussische Sprache praktisch wieder verdrängt. Das Aufleben eines Nationalbewusstseins machte der neuen Staatsmacht Angst.

1996 löste Lukaschenko das Parlament auf, in dem Oppositionelle eine wichtige Rolle gespielt hatten. Ferner berechnete er die Dauer seiner Amtszeit neu. Und nach dem Referendum im Jahr 2004 bekam Lukaschenko sogar das Recht, sich für eine unbegrenzte Anzahl von Amtszeiten wählen zu lassen. Um das Denken der Menschen zu steuern, wurden die schon in Vergessenheit geratenen sowjetischen Ideologen in Unternehmen und Organisationen wieder eingeführt – obwohl die Verfassung des Landes Ideologiezwänge verbietet.

Abschied von Illusionen

Die Unabhängigkeit des Landes stärkte die Zivilgesellschaft nicht. Den Belarussen wurde eine "Diktatur des Gesetzes" versprochen – und die wurde zur Diktatur. Aber die unpolitischen Bürger akzeptierten bereitwillig einen sogenannten sozialen Vertrag: einen akzeptablen Lebensstandard als Gegenleistung für ihre politische Loyalität. Die meisten von ihnen sind nicht darüber empört, dass es im unabhängigen Belarus heute Dutzende von politischen Häftlingen gibt, dass die Regierung aus Oppositionellen "Schurken" macht und dass Kritik an Beamten mit Extremismus und Diskreditierung des Staates gleichgesetzt wird.

Irgendwie existieren die belarussische Staatsmacht, die Opposition und das Volk nebeneinander, jeder für sich. Der relativ erträgliche Lebensstandard ist nicht der Staatsmacht zu verdanken. Er wird eher ihr zum Trotz erreicht, denn gebildete und fleißige Belarussen haben längst Abschied von den sowjetischen Illusionen über Sozialschutz und Gerechtigkeit genommen und setzen nur noch auf ihre eigenen Kräfte. Sie machen Geschäfte, kaufen Wohnungen und Autos und schicken ihre Kinder auf Universitäten. So zerstören sie den Mythos, dass ihren paternalistischen Erwartungen nur dieses gegenwärtige Regime entspricht.

"Dornröschen" Belarus wecken

Seit 1991 ist im souveränen Belarus eine Generation herangewachsen, die den Zerfall der Sowjetunion nicht mehr als Tragödie empfindet. Die Belarussen können das Leben in den westlichen Ländern mit der belarussischen Realität vergleichen. Durch die Konfrontation mit Russland und zugleich dem Westen begibt sich das Regime selbst in eine Sackgasse.

Die Wirtschaft retten können nur radikale Reformen, die bisher nur dank der billigen russischen Energielieferungen umgangen werden konnten. Und wenn eine Schocktherapie das "Dornröschen" Belarus aufwecken sollte, dann wird Lukaschenko die Frage beantworten müssen, warum sich das Land nach 17 Jahren seiner Präsidentschaft am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und des Verlustes seiner Unabhängigkeit befindet.

Autorin: Natalia Makuschina / Markian Ostaptschuk

Redaktion: Berthold Stevens