1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bürger wollen bestimmen

Heiner Kiesel6. September 2012

Traditionell bestimmen in Deutschland Parteien, wie Politik gemacht wird. Aber dieses Modell wird immer unbeliebter. Basisdemokratische Verfahren sind im Aufwind - das zeigt sich besonders auf kommunaler Ebene.

https://p.dw.com/p/163wk
Passanten tragen sich in Listen ein (Foto: picture alliance/dpa)
Bürgerbegehren DuisburgBild: picture-alliance/dpa

Manchmal machen die Kommunalpolitiker einfach nicht, was ihre Bürger wollen. Das passiert immer wieder, wenn es um Umgehungsstraßen, Windräder am Ortsrand oder die Gebührenordnung einer Gemeinde geht. Trotzdem müssen die Menschen nicht auf die nächsten Wahlen warten, um das zu korrigieren. 1956 wurde im Bundesland Baden-Württemberg erstmals die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens eingeführt. Inzwischen können auf diesem Weg überall in Deutschland kommunale Entscheidungen beeinflusst und herbeigeführt werden.

"Es lohnt sich, bei diesen Initiativen mitzumachen", sagt Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher des Vereins Mehr Demokratie. Eine Studie seiner Organisation, die in Zusammenarbeit mit den Universitäten Wuppertal und Marburg entstanden ist, zeigt, dass 39,8 Prozent aller Bürgerbegehren erfolgreich verlaufen sind - im Sinne ihrer Initiatoren. Der Bürgerbegehrensbericht 2012 setzt sich mit den 5929 Fällen auseinander, in denen bisher die Gemeindepolitik mit basisdemokratischen Mitteln gestaltet werden sollte. "Jedes Jahr werden rund 300 Verfahren gestartet", resümiert Beck. Bürgerbegehren seien eine zweite Säule der politischen Partizipation geworden.

Bürgerbegehren unter schwierigen Bedingungen

Basisdemokratische Verfahren werden immer populärer, während die etablierten Parteien als Faktoren der politischen Willensbildung an Attraktivität verlieren. Aber, es gibt - je nach Bundesland - teils hohe Hürden für die Bürgerbegehren. So ist oftmals das Abstimmen über öffentliche Bebauungsvorgaben untersagt, oder schwierige Formfragen behindern die Initiativen der Bürger. Aber selbst wenn die Abstimmung positiv verlaufen ist, bedeutet das noch nicht den Erfolg. "Viele Verfahren scheitern, obwohl eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen das Anliegen unterstützen, weil einige Landesgesetze die Zustimmung von bis zu 30 Prozent der Wahlberechtigten einfordern", kritisiert Beck. Dieses Quorum sei beispielsweise im Saarland notwendig. "Das ist wahnsinnig hoch", meint Beck. Auch sonst steche das kleine Bundesland im Westen der Republik mit besonders rigiden Vorgaben hervor. Dort gibt es, kaum verwunderlich, die wenigsten Bürgerbegehren.

Ralf-Uwe Beck, Vorstandsvorsitzender des Vereins Mehr Demokratie (Foto: DW)
Ralf-Uwe Beck setzt sich für mehr Basisdemokratie einBild: DW

Bayerns Bürger stemmten insgesamt 40 Prozent aller Verfahren in Deutschland. Der Freistaat im Süden, hat in den Augen des Demokratie-Lobbyisten Beck vorbildliche Gesetze. Es gibt geringe Hürden und die Bürger nutzen das Instrument gerne. Das Quorum in Bayern liegt je nach der Einwohnerzahl der betroffenen Gemeinde zwischen 10 und zwanzig Prozent.

Kritik an der Bürgerbeteiligung

Die direkte Beteiligung von Bürgern wird nicht von jedem gern gesehen. Besonders bei konservativen Parteien gibt es Widerstände. Politische Sachverhalte seien oftmals sehr komplex und oftmals schwer auf eine Ja-nein-Entscheidung reduzierbar, heißt es dann. Zuletzt äußerte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) entsprechende Bedenken. Oft wird befürchtet, dass sich Bürger mit bestimmten Eigeninteressen zusammentun und politische Anstrengungen für die Allgemeinheit blockieren. Von "Wutbürgern" ist dann die Rede, die gut organisiert zum Bremsklotz für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung vor Ort werden können. Die Studie zeigt, dass sich besonders gebildete und gut vernetzte Menschen bei Bürgerbegehren engagieren.

Das egoistische Moment der Bürgerbegehren will Volker Mittendorf so nicht sehen. Er ist Leiter des Bereichs Direkte Demokratie an der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Universität Wuppertal. "Wir haben das am Beispiel von Energiethemen genauer untersucht", sagt der  Politikwissenschaftler, "und ermittelt, dass Partikularinteressen nur in Ausnahmefällen erfolgreich sind." Oft unterstütze ein Bürgerbegehren die Suche nach alternativen Lösungen und rege die Diskussion an. Das könne dazu führen, dass ein erst unbeliebter Windpark als Genossenschaftsprojekt akzeptiert oder die Trasse einer Stromleitung verlegt wird. "Direktdemokratische Verfahren helfen oft, eine schwierige Situation zu befrieden", beobachtet Mittendorf.

Volker Mittendorf, Leiter der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Universität Wuppertal (Foto: DW)
Volker Mittendorf erforscht die Effekte von BürgerbegehrenBild: DW