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Bücherberg zum Mauerfall

4. November 2009

Viele können das Wort mit "M" nicht mehr hören. Sagen, es gebe doch nichts mehr zu erzählen, 20 Jahre danach. Mauerfall, deutsche Einheit, Wiedervereinigung- ist wirklich alles gesagt? Die Buchmesse lieferte die Antwort.

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Menschen stehen auf der Berliner Mauer im Dezember 1989 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Viele Verlage prunken im Jubiläumsjahr regelrecht mit ihrem literarischen Angebot zum Mauerfall - man könnte die Neuerscheinungen zu großen Türmen stapeln. Von Überdruss, zumindest auf Seiten der Autoren und Verlage, keine Spur. Ex-Politiker wie der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Schriftsteller wie Ingo Schulze oder Daniela Dahn, einstige Bürgerrechtler, Künstler, Humoristen, sogar Sänger wie Udo Lindenberg - sie alle und viele andere haben im Jubiläumsjahr noch einmal zur Feder gegriffen und ihre Sicht der Ereignisse aufgeschrieben oder Sammelbände mit einer Vielzahl von Texten herausgegeben. Der Mauerfall hat Konjunktur.

Scham und tiefer Sturz

Mitten auf der Buchmesse sitzt Hans Dieter Schütt und ihn beschleicht beim Gedanken an die Vergangenheit ein unangenehmes Gefühl, ein "entsetzliches und beschämendes" wie er sagt. Das hat seine Gründe: In der DDR hat Schütt Karriere gemacht und es bis zum Chefredakteur der FDJ-Zeitung "Junge Welt" gebracht - damals kein unbedeutendes Blatt, sondern das Kampforgan zur Erziehung und Ertüchtigung der sozialistischen Jugend. "Wenn ich heute Texte von mir lese, dann wünsche ich mir schon, dass sie ungeschehen wären. Aber sie sind nicht ungeschehen. Und ich denke "wie konntest du das nur schreiben?!"

Messestand des LINKS Verlags auf der Frankfurter Buchmesse (Foto: Gabriela Schaaf)
Bild: DW

Schütt war aber auch führender Funktionär, mit Zugang zu den Granden und Gremien der SED. Sein Sturz nach dem Mauerfall war tief. Und dennoch empfindet er ihn heute wie eine Befreiung. Über all das - und auch darüber, dass und wie er nach der Wende Journalist geblieben ist - hat Schütt ein Buch geschrieben, das er jetzt in Frankfurt vorgestellt hat. Es ist mehr als nur eine schonungslose Selbstbeschreibung, es legt Zeugnis ab über die Verstrickung von Journalismus, Macht und Unterdrückung in der damaligen DDR.

Neue Akzente, neue Blickwinkel - und, wie Detlev Felken, Cheflektor des Beck-Verlages, erläutert, eine neue Generation von Historikern machen zusammen das Thema noch einmal spannend und interessant. "Das einigt, glaube ich, fast alle Autoren, die sich in diesem Jahr zur Deutschen Einheit äußern: dass sie die Frage umtreibt, welche Lehren können wir aus den Erfahrungen der Vergangenheit ziehen."

Perspektivenwechsel

Auch Christoph Links, der 2009 zugleich das zwanzigjährige Bestehen seines Verlages feiert, kann dem Thema neue Seiten abgewinnen. Perspektivenwechsel! sagt er, während alle anderen die ausgetretenen Pfade noch mal beschreiten. "Wir versuchen mal den Blick von der anderen Seite auf die DDR zu richten und haben gerade zwei Bücher vorgelegt, in denen jene Menschen vorgestellt werden, die aus dem Westen in den Osten gekommen sind. Einmal als Westdeutsche, weil sie über die Mauer geklettert sind, weil sie Probleme im Westen hatten, und zum anderen über jene Ostdeutschen, die in den Westen gegangen sind, sich dann aber aus privaten Gründen entschlossen haben, zurückzukehren und die durch die sehr strengen Aufnahmelager mussten, wo sie wochen-, zum Teil monatelang verhört und kontrolliert worden sind."

Flucht in den Westen aus einem Haus an der Sektorengrenze in Berlin (Foto: dpa)
Flucht in den Westen: hier aus einem Haus an der Sektorengrenze in BerlinBild: dpa

Im Übrigen, so Christoph Links, gebe es noch viel zu erzählen. Zum Beispiel über die Alltagskultur und das Zusammenleben der Menschen in der DDR. Über die Herrschaftsgeschichte wisse man schon genug. Hans Dieter Schütt, der Autor, hat unterdessen für sich Bilanz gezogen. Er weiß, wie schwer es ist, im großen Angebot Leser zu finden. Für die Opfer des DDR-Regimes, dessen Teil er war, kommen seine kritischen Selbsterkenntnisse möglicherweise zu spät. Für die anderen, die Unbelehrbaren, ist er der Verräter an einer guten Sache. "Ich befürchte, dass dieses Buch im Niemandsland zwischen beiden Leserkreisen seine Einsamkeit fristen muss". Das aber, so sagt er, mache ihm gar nichts aus.

Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Marlies Schaum