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Politik

"Eine historische Epoche für die Kurden"

27. September 2017

Erbil ist die Hauptstadt der Kurden im Nordirak. Bürgermeister Nihad Qojy spricht im DW-Interview über das Unabhängigkeitsreferendum, die nächsten Schritte und den Willen der Kurden zur Unabhängigkeit.

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Irak Kurden stimmen über Unabhängigkeit ab
Eine weibliche kurische Pschmerga gibt beim Referendum ihre Stimme abBild: Getty Images/AFP/S. Hamed

Deutsche Welle: Die Kurden haben nun tatsächlich über ihre Unabhängigkeit abgestimmt. Wie ist jetzt die Stimmung in Erbil?

Nihad Qoja: Die Stimmung in Erbil - und laut unseren Informationen auch in anderen Städten - ist sehr, sehr gut. Die Menschen sind erst mal sehr glücklich, dass sie an diesem historischen Tag teilnehmen durften. Daneben geht das Leben ganz normal weiter. In Erbil sind die Geschäfte wieder auf. Wir sind jetzt in eine historische Epoche eingetreten.

Niemand hat irgendeinen Zweifel, dass die Abstimmung eine überwältigende Zustimmung für die Unabhängigkeit ergibt. Aber: Sie ist rechtlich nicht bindend und der Präsident der kurdischen Regionalregierung Massoud Barsani hat mehrfach angekündigt, auch auf ein "Ja", folge nicht automatisch die Unabhängigkeitserklärung.

Andererseits hat die Abstimmung aber sicher auch Erwartungen bei der Bevölkerung geweckt. Was erwarten sie werden die nächsten Schritte sein?

"Das gute Recht des kurdischen Volkes"

Zunächst einmal: Diese Abstimmung ist legitim, weil sie vom kurdischen Parlament legitimiert wurde. Das kurdische Parlament ist laut irakischer Verfassung eine legitime Institution. Daher ist diese Abstimmung legitim. Zwar gibt es international Bedenken und Kritik. Aber das ist der Wille eines Volkes, das über seine Zukunft entscheiden möchte. Das ist das gute Recht des kurdischen Volkes.

Wir werden, wie Präsident Barsani gesagt hat, demnächst mit der irakischen Regierung in Bagdad in Verhandlungen eintreten. Denn die  kurdische Führung hat ein Votum des Volkes bekommen: Die Regionalregierung wurde beauftragt, in Verhandlungen mit dem Irak einzutreten und über die Unabhängigkeit und über eine friedliche Trennung vom Irak zu verhandeln und dabei zu einem Ergebnis zu kommen.

Nihad Latif Qoja Bürgermeister von Erbil in Irak Archiv 2010
Bürgermeister von Erbil und leidenschaftlicher Unabängigkeitsbefürworter: Nihad QojaBild: DW/S. Sharef

Der Druck aus Bagdad und auch aus dem Ausland auf die Kurden ist enorm. Der Iran hat den Luftverkehr eingestellt; die Türkei droht mit einem Handelsboykott für das wichtigste Exportprodukt Öl, auch die UN, die USA und die westlichen Verbündeten der Kurden haben sich gegen das Referendum gestellt. Allein Israel unterstützt die kurdische Unabhängigkeit. Macht sich dieser Druck in Erbil bemerkbar - und wenn ja: wie?

"Ablehnung ist nicht neu"

Erlauben Sie mir, diese Information zu korrigieren. Die westliche Welt ist nicht prinzipiell gegen das Referendum. Alle unsere Freunde in Europa und Amerika meinen, dass die Zeit nicht reif ist oder nicht günstig - wegen dem Kampf gegen IS. Der Iran und die Türkei: Klar, die haben sich sehr offen dagegen ausgesprochen. Das ist für uns aber nichts Neues.

Wenn wir zurück blicken: 1992 wurde zum ersten Mal ein kurdisches Parlament und eine kurdische Regierung gewählt. Die Türkei war dagegen, genau wie heute. 2003, nach dem Irak-Krieg und dem Sturz Saddam Husseins, haben wir in Bagdad an der Verfassung gearbeitet und über ein föderales System gesprochen: Die Türkei und auch der Iran waren dagegen. Jetzt ist die türkische und iranische Position nicht neu. Ich glaube, in den kommenden Tagen oder vielleicht auch Wochen wird sich die Lage wieder beruhigen.

Nihad Latif Qoja ist seit 2004 Bürgermeister von Erbil, Hauptstadt des kurdischen Gebiets im Irak und Sitz der autonomen Region Kurdistan. 1981 war der ehemalige Sportlehrer vor dem Saddam-Regime nach Deutschland geflohen und lebte mehr als zwei Jahrzehnte lang in Bonn.

Das Interview führte Matthias von Hein

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein