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Bürger zweiter Klasse

1. September 2010

100 Jahre ist es her, dass Japan die koreanische Halbinsel annektierte. Heute leben noch rund 700.000 Koreaner in Japan – doch besonders bei der älteren Generation hat die Kolonialgeschichte tiefe Wunden hinterlassen.

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Mit diesen Dokumenten wurden die Koreaner als Ausländer registriert (Foto:DW)
Mit diesen Dokumenten wurden die Koreaner als Ausländer registriertBild: DW

Dass Duk Sang Kang schon fast achtzig Jahre auf dem Rücken hat, sieht man dem Koreaner nicht an – trotz seiner weißen Haare. Vielleicht hält ihn seine Aufgabe jung: Kang hat vor einigen Jahren ein Museum in Japan mitbegründet, er will die japanische Gesellschaft an ihre gemeinsame Vergangenheit mit Korea erinnern. In den Ausstellungsräumen in Tokio liegen Briefe und historische Dokumente in Vitrinen, an den Wänden des Museums hängen Plakate und Fotos. Kang deutet auf ein traditionelles koreanisches Holzhaus, das im Museum nachgebaut wurde: "Japaner haben im Regelfall nicht an Koreaner vermietet, deswegen haben sich die Koreaner früher eigene Plätze gesucht und Hütten gebaut", sagt der weißhaarige Mann. "Viele Koreaner haben ohne Strom, Gas und Wasser gelebt."

Japans hartes Regime in Korea

Gegenstände aus dem Alltag der Koreaner in Kangs Museum (Foto:DW)
Gegenstände aus dem Alltag der Koreaner in Kangs MuseumBild: DW

Vor einhundert Jahren, im August 1910, unterzeichnete Korea auf Druck Japans den so genannten Annexionsvertrag. Korea gab mit dem Vertrag seine Eigenständigkeit auf und wurde zu einer japanischen Kolonie. Tokio beutete im Nachbarland fortan Rohstoffe aus. Oppositionelle Koreaner, die sich der japanischen Herrschaft widersetzten, wurden zu Tausenden in Gefängnisse gesperrt. Und aus einem Gefühl kultureller Überlegenheit heraus unterdrückte Japan die koreanische Kultur. Die japanische Sprache wurde zur Nationalsprache und ab 1915 zur alleinigen Unterrichtssprache.

Koreaner wurden zu Japanern - unfreiwillig

Dieses abfotografierte Foto zeigt das Leben der Koreaner in Japan (Foto: DW)
Dieses Foto aus der Ausstellung zeigt das Leben der Koreaner in JapanBild: DW

Die Annexion Koreas machte aus den Koreanern japanische Staatsbürger, gleichberechtigt behandelt wurden sie jedoch nie. Trotzdem kamen in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren über eine Million Koreaner freiwillig nach Japan – sie hofften, dort Arbeit zu finden - auch die Eltern von Duk Sang Kang. Doch Japans Kriegseintritt verschärfte die Situation für die Koreaner weiter: Tokio verschleppte rund 200.000 koreanische Mädchen und Frauen – die so genannten Trostfrauen - an die japanische Front, wo sie von japanischen Soldaten in Militärbordellen zum Sex gezwungen wurden. Koreanische Männer wurden als Zwangsarbeiter nach Japan gebracht. Die meisten Koreaner sehnten ein Ende der Kolonialherrschaft herbei.

Japans Niederlage 1945 brachte die Befreiung

Duk Sang Kang lebt schon seit mehr als 60 Jahren in Japan (Foto: DW)
Duk Sang Kang lebt schon seit mehr als 60 Jahren in JapanBild: DW

Noch heute erinnert sich Kang an den 15. August 1945, den Tag der japanischen Kapitulation. Wegen der Bombardierung Tokios war Kang damals zu einer japanischen Familie aufs Land gebracht worden. Plötzlich seien alle zum Schulhaus gerufen worden, erzählt er. Kurz darauf sprach der japanische Kaiser zum ersten Mal überhaupt im Radio. Der Tenno verkündete Japans Niederlage. "Alle weinten und auch ich habe mich schlecht gefühlt, ich war traurig, weil Japan den Krieg verloren hatte", erinnert sich Kang noch heute. "Am Tag danach bin ich dann zurück zu meiner Familie nach Tokio gefahren. Als ich bei uns zuhause ankam, waren da viele Koreaner. Sie tranken und feierten die Befreiung."

Unklarer Status

Nach der Kapitulation Japans kehrten die meisten Koreaner in ihre Heimat zurück. Aufgrund der ungewissen Lage in Korea blieben jedoch rund 650.000 Koreaner in Japan. Allerdings wurde ihnen nicht nur das Wahlrecht entzogen, auch die zuvor aufgezwungene japanische Staatsbürgerschaft wurde ihnen aberkannt. "Bis 1945 waren sie Japaner, hatten die japanische Staatsangehörigkeit", erklärt Sven Saaler, Professor für japanische Geschichte an der Sophie-Universität in Tokio. "Das war zwar nicht für alle positiv, denn sie waren ja koloniale Subjekte des japanischen Kaiserreiches. Aber danach waren sie plötzlich in einem fremden Land staatenlos. Für viele ist das bis heute ein Problem."

Erst mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Japan und Südkorea im Jahr 1965 konnten die Koreaner in Japan südkoreanische Pässe beantragen. Seit einigen Jahren können die Koreaner wie alle anderen Ausländer auch die japanische Staatsbürgerschaft beantragen. Voraussetzung ist jedoch, dass sie die japanische Sprache beherrschen.

Viele Koreaner gingen nach Nordkorea

Japans Herrschaft über Korea endete mit der Kapitulatuion. Sowjetische Truppen beim Einmarsch auf die koreanische Halbinsel im August 1945. (Bild: picture-alliance)
Japans Herrschaft über Korea endete mit der Kapitulatuion. Sowjetische Truppen beim Einmarsch auf die koreanische Halbinsel im August 1945.Bild: picture-alliance/akg-images

Anders im Fall Nordkorea. Japan erkennt das Regime in Pjöngjang nicht an, es gibt keine nordkoreanische Botschaft in Japan und so auch keine Möglichkeiten, nordkoreanischer Staatsbürger zu werden. Dennoch spielt Nordkorea für die in Japan lebenden Koreaner eine wichtige Rolle. Denn in den sechziger Jahren gingen rund 100.000 Koreaner aus Japan nach Nordkorea. Auch Duk Sang Kangs Bruder brach damals seine Zelte in Japan ab und folgte dem Ruf Pjöngjangs: "Mein Bruder war auf der japanischen Kunstakademie gewesen und hatte eine Gesangsausbildung, aber er fand hier keine Arbeit. In Japan hätte er wohl nie auftreten können. Er hat nach einem Ort gesucht, wo es eine Bühne für ihn gab und den hat er dann in Nordkorea gesehen." Kang hat seinen Bruder nie mehr getroffen, mittlerweile ist er wohl gestorben.

Keine Versöhnung ohne Kenntnis der Geschichte

Die meisten Japaner wüssten jedoch kaum Einzelheiten, die mit der Kolonialgeschichte zusammenhängen, sagt Kang, denn japanische Geschichtsbücher blenden diese historischen Ereignisse eher aus. Kang betrachtet sein Museum deswegen als wichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen den asiatischen Nachbarstaaten. Er will, dass sich sowohl Japaner wie Koreaner der gemeinsamen Vergangenheit bewusst werden. Denn nur wer die Geschichte kenne, sei in der Lage, ehrliche und stabile Beziehungen für die Zukunft aufzubauen.

Autorin: Silke Ballweg

Redaktion: Mathias Bölinger