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Bedrohte Verständigung

Ingrid Arnold10. April 2003

Der türkische Film "Hejar" thematisiert das Verhältnis zwischen Kurden und Türken. Nach einem zwischenzeitlichen Verbot des internationalen Festivalhits droht der Regisseurin nun sogar eine Haftstrafe.

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"Großer Mann, kleine Liebe" heißt der Film im OriginalBild: Presse

Einer der großen Erfolge des jungen türkischen Kinos rührt nun auch im Ausland die Zuschauer: "Hejar" erzählt die Geschichte der dramatisch beginnenden Freundschaft zwischen einem kleinen kurdischen Mädchen und einem alten türkischen Richter. Der Film der jungen Regisseurin Handan Ipekçi wurde bereits mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet.

Der Preis für Menschenrechte, Demokratie und Frieden der türkischen Stiftung für Sozialdemokratie (SODEV) hatte sicher noch eine andere Motivation: Der engagierte Film hatte schnell unter den Zensurbestrebungen der türkischen Regierung zu leiden.

Fast alle lieben "Hejar"

Nachdem der Film, unter seinem ursprünglichen Titel "Büyük Adam Küçük Ask" ("Großer Mann, kleine Liebe"), fünf Monate lang mit großem Erfolg in den türkischen Kinos gelaufen war, wurde er 2002 verboten. Auf Kritik stieß unter anderem die deutliche Darstellung eines richterlich nicht genehmigten Polizeiübergriffs auf eine kurdische Familie.

Das Verbot kam umso überraschender, als der Film zunächst die Freigabebehörde passiert hatte. Produzenten- und Journalisten-Verbände erwirkten jedoch nach sechs Monaten die erneute Freigabe. Zurzeit läuft "Hejar" (kurdisch für Unterdrückung), so der internationale Verleihtitel, wieder und hatte mittlerweile mehr als 120.000 Zuschauer - Türken und Kurden.

Traumatische Erlebnisse

Das kleine kurdische Mädchen Hejar (Dilan Ercetin) hat alle Verwandten durch eine Operation, offensichtlich der türkischen Miliz gegen PKK-Mitglieder, in der Osttürkei verloren. Ein Nachbar bringt das noch unter Schock stehende Kind zu einem Cousin nach Istanbul. Eben dort aufgenommen, wird die Wohnung des Anwalts von der Polizei gestürmt, die alle Erwachsenen hinrichtet. Hejar überlebt den brutalen Einsatz versteckt in einem Wandschrank.

Die kurdische Haushälterin eines in der Wohnung gegenüber lebenden Richters (der türkische Theaterstar Sükran Güngor in seiner letzten Rolle) findet das Mädchen. Der alte Mann ist nicht eben begeistert über den Vorfall, nimmt das traumatisierte Kind aber bei sich auf. Als konservativer Staatsdiener spricht er nur Türkisch und vertritt auch das Verbot der kurdischen Sprache. Doch Hejar spricht nur Kurdisch. Ganz langsam, gezeigt in vielen Details, Blicken und kleinen Gesten, nähern sich die beiden an. Und dem kleinen Mädchen mit dem traurigen Gesicht und den blumigen Flüchen gelingt es, den alten Mann von seiner festgefahrenen Einstellung abzubringen. Rifat lernt schließlich Kurdisch und Hejar spricht die ersten türkischen Worte.

Kurdisch für Anfänger

Die Trennung zwischen Kurden und Türken ist auch in der Realität vor allem eine sprachliche. Trotz des Zusammenlebens im gleichen Land - und trotz langer gemeinsamer Geschichte und Kultur - herrscht eine fast verwunderliche Fremdheit. Ein Sprechverbot für Kurdisch herrscht zwar schon länger nicht mehr, aber im türkischen Film war das bislang ein Tabu: "Da wird Zukunft gezeigt, dass auch Türken Kurdisch sprechen können", betont Ipekçi. In "Hejar" sind die kurdischen Passagen sogar türkisch untertitelt - eine kleine Sensation.

Der Film zeigt, dass eine Annäherung möglich ist, wenn man sie nur zulässt. Dass in "Hejar" der Hass langsam sogar in Liebe umschlägt, zumal zwischen einem zauberhaften kleinen Mädchen und einem grantigen Ersatz-Großvater, klingt zwar nach Happy End, dieses vermeidet die Regisseurin jedoch. Stattdessen lässt sie offen, ob Hejar schließlich zu Verwandten zieht - in die armen Außenbezirke, in denen die meisten Kurden in Istanbul leben.

Hoffentlich nur ein Wermutstropfen

Der Realismus der Darstellung ist - trotz der fast parabelhaften Entwicklung der beiden Hauptcharaktere - auch der Grund für die Schwierigkeiten, in denen die Drehbuchautorin und Regisseurin nun steckt: Handan Ipekçi ist aktuell von einer Haftstrafe von sechs Jahren (!) bedroht. Die Anklageschrift des Istanbuler Gerichtes wirft ihr "Verunglimpfung der Polizei und der Militärkräfte" vor.

Der Prozess beginnt am 17. April 2003 in Istanbul. Bleibt zu hoffen, dass die unabhängige Justiz die Regisseurin von den Anschuldigungen freispricht - und dass der Film seine mitreißende Botschaft weiter verbreiten kann. Das wäre auch ein Signal für eine geänderte Haltung der türkischen Behörden gegenüber Menschenrechtsverletzungen und Zensur.