1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Avi Primor: Was jetzt bevorsteht, sind die Wahlen

Das Gespräch führte Gernot Jäger6. Januar 2006

Interview mit Avi Primor, dem langjährigen Botschafter Israels in Deutschlands, zur aktuellen Situation nach der Erkrankung Scharons - und wie es nun weitergeht mit Israel und den Palästinensern.

https://p.dw.com/p/7kjt
Der israelische Ex-Botschafter in DeutschlandBild: dpa - Fotoreport

Deutsche Welle: Wie haben die Menschen, mit denen Sie gesprochen haben, auf die Nachricht von Scharons Schlaganfall reagiert?

Avi Primor: "Die Leute sind verblüfft und traurig. Scharon war äußerst beliebt - nicht immer, aber in den letzten zwei Jahren. Und vor allem sind die Leute verwirrt, weil sie nicht genau wissen, wo das jetzt hinführen soll. Die politische Landschaft war ohnehin erschüttert für die meisten Israelis. Es gab ja ein politisches Erdbeben: neue Parteien kamen, andere sind verschwunden und solche Sachen. Die Leute wussten nicht mehr, wie genau sie wählen sollten. Und jetzt wird alles noch komplizierter. Im Allgemeinen würde ich sagen, dass die Leute heute nicht klar sehen. Das wird noch ein paar Tage brauchen, bis die Leute sich Meinungen machen."

Scharon war der starke Mann seiner Regierung. Ehud Olmert, sein Stellvertreter, hat die Regierungsgeschäfte jetzt erstmal übernommen. Wie groß ist aber die Lücke, die jetzt bleibt?

"Was jetzt bevorsteht sind die Wahlen am 28. März. Damit wird sich die Politik und die öffentliche Meinung beschäftigen. Insofern muss Olmert keine großen Entscheidungen treffen. Was heute gilt, wird so bleiben bis nach den Wahlen. Mittlerweile wird Olmert ganz gut regieren können. Die Partei steht hinter ihm, und auch seine Koalitionspartner, und die Bevölkerung wird ihn auch nicht behindern wollen. Er verfügt über eine Mehrheit im Parlament und muss sich keine Sorgen machen, aber das ist eine Übergangsregierung - nichts anderes."

Ariel Scharon hat ja gerade eine neue Partei gegründet. Kadimas ist eine Art Sammlungsbecken für Politiker verschiedener Richtungen, die alle Friedensgespräche mit den Palästinensern wollen. Wer außer Scharon könnte diese Partei jetzt in die Wahlen führen?

"Warum konnte Scharon so eine Partei gründen? Warum sind die Politiker zu ihm gekommen? Warum ist Scharon so beliebt geworden? Nur aus einem einzigen Grund: Weil er eine Kehrtwende in seiner Politik durchgeführt hat. Der Scharon, der der größte Siedlungsbauer des Staates Israel immer war, hat Siedlungen geräumt. Er hat auf Gebiete verzichtet, die er immer als Teil des jüdischen Erbes betrachtet hat, als Teil der jüdischen Heimat, auf die man nie verzichten darf. Er hat darauf verzichtet, und das hat er aus einem einzigen Grund getan: Weil er begriffen hat, dass die Mehrheit der israelischen Bevölkerung sich so etwas wünscht. Die Mehrheit der israelischen Bevölkerung will nicht mehr die Besatzung fortsetzen, will keine Siedlungen haben, will sich von den Palästinensern trennen. Deshalb hat er das in die Tat umgesetzt. Das hat ihn beliebt gemacht, und insofern wird jeder Politiker, abgesehen vom rechtsextremistischen Lager, das Gleiche verstehen - und infolgedessen auch das Gleiche tun."

Wer könnte in seiner Partei seinen Platz einnehmen?

"Das kann momentan nur Herr Olmert sein. Olmert ist Nummer Zwei. Olmert wird ab heute Premierminister sein und alles mögliche tun, um es auch zu bleiben. Ich glaube, dass die Mitglieder seiner Partei hinter ihm stehen werden. Jedoch nicht die neuen Mitglieder - also diejenigen, die aus der Arbeitspartei dem Likud oder den anderen kleinen Parteien beigetreten sind. Das ist alles noch ganz unklar. Ich gehe davon aus, dass die Meinungsumfragen nicht so glücklich für Olmert sein werden, wie sie bis heute für Scharon waren. Das wird dann - wie gesagt - eine andere politische Landschaft sein."

Was bedeutet das für den Friedensprozess, wenn diese Partei, die Scharon gegründet hat, nicht den Erfolg hat, den sie mit ihm gehabt hätte?

"Das hängt davon ab, wer die Wahlen gewinnen wird. Wenn zum Beispiel die Arbeitspartei die größte Partei wird - was heute schon nicht mehr unmöglich ist - mit der Kadima-Partei eine Koalition bildet."