1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Beethovens politisches Bekenntnis

Interview: Klaus Gehrke9. September 2008

Beethovens überaus bekannte Neunte Sinfonie ist ein Schwerpunktthema des diesjährigen Beethovenfestes mit dem Motto "Macht.Musik". Intendantin Ilona Schmiel erklärt, warum Musik oft ins Visier der Mächtigen gerät.

https://p.dw.com/p/FEdk
Für Ilona Schmiel ist 2008 das vierte Beethovenfest
Für Ilona Schmiel ist 2008 das vierte BeethovenfestBild: Barbara Frommann

Die Melodie, die Ludwig van Beethoven zu Schillers "Ode an die Freude" komponiert hat, ist überaus schlicht und geradezu volksliedhaft. Dies ist sicherlich mit ein Grund, warum seine Neunte Sinfonie so große Popularität erlangte und heute zu Beethovens bekanntesten Werken gehört. Allerdings dürfte kaum eine andere seiner Kompositionen so oft ins Visier der Mächtigen geraten sein – nicht zuletzt aufgrund des klingenden humanistischen Ideals in der "Ode an die Freude".

DW-WORLD.DE: Wie kamen Sie auf das Motto "Macht.Musik"?

Ilona Schmiel: Die Neunte Sinfonie ist natürlich das auslösende Moment gewesen sich zu fragen: Wie kann man mit diesem Werk stellvertretend für eine gesamte Programmatik umgehen? Das war der Anlass, das Fest dieses Jahr unter das Motto "Macht.Musik" zu stellen und die Wege der Neunten Sinfonie von ihrer Uraufführung 1824 bis heute zu verfolgen. Beethovens politisches Bekenntnis, diese Utopie - die "Ode an die Freude" von Friedrich Schiller, vertont durch ihn, ist ja eine Utopie - sie hat an Aktualität nichts eingebüßt. Wir leben immer noch in einem Zeitalter von Kriegen, von Unterdrückung, von Hunger und vielen anderen Missständen. Sicher hat Beethoven zu seiner Zeit - das Werk enstand 1824 - davon geträumt, dass sich das verbessern möge. Und allein dieser Umstand ist sicherlich ein Grund, warum man diese Neunte Sinfonie in ein Zentrum rücken kann.

Die Frage, wie sich die Rezeptionsgeschichte bis in das Jahr 2008 nachverfolgen lässt, hat mich schon immer berührt, weil es - jedenfalls meines Wissens - kein anderes Werk auf der Welt gibt, das zum Einen so oft gespielt wurde, zu so vielen Anlässen so bewusst ausgewählt wurde, und das neben den Wegen des Triumphes auf der anderen Seite sämtliche Irrwege von Regierungen, von Machthabern, von Befehlshabern beschritten hat, das zu einer totalen Vereinnahmung durch die Politik geführt hat und zu einem Missbrauch dieser Sinfonie für eigene politische Zwecke und diktatorische Statements.

Ein Thema mit Fäden bis in die Gegenwart
Ein Thema mit Fäden bis in die Gegenwart

Beethoven hatte mit den Mächtigen seiner Zeit relativ viel Kontakt, und wenn man seine Werke Revue passieren lässt, beispielsweise die "Eroica", "Wellingtons Sieg" oder "Egmont": das doch einige, in denen Beethoven sich politisch-musikalisch geäußert hat - aber doch sehr unterschiedliche.

Diese Frage, wie er sich mit Mächtigen umgeben hat, sie gleichzeitig aber auch wieder fallen gelassen hat, das ist ein Lebensthema gewesen. Und es stellt sich die Frage, wo Beethovens Entwicklungsweg über die Sinfonien hinführt, über die Abkehr von den Machthabern hin zu einer bürgerlichen Gesellschaft. Das ist eigentlich ein Weg über die Anbetung der Machthaber einerseits, also sprich: Napoleon.Auf der anderen Seite nutzt er dann aber auch die bürgerliche Gesellschaft, die die Werke eben auch finanziert und den Komponisten selbst unterhält. Von daher ist die Aktualität dieser Musik auch heute noch so nahe und so berührend. Denn genau diese Fragen, wie heute mit Werken umgegangen wird, wie Musik genutzt wird, in welche Zwänge sie gerät, wie staatstragend sie sein muss, damit sie aufgeführt werden darf zu bestimmten Anlässen, oder aber auch wie wird sie vereinnahmt, um mit einem passenden Text beispielsweise in ein Regime zu passen - all dieses hat das Werk der Neunten Sinfonie bereits durchlaufen.

Wer hat denn ansonsten noch die Musik Beethovens für seine Zwecke instrumentalisiert?

Reichskanzler Joseph Goebbels hat die Neunte Sinfonie immer an Hitlers Geburtstag spielen lassen. Und auch die DDR hat sie zu ihrer Hymne erkoren, allerdings mit einem anderen Text. Sie ist also im Osten und im Westen permanent gespielt worden. Sie ist Europahymne geworden, und wegen der Olympischen Spiele sei erwähnt, dass auch Mao diese Sinfonie genutzt hat, um die Arbeiter auf den Feldern zu motivieren. Die Kamikazeflieger haben diese Musik gehört - ich springe jetzt ein wenig durch die Zeiten - und sie war auch in Rhodesien Nationalhymne. Ein globalisierteres Werk gibt es, glaube ich, kaum. Dennoch ist diese humane Botschaft, dieses Bekenntnis zur Menschenliebe enthalten und man kann fast sagen: diese Botschaft ist nicht zerstörbar.

Wie würden Sie die Musik Beethovens heute beurteilen, wie steht es mit der "Macht der Musik"?

Für mich persönlich steht die Macht der Musik im Vordergrund, weil ich an diese Utopie weiterhin glauben möchte, dass man durch Musik sehr viel verändern kann. Wir hatten 2006 ein nationales Jugendorchester aus Südafrika zu Gast, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen musiziert haben. Die Musik ist also auch ein soziales Instrumentarium. Und dieses Moment lässt sich nicht auf CD brennen. Das Reproduzieren im Konzert, das ist etwas Exklusives. Da spürt man die musikalische Macht. Und ich glaube, dieser Macht kann man sich nicht entziehen.