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Beginenhöfe als neue Wohnform

5. Juli 2011

Vor mehr als 900 Jahren waren die Beginen aktiv. Sie schlossen sich außerhalb von Klöstern zusammen, um Gutes zu tun und um sich zu unterstützen. Jetzt lebt die Tradition in Deutschland wieder auf.

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Der Beginenhof wurde 2008 in Essen gebaut. Er beherbergt knapp 30 Frauen, die in der mittelalterlichen Tradition der Beginen leben. Das waren Frauen, die jenseits der Klöster in ganz Europa ein frommes Leben führten. Thema: Beginenhof Essen Copyright: Ulrike Friebel
Beginenhof EssenBild: Ulrike Friebel

Ute Hüfken (69) ist neugierige Blick gewöhnt. An diesem Donnerstagnachmittag marschiert eine Frauengruppe aus Oberhausen durch ihre Wohnung, blickt ins Schlafzimmer, begutachtet die offene Küche und staunt über die modern eingerichtete Wohnung. Die ehemalige Lehrerin gibt bereitwillig Auskunft über ihr Leben im Beginenhof Essen, den sie vor vier Jahren mitgründete. Als ihr Mann starb und die Kinder flügge wurden, habe sie zwar die neuen Freiheiten genossen, doch nach kurzer Zeit sei ihr die Decke auf den Kopf gefallen, erzählt sie. Deshalb hat sich Hüfken auf die Suche nach Gleichgesinnten begeben – und sie gefunden. Der Weg dahin war nicht immer einfach. Mehr als zehn Jahre hat die Rentnerin mit anderen interessierten Frauen für das Projekt gekämpft.

Beginenhof im ehemaligen Finanzamt

Der Beginenhof wurde 2008 in Essen gebaut. Er beherbergt knapp 30 Frauen, die in der mittelalterlichen Traditionen der Beginen leben. Das waren Frauen, die jenseits der Klöster in ganz Europa ein frommes Leben führten. Thema: Beginenhof Essen Copyright: Ulrike Friebel Blick aus dem Innenhof auf die Balkone
Beginen mögen bunte BalkoneBild: Ulrike Friebel

2006 fanden sich ein Investor und ein Architekt, die den Mut hatten, ein leerstehendes Finanzamt im zentrumsnahen Stadtteil Essen-Rüttenscheid zu 29 Wohnungen umzubauen. Der Muff der ehemaligen Beamtenbüros wurde dem denkmalgeschützen Gebäude gehörig ausgetrieben. Jede Wohnung ist hell, hat einen variablen Grundriss, der sich der jeweiligen Lebenssituation anpassen lässt, und vor allem einen großen Balkon. Bunt wie Broschen leuchten sie in allen Farben im Innenhof. Die Essener Beginen sind stolz auf das, was sie in Eigenregie auf die Beine gestellt haben. Die jüngste ist 25 Jahre alt, die älteste 85. Unabhängig und selbständig bleiben, das war Ute Hüfken wichtig. Die Tür hinter sich zuzumachen und trotzdem in guter Nachbarschaft zu leben. "Ich wohne gerne in einem Haus, in dem ich alle Bewohner gut kenne", sagt Hüfken. Die Gemeinschaft funktioniert. Wenn sie mal ein Bad nehmen wolle, dann lege sie sich bei der Nachbarin in die Wanne, weil sie selber nur über eine Dusche verfüge, lacht sie.

Spiritualität als Bindeglied

Der Beginenhof wurde 2008 in Essen gebaut. Er beherbergt knapp 30 Frauen, die in der mittelalterlichen Traditionen der Beginen leben. Das waren Frauen, die jenseits der Klöster in ganz Europa ein frommes Leben führten. Thema: Beginenhof Essen Copyright: Ulrike Friebel Versammlung im Treppenhaus
Versammlung im TreppenhausBild: Ulrike Friebel

Beginen - so nannten sich Frauen im Mittelalter, die außerhalb der Klöster ein frommes und wirtschaftlich unabhängiges Leben führten. Sie lebten in ordensähnlichen Gemeinschaften. Ihren Ursprung hatte die Bewegung wahrscheinlich in Flandern, von dort breitete sie sich in ganz Europa aus.

Streng religiös sind die Essener Beginen nicht. "Wir verstehen uns nicht als Klostergemeinschaft", sagt Hüfken. Männer sind erlaubt, bekommen aber keinen Mietvertrag. "Manche Beginen sind katholisch, manche evangelisch, andere gehören keiner christlicher Gruppe an", erklärt Hüfken, während sie durch das Haus führt. Wer im Beginenhof leben will, muss kein Keuschheitsgelübde ablegen, nur ein Versprechen, sich an die Regeln der Gemeinschaft zu halten. Neben den 29 Wohnungen gibt es eine große gemeinsame Küche, ein Wohnzimmer und den "Raum der Stille". Dort treffen sich die Frauen zum gemeinsamen Meditieren. Er ist das architektonische Herzstück des Baus. Kahle Wände, auf dem Boden liegen Matten, dort sollen die Frauen zur Ruhe kommen. Spiritualität hielte sie zusammen, erklärt Hüfken.

Neue Wohnformen gefragt

Ute Hüfken macht den Hof sauber. Der Beginenhof wurde 2008 in Essen gebaut. Er beherbergt knapp 30 Frauen, die in der mittelalterlichen Traditionen der Beginen leben. Das waren Frauen, die jenseits der Klöster in ganz Europa ein frommes Leben führten. Thema: Beginenhof Essen Copyright: Ulrike Friebel
Ute Hüfken macht sauberBild: Ulrike Friebel

Was sie außerdem verbindet, ist eine frauenbewegte Vergangenheit. Viele der Beginen haben sich mit "feministischer Theologie" und mit "Matriarchatsforschung" beschäftigt. Als Emanzen wollen sie aber auch nicht gelten. An die 15 Beginenhöfe gibt es oder sind in Planung, die meisten von ihnen befinden sich in Nordrhein-Westfalen. Woher das große Interesse kommt? Ute Hüfken holt weit aus und spricht von "morphogenetischen Feldern", davon, dass Beginenhöfe ganz plötzlich da gewesen seien. Vielleicht liegt es aber auch einfach in der Luft, dass viele Menschen nicht mehr alleine und in anonymer Nachbarschaft wohnen wollen, sondern selbst bestimmen möchten, wie ihre Wohnung aussieht und wer ihre Nachbarn sind.

Autorin: Sabine Oelze

Redaktion: Sabine Damaschke