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Die Schönheitskönigin und der Aktivist

Esther Felden26. Februar 2016

Anastasia Lin ist Schauspielerin und Schönheitskönigin, Yang Jianli studierte in Berkeley und Harvard. Sie sind grundverschieden - haben aber dasselbe Anliegen: Beide setzen sich für die Menschenrechte in China ein.

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Miss World Canada Anastasia Lin (Foto: picture-alliance/AA)
Bild: picture-alliance/AA

Die Nacht verfolgt ihn seit über 27 Jahren. Yang Jianli war hautnah mit dabei am 3. und 4. Juni 1989 in Peking. Er sah mit eigenen Augen, wie die Volksbefreiungsarmee die Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz im Herzen der chinesischen Hauptstadt niederschlug. Bilder, die ihn bis heute verfolgen. Vor allem dieses eine. "Direkt vor mir rollten vier Panzer über einen Studenten hinweg, überfuhren ihn einfach. Ich denke jeden Tag daran."

Eigentlich lebte Yang zu diesem Zeitpunkt gar nicht in China, sondern studierte an der US-amerikanischen Elite-Universität Berkeley Mathematik. In seiner Jugend war er ein regelrechter Musterschüler gewesen: Mit 19 machte er seinen College-Abschluss, war auch Mitglied der Kommunistischen Partei. Doch statt innerhalb der KP Karriere zu machen, begann er, das politische System seines Landes zu hinterfragen, ging dann ins Ausland. Die sich im Frühjahr 1989 ankündigenden Studentenproteste verfolgte er auch aus der Ferne genau. "Ich bin dann von Kalifornien nach China gereist, um die Bewegung zu unterstützen."

Nach dem Tiananmen-Massaker kehrte der damals 26jährige zurück in die Staaten, das Thema seines Lebens im Gepäck. Denn die Geschehnisse von damals ließen ihn nie wieder los. In den USA nahm er ein weiteres Studium auf: Vokswirtschaftslehre in Harvard. Und er weitete sein politisches Engagement aus. Daraufhin fiel er in Ungnade bei der chinesischen Führung. Sein Pass wurde nicht erneuert, das Regime verhängte ein Einreiseverbot. Genau wie gegen Anastasia Lin.

Yang Jianli beim Menschenrechtsgipfel in Genf (Foto: Esther Felden)
Seit 2008 ist Yang Jianli mittlerweile wieder zurück in den USABild: DW/E. Felden

Miss World ohne Miss Canada

November 2015. Im chinesischen Sanya in der Inselprovinz Hainan findet die Endausscheidung der jährlichen Miss World-Wahl statt. Mit dabei sein will auch Lin, die amtierende Miss Canada. Die 26jährige ist in China geboren und aufgewachsen, lebt aber seit ihrer Jugend in Amerika und ist kanadische Staatsbürgerin. Sie fliegt von Toronto nach Hongkong, will von dort aus weiter zum Schönheitswettbewerb. Die Provinz Hainan ist eine Sonderverwaltungszone. "Als Kanadierin hätte ich dort eigentlich bei meiner Ankunft ein sogenanntes Landing Visum bekommen und dann weiterfliegen können", sagt Anastasia Lin. "Doch dann wurde mir gesagt, dass ich nicht ins Flugzeug dürfe." Auf die Frage nach dem konkreten Grund bekommt sie keine Antwort.

Anastasia Lin hat keine Wahl, ohne Visum muss sie wieder abreisen. Aber die Tatsache, dass sie nicht ins Land gelassen wird, kommt für sie nicht ganz überraschend. Anders als die anderen Teilnehmer der Beauty-Konkurrenz hatte sie im Vorfeld keine Einladung der chinesischen Organisatoren erhalten. Denn auch Lin ist für die Regierung in Peking keine Unbekannte. Zum Einen ist die Schauspielerin Anhängerin der Religionsgruppe Falun Gong, die in China verboten ist. Zum anderen tritt sie in Filmen auf, in denen es um Themen wie Korruption oder die Verfolgung religiöser Minderheiten geht. "Ich habe in einer Reihe kritischer Filme mitgespielt. Bei dem ersten ging es um die Geschichte eines Mädchens, dass das Erdbeben von Sichuan überlebt hat. Ein sehr sensibles Thema." Viele chinesische Schauspielerinnen hätten sich nicht getraut, so eine Rolle zu spielen, aus Angst, danach nicht mehr nach China reisen zu dürfen. "Also habe ich es gemacht. Und dann kamen immer mehr Angebote."

Anastasia Lin beim Menschenrechtsgipfel in Genf (Foto: Esther Felden)
Anastasia Lin kam über die Schauspielerei zum Menschenrechts-EngagementBild: DW/E. Felden

Über Umwege zur Aktivistin

Eigentlich, so sagt sie selbst, sei sie kein besonders politisch interessierter Mensch. Es waren vielmehr die Geschichten hinter ihren Rollen, die sie bewegten. "Ich musste mich beispielsweise damit beschäftigen, wie Häftlinge im Gefängnis gefoltert werden, um es glaubwürdig spielen zu können. Als ich mir die Schilderungen der Betroffenen anhörte, dachte ich, dass etwas passieren muss."

Deshalb beschließt sie, öffentlich über Menschenrechtsverletzungen in China zu sprechen, "um denen, die sich nicht trauen oder nicht in der Lage sind, eine Stimme zu geben". Im Sommer 2015 tritt sie beispielsweise vor dem US-Kongress auf - und vor wenigen Tagen beim diesjährigen Menschenrechtsgipfel in Genf.

Der als "Tank Man" bekannt gewordene Mann, der sich in Peking vier Panzern in den Weg gestellt hat (Foto: Jeff Widener/AP)
Das Foto des sogenannten "Tank Man" ging 1989 um die Welt. Bis heute ist die Identität des Mannes nicht geklärt.Bild: Jeff Widener/AP

Einzelhaft und Folter

Auf dem Gipfel ist auch Yang Jianli, um über seine Geschichte zu sprechen. Dreizehn Jahre war er nach der Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz nicht in seiner Heimat. 2002 reiste er mit dem Pass eines Freundes wieder ein. Er wollte im Nordosten des Landes die Proteste arbeitsloser Arbeiter unterstützen. Dann aber wurde er festgenommen. Ein Gericht verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft wegen illegaler Einreise und Spionage.

Die erste Zeit im Gefängnis war die schlimmste, erinnert er sich. "Ich wurde fast 15 Monate in Einzelhaft gehalten. Ich bekam keinerlei Informationen von der Welt da draußen, durfte keinen Kontakt zu meiner Familie haben, hatte keine Bücher zum Lesen und keinen Stift zum Schreiben." Er sei fast zusammengebrochen. Auch physisch und psychisch wurde er gefoltert. "Ich wurde einmal zusammengeschlagen, außerdem durfte ich fast acht Monate kein Sonnenlicht sehen. Und sie zwangen mich, vier bis fünf Stunden lang aufrecht und regungslos da zu sitzen." Erst, als sein Anwalt zum ersten Mal mit ihm sprechen durfte und ihm sagte, dass es viel internationale Unterstützung für ihn gebe, schöpfte er wieder neuen Mut.

Rückzugsraum im Kopf

Und noch etwas gab ihm Kraft. "Ich habe im Kopf Gedichte geschrieben. Später, als man mir Papier uns Stift gab, um ein Geständnis aufzuschreiben, schrieb ich sie nieder." Die Gedichte wurden vor ein paar Jahren in Hongkong veröffentlicht. "Durch diese Tätigkeit, durch die Gedichte im Kopf, habe ich es geschafft, im Gefängnis nicht verrückt zu werden."

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping (Foto: Reuters/A. Song)
Staatspräsident Xi Jinping führt das Land mit eiserner Hand und greift hart gegen Kritiker durchBild: Reuters/A. Song

Im Frühjahr 2007 schließlich wurde Yang aus der Haft entlassen und kehrte in die USA zurück, wo er seitdem lebt. Sein Leben geht weiter, trotz und mit der Vergangenheit. "Als ich aus dem Gefängnis kam, war keine Bitterkeit in mir und kein Hass. Ich habe verstanden, dass es Teil meines Weges war, dass ich da durch musste." Und auch dem Gefängnispersonal gegenüber empfindet er keinen Groll. "Diese Menschen haben auch nur Befehle von oben ausgeführt. Ich habe ihnen vergeben."

Liu Xiaobo (Foto: picture alliance)
Auch der chinesische Nobelpreisträger Liu Xiaobo gilt der Führung als Staatsfeind. Er wurde im Juni 2009 zu elf Jahren Haft verurteilt. Ende 2010 wurde ihm in Abwesenheit der Friedensnobelpreis verliehen.Bild: picture alliance / dpa

Angst um die Familie

Anastasia Lin ist noch heute wütend. "Es ist nicht richtig, dass eine ausländische Teilnehmerin daran gehindert wird, an einem internationalen Wettbewerb teilzunehmen, nur weil sie frei ihre Meinung geäußert und über das Gastgeberland gesprochen hat." Die Welt habe sich daran gewöhnt, dass China Kritiker einschüchtere und gegen sie vorgehe, sagt sie. Diesen Kreislauf gelte es zu durchbrechen. Dass sie einmal persönlich betroffen sein könnte, damit hat sie nicht gerechnet. Und sie hat Angst. Nicht um sich selbst, sondern um ihre Familie. "Mein Vater lebt in China. Und tatsächlich hat er aufgrund meines Engagements bereits Drohungen von Sicherheitskräften erhalten. Er sollte mich zum Aufhören bewegen."

Beunruhigende Entwicklungen aus Regierungssicht

Aber die chinesische Führung verbreitet nicht nur Angst - sie hat auch selbst welche, ist Yang Jianli überzeugt. Die Regierung in Peking lebe in ständiger Sorge um ihre Macht. Und obwohl sie an ihrem harten Kurs gegenüber Kritikern festhalte, sitze sie nicht fest im Sattel. Denn die chinesische Gesellschaft habe sich seit 1989 deutlich verändert, sagt Yang. Immer mehr Leute würden sich für die Menschenrechte einsetzen. Und noch etwas anderes setze Staatschef Xi Jinping und seine Führung unter Druck. "Seit einem Jahr geht es mit der Wirtschaft in China bergab.Eine florierende Wirtschaft ist aber eine der Säulen, auf denen die Macht der Regierung basiert."

Außerdem stehe in weniger als zwei Jahren der nächste Parteitag der Kommunistischen Partei an - eine kleine Machtverschiebung, erklärt Yang. "Da zwar nicht Xi Jingping selbst, aber einige derer, die jetzt mit an der Macht sind, gehen und durch neues Personal ersetzt werden. Politische Krisen entstehen immer im Zuge von Veränderungen an den Schlüsselpositionen. Mit der Wirtschaftskrise und der Unruhe innerhalb der Gesellschaft kommen gleich mehrere Krisen in den nächsten Jahren zusammen." Ein kritischer Zeitpunkt also für die ganze Gesellschaft. Yang rechnet damit, dass die Menschen versuchen werden, die Regierung zur Öffnung zu bewegen und den Kurs zu lockern.

Yang Jianli umarmt Nancy Pelosi (US Speaker of the House) bei der Verleihung des Friedensnobelpreises 2010 (Foto: AP Photo/John McConnico)
Yang Jianli dagegen war bei der Verleihung des Friedensnpobelpreises am 10. Dezember 2010 in Oslo dabeiBild: AP

Zurück auf den Laufsteg, zurück nach China?

Die Wahl zur Miss World 2015 hat Anastasia Lin verpasst. Aber sie soll eine neue Chance bekommen. "Die Miss World Jury hat mir einen Platz in der Endauswahl für 2016 angeboten. Das haben sie mir schriftlich gegeben." Noch steht nicht fest, wo der Wettbewerb stattfindet. Theoretisch ist es möglich, dass die Endausscheidung wieder in China ist.

Auch Yang Jianli wünscht sich, eines Tages in sein Heimatland reisen zu können. Ohne die Gefahr, festgenommen zu werden. Er glaubt daran, dass das irgendwann möglich sein wird. "Ich bin Optimist", sagt er. "Aber ich bin auch Realist. Ich weiß, dass es ein schwieriger Kampf bleiben wird."