Aynur
16. Mai 2011Seit Tausenden von Jahren steht die Festung Hasankeyf im Tigris-Tal. Doch wie lange noch? In der Region leben zehntausende Kurden und Türken, die ihre Dörfer demnächst verlassen müssen. Denn die antike Stadt Hasankeyf und über 200 weitere archäologische Stätten sollen in den Fluten eines riesigen Stausees untergehen.
Die Sängerin Aynur eröffnet ihr neues Album "Rewend" darum mit einem Lied über das Schicksal heimatloser Nomaden. Auch der deutsch-türkische Filmemacher Fatih Akin engagiert sich gegen den geplanten Bau des Ilisu-Staudamms im Südosten der Türkei. Fatih Akin und Aynur sind seit Jahren befreundet, und so drehten sie gemeinsam ein Musikvideo - nicht etwa vor der schillernden Kulisse von Istanbul, sondern in Hasankeyf.
Populär trotz Zensur
Aynur solidarisiert sich mit den Zwangsumgesiedelten. Egal, welche Nationalität sie haben. Ihr sanfter Widerstandsgeist ist legendär, seit vor einigen Jahren ihr Lied "Kece Kurdan (Kurdisches Mädchen) verboten wurde. "Dieses Lied rief die Frauen dazu auf, gegen die Vorherrschaft der Männer zu kämpfen", erzählt sie. "Und es forderte die Frauen dazu auf, sich Bildung anzueignen und für ihre individuellen Rechte zu kämpfen." Der Song rief damals starke Reaktionen hervor, doch alle Versuche, das Lied auch international zu verbieten, scheiterten. Damals hat Aynur sich nicht gebeugt und einfach im Ausland und im Internet weitergesungen. Doch ihr eigentliches Ziel war es, auch zuhause in der Türkei gehört zu werden; besonders wenn sie, wie in ihrem Lied "Ahmedo", Ehrenmorde anprangerte.
Vom Land in die Metropole
Mittlerweile hat Aynur im türkischen Fernsehen gesungen, bei Spielfilmen mitgewirkt und Konzerte rund um den Globus gegeben. Dabei stammt die Sängerin aus einem kleinen ostanatolischen Dorf. Ihre Jugend erlebte sie in Istanbul, und erst dort lernte sie an der Arif Sağ Musikschule die Laute Saz spielen, die zu jedem alevitischen Haushalt gehört.
Sie tauchte immer tiefer ein in die Legenden und Lieder ihrer Vorfahren. "In unserer kurdischen Volksmusik gibt es bestimmte Motive wie Emigration, Exil, Verlust und Liebe", erzählt sie."Diese oft mit Trauer besetzten Themen gehörten seit Jahrhunderten zu unserem Leben. Wir teilen dieselben Probleme, die auch andere Völker im Nahen Osten haben. Die meisten Lieder habe ich von meinen älteren Verwandten gelernt. Sie beziehen sich auf wirkliche Ereignisse unserer Geschichte."
Spartanisch und opulent
Die meisten Titel für "Rewend" wurden in einem Mainzer Studio aufgenommen. Am Kontrabass hört man den deutschen Jazzmusiker Sebastian Räther. Einige Lieder des Albums sind sehr spartanisch, andere wiederum sehr opulent instrumentiert und arrangiert. Aynur bewegt sich unverkennbar in der Tradition kurdischer Barden. Die wurden "Dengbesh" genannt und waren immer Männer. Einige von ihnen sangen aber auch Lieder, die sich Frauen ausgedacht haben, berichtet Aynur.
"Diese fahrenden Barden haben ein sehr gutes Gedächtnis, manchmal erzählen sie zwölf Stunden lang Märchen. Sie beginnen am Abend und enden erst am Morgen." Die Dengbesh ziehen durch kurdische Dörfer im Iran, Irak, Syrien und der Türkei. Das ist eine der Hauptquellen, aus denen sich die kurdische Musik nährt.
Sängerin keine Politikerin
Mittlerweile hat Aynur eine Sonderstellung in der kurdischen Kultur erlangt. Ihre emotionale Stimme und ihr tief empfundener Gesang haben der Sängerin viele Türen und Herzen auch jenseits der kurdischen Gemeinschaft geöffnet. Die junge Frau an der Saz ist Symbolfigur und Vorbild für viele Mädchen und Frauen geworden. Nicht zuletzt, weil Aynur es geschafft hat, kurdische Musik in die Mitte der türkischen Gesellschaft zu rücken. Und zwar weniger durch politische Statements als durch sanfte Hartnäckigkeit mit Liedern wie Milch und Honig. "Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass meine Identität über der Musik steht", sagt Aynur. "Egal ob ich türkische, kurdische oder tscherkessische Musik mache: Lasst uns das nicht immer wieder mit politischen Hintergedanken betrachten. Ich möchte Sängerin sein, keine Politikerin. Denn kurdische und türkische Musiker haben untereinander keine Probleme. Wenn es anders wäre, würde dass das Ende der Welt bedeuten."
Autorin: Grit Friedrich
Redaktion: Matthias Klaus