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Die Mutter der Terrorzelle

Arne Lichtenberg11. April 2013

Beate Zschäpe ist die einzige Überlebende der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund". Sie organisierte das Leben der Rechtsextremisten. Doch wer ist die Frau, die sich jetzt vor Gericht verantworten muss?

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Beate Zschäpe (Foto: Getty Images)
Rechtsextremistische Terroristin Beate Zschäpe NEUBild: Getty Images

Als Beate Zschäpe am 4. November 2011 in die Frühlingsstraße in Zwickau tritt, schaut sie sich noch ein letztes Mal um. Das Haus, das in den letzen drei Jahren ihre Heimat gewesen ist, brennt. Eben noch ist Beate Zschäpe mit einem Kanister durch die Wohnung gelaufen und hat überall Brandbeschleuniger verteilt. Kurz darauf, um 15 Uhr, zerreißt eine Explosion die Stille im Zwickauer Stadtteil Weißenborn. Drei Stunden zuvor hatten sich ihre beiden Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt selbst das Leben genommen, nachdem die Polizei ihnen auf die Schliche gekommen war. An diesem Novembernachmittag flieht Zschäpe vor der Polizei und lässt ihr bisheriges Leben hinter sich. Beate Zschäpe ist die einzige Überlebende der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Für den Generalbundesanwalt ist Zschäpe die wichtigste Angeklagte, doch bisher schweigt sie. Ihr Verhalten wird über den NSU-Prozessverlauf mitentscheiden, denn sie ist die letzte Zeugin. Von ihr hängt ab, ob die Taten und Motive der Zelle genau aufzudecken sein werden.

Ein Polizeifahrzeug steht vor dem zerstörten Haus der rechtsextremen Terrorzelle in Zwickau (Foto: dpa)
Alle Spuren ausgelöscht: Die ausgebrannte Wohnung der Zwickauer TerrorzelleBild: picture-alliance/dpa

"Emotionaler Mittelpunkt dieser Gruppe"

Dennoch ist über die einzige Frau in der Dreierbande - Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt - nicht sehr viel bekannt. Gleichwohl spielte Beate Zschäpe eine entscheidende Rolle in dem Trio. Nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft war sie "eine Art emotionaler Mittelpunkt dieser Gruppe".

Von Beginn ihres Lebens an wurde Beate Zschäpe das Gefühl vermittelt, nicht gewollt zu sein. Als ihre Mutter im Januar 1975 das Mädchen zur Welt bringt, ist sie überrascht. Von der Schwangerschaft hatte sie bis dato nichts bemerkt, mit einem Verdacht auf Nierenkoliken hatte sie sich ins Krankenhaus einliefern lassen. Beate Zschäpes Mutter ist damals gerade 22 Jahre alt und hat einen Studienplatz für Zahnmedizin in Bukarest ergattert. Das Kind kommt zur Unzeit, ihren Studienplatz in Rumänien will sie wegen der Geburt nicht verlieren.

Ist Zschäpe eine Halbrumänin?

Zwei Wochen nach der Geburt geht die Mutter zurück nach Rumänien und lässt das Kind in Jena bei der Oma zurück. In Bukarest hatte Beates Mutter einen jungen rumänischen Mitstudenten kennen gelernt. Dieser Mitstudent sei Beates Vater, wird die Mutter dem Bundeskriminalamt später in einer Zeugenvernehmung behaupten. Er dagegen wird die Vaterschaft bis zu seinem Tod im Jahr 2000 bestreiten. Es ist ein brisantes Detail: Beate Zschäpe, die Frau, die wahrscheinlich an fremdenfeindlich motivierten Morden mitwirkte oder sie mindestens tolerierte, ist vermutlich eine Halbrumänin.

In Jena kümmert sich zuerst die Großmutter um die junge Beate, im Alter von zwölf Wochen kommt das Mädchen in die Kinderkrippe. Als Beate ein halbes Jahr alt ist, nimmt der deutsche Freund von Beates Mutter das Kind zu sich. Mit dem Mann war die Mutter erst kurz vor Beates Geburt zusammengekommen.

Ein Leben ohne Vater

Später geht die Beziehung kaputt. Die Mutter heiratet wieder, lässt sich nach drei Jahren erneut scheiden. Einen richtigen Vater, sagt sie den Ermittlern später, habe ihre Tochter Beate nie gehabt. Es ist ein rast- und ruheloses Leben. In den knapp 15 Jahren von ihrer Geburt bis zur Wende zieht Beate Zschäpe mit ihrer Mutter sechs Mal in Jena und Umgebung um.

Oft gibt die Mutter ihr einziges Kind zur Oma. Bei ihr, so scheint es, fühlt sich Beate geborgen. Nach ihrer Verhaftung im Jahr 2011 wird Beate Zschäpe zu Protokoll geben, dass sie ein "Omakind" gewesen sei.

In der Wendezeit driftet sie ab

In der Wendezeit 1989/1990 verliert Zschäpe zusehends den Halt. Mit 14 schließt sie sich im Neubaugebiet Jena-Winzerla einer Jugendgang an. Sie sucht nach Orientierung und Perspektive. Das Verhältnis zur Mutter wird schlechter. Zwei Jahre später, im Herbst 1991, lernt die 16-jährige Beate in Jena Uwe Mundlos kennen. Gemeinsam brechen sie in den rechten Jugendtreff ein, klauen Zigaretten und Geld. Die beiden verlieben und verloben sich.Der Berufsstart von Beate Zschäpe verläuft nur schleppend. Sie bekommt keine Lehrstelle zur Kindergärtnerin und beginnt stattdessen mit einem Aushilfsjob als Malergehilfin. Später fängt sie dann eine Ausbildung zur Gärtnerin an. Während der Lehre verlässt sie ihren Freund Uwe Mundlos. Als der seinen Wehrdienst ableistet, verliebt sich Zschäpe in Uwe Böhnhardt, Mundlos' besten Freund.

Die BKA-Handouts vom 01.12.2011 zeigen Uwe Böhnhardt (l-r), Uwe Mundlos und Beate Zschäpe (Foto: dpa)
Die Mitglieder der NSU-Terrorzelle: Uwe Böhnhardt (v.l.n.r.), Uwe Mundlos und Beate ZschäpeBild: picture-alliance/dpa

Sie zeigt ihre zwei Gesichter

Fast zwanzig Jahre verbringen die drei zusammen, bis zum Ende der "Zelle" im November 2011. Ganz am Anfang ist Beate für die beiden Uwes nur eine Freundin, ein liebes Mädchen. Doch wenn sie mit Rechten unterwegs ist, zeigt sie ihre andere Seite: Sie tritt aggressiv auf und verwickelt sich in Prügeleien.

Obwohl Uwe Mundlos von Zschäpe verlassen wurde, sucht er weiterhin ihre Nähe. Nur weil er sie noch immer geliebt habe, hätte das Trio überhaupt entstehen können, wird ein Jugendfreund zitiert. Die beiden Männer werden zu Zschäpes Ersatzfamilie.

Der Verfassungsschutz nimmt die drei ins Visier

Von 1995 an beschleunigt sich die Radikalisierung der Clique. Der Verfassungsschutz wird auf Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt aufmerksam. Als das Landeskriminalamt Thüringen im Januar 1998 eine von Zschäpe angemietete Garage findet, in der Bombenattrappen hergestellt werden, wird aus der Freundschaft endgültig eine "Zelle": Fortan taucht das Trio unter.

Ein von der Polizeidirektion Südwestsachsenherausgegebenes Fahndungsfoto zeigt Beate Zschäpe (Foto: dpad)
Beate Zschäpe: War sie nur auf Suche nach Zuwendung und Zusammenhalt?Bild: Polizeidirektion Suedwestsachsen/dapd

Während Mundlos und Böhnhardt Menschen ermorden und Banken ausrauben, wahrt Zschäpe die Fassade. Kurz nach dem Einzug in die gemeinsame Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 im März 2008 stellt sich Zschäpe den Nachbarn vor. Nach innen hält Zschäpe die Gruppe zusammen, nach außen gibt sie die nette Nachbarin. Schnell ist sie in der Nachbarschaft beliebt, pflegt Kontakte, spendiert Pizza. Ihre beiden Mitbewohner bleiben stets im Hintergrund, agieren unscheinbar. Die Männer hätten niemandem direkt in die Augen geschaut, nie gegrüßt, wird ein Nachbar aus dem gegenüberliegenden Haus in der Presse zitiert.

Die falsche Fassade

Die Nachbarn sehen Zschäpe im Garten die Wäsche aufhängen, fast jeden Tag kocht sie. Es habe immer appetitlich aus der Wohnung gerochen, werden Nachbarn später den Reportern berichten. Währenddessen brechen die Männer zu Mordtouren auf.

Innerhalb des Trios waren die Rollen von Anfang an klar verteilt: Mundlos war das Hirn der Truppe. Böhnhardt, der Waffennarr, war die ausführende Gewalt. Und Zschäpe war die Hausfrau und Mutter der "Familie" - so nennt Zschäpe das Verbrecher-Trio später in der Untersuchungshaft selbst. Eine Familie, die Zschäpe in ihrer eigenen Kindheit nie hatte.