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Baustoff-Mangel im Meer

Volker Mrasek13. September 2006

Die Weltmeere versauern. Mit dieser Warnung wollen 50 internationale Wissenschaftler auf eine gerade erst wahrgenommene Folge des Klimawandels hinweisen. Die Nahrungskette im Meer könnte reißen, weil Kalk fehlt.

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Korallen brauchen kalkreiches, also nicht zu saures WasserBild: AP

Es ist ein schleichender, aber schon lange andauernder Prozess. Das Meer schluckt ständig einen Teil des Kohlendioxids aus Kraftwerken, Industrieschloten und Autos. Im Wasser verwandelt sich das Klima-Gas in Kohlensäure. Die Folge ist, dass der Ozean immer saurer wird. "Seit Beginn des Industrie-Zeitalters hat der Ozean ungefähr die Hälfte des Kohlendioxids aufgenommen, das der Mensch in die Atmosphäre entlassen hat", sagt der US-amerikanische Meeresphysiker Richard Feely. Der Säuregrad des Meerwassers sei so um rund 30 Prozent gestiegen. "Das Thema Meeresversauerung ist noch ziemlich jung. Uns war lange nicht bewußt, wie ernst dieses Problem ist," warnt Feely.

Großer Kohlendioxid-Speicher

Der Trend hält an. In einem neuen US-Report steht, wohin das in Zukunft noch führen kann. Die Autoren baten Klimaforscher um ihre Mithilfe. Die Idee war, auch einmal die Meeres-Chemie in den heutigen globalen Klimamodellen mit einzubauen, was bisher nicht der Fall war. Und dann zu simulieren, wie sich der Ozean im Laufe des Jahrhunderts noch verändern wird. Für Feely und seine Kollegen war das Ergebnis erschreckend: "Geht man von einem Kohlendioxid-Anstieg aus, der sich noch im Rahmen der Zukunftsszenarien aus der Klimaforschung bewegt, dann könnte der pH-Wert des Meeres bis zum Ende des Jahrhunderts um 0,4 fallen. Das würde bedeuten, dass die Konzentration von Wasserstoff-Ionen um das Zweieinhalbfache steigt."

Der pH-Wert fällt, Wasserstoff-Ionen nehmen zu - das ist nur die chemische Beschreibung dafür, dass das Meerwasser weiter versauert. Und zwar ziemlich stark. Doch je saurer der Ozean wird, desto weniger Carbonat oder Kalk enthält er. Auf das im Wasser gelöste Carbonat aber sind ganze Tiergruppen im Meer angewiesen: Korallen, Krebse und Seesterne

besitzen ein Kalk-Skelett, Schnecken und Muscheln ein Kalk-Gehäuse. "Unsere Sorge ist, dass dann viele Meeresorganismen nicht mehr in der Lage sind, ihre Kalk-Schalen auszubilden. Das hätte weitreichende Konsequenzen", erklärt Feely. "Denn viele von ihnen sind eine wichtige Nahrungsgrundlage für Speisefische wie Lachs, Hering und Dorsch."

Korallen-Combo für Schülerworkshop
Bild: AP

Verformte Kalkgehäuse

Laborversuche legen nahe, dass Krebse und Muscheln schon heute Schwierigkeiten haben, genügend Baustoff für ihre Skelette aus dem Meerwasser zu schöpfen, wie die kalifornische Biologin Victoria Fabry berichtet: "In manchen Fällen ist das Skelett dünner oder schwächer geworden. Bei Arten des Meeresplanktons sehen wir, dass ihre Kalk-Gehäuse bei erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen nicht mehr richtig geformt sind."

Diese Ergebnisse basieren allerdings auf Untersuchungen in Labor-Aquarien. Was sich wirklich draußen im Ozean abspielt, wissen Fabry und die anderen Autoren des neuen Reports noch nicht so genau. Man müsse sich auf jeden Fall viel intensiver damit beschäftigen, mahnt Fabry. Zudem stelle sich die Frage, ob der Meeresfauna genügend Zeit bleibe, sich auf die Übersäuerung ihrer Umwelt einzustellen: "Eine einzellige Meeresalge, die sich jeden Tag teilt, hat vielleicht gute Chancen, sich anzupassen. Aber schon bei kleinen Planktonschnecken sieht die Sache anders aus", unterstreicht Fabry. "Bei ihnen dauert die Reproduktion nicht einen Tag, sondern ein halbes oder ein ganzes Jahr. Für sie wird es also viel schwerer, sich auf die Versauerung einzustellen."

Bisher nur Laborversuche

Versauerung der polaren Meere
In den polaren Meeren soll die Versauerung der Meere zuerst Folgen zeigen

Steigende Treibhausgas-Emissionen lassen nicht nur Gletscher schmelzen und den Meeresspiegel ansteigen; sie führen auch dazu, dass sich die Lebensbedingungen im Ozean ändern und das marine Ökosystem in Gefahr gerät. Doch das sei vielen noch immer nicht geläufig, sagt Feely. Er hofft, dass der neue Report über die Versauerung des Meeres daran etwas ändert. Länder wie Deutschland, Norwegen und England sind die ersten, die in diesem Forschungsgebiet aktiv geworden sind. "Wir können nur hoffen, dass es bald ein internationales Programm gibt, um zu sehen, welche Auswirkungen die Versauerung weltweit hat."