Außenministerin Baerbock: Sie setzt auf Werte
26. November 2021Auch wenn es mit dem höchsten Regierungsamt nicht geklappt hat, weil die Grünen bei der Bundestagswahl hinter SPD und CDU/CSU auf Platz drei landeten, steckt in ihrer Nominierung ein Rekord: Annalena Baerbock würde nicht nur die erste Frau an der Spitze der deutschen Diplomatie, sondern auch die jüngste Person in diesem Amt: Am 15. Dezember wird sie 41.
Im Wahlkampf hatte sie den Klimaschutz an die erste Stelle gesetzt, aber auch immer wieder die außenpolitischen Themen betont - und deutlich gemacht, dass für sie Klimapolitik und Außenpolitik sehr eng zusammengehören, weil Klimaschutz nur international gelingen kann.
Die Klimakrise sei die "größte Herausforderung der Zeit", sagte sie am Mittwoch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages. Das Ziel der Klimaneutralität ziehe sich durch alle Bereiche der Politik, auch durch die internationale Zusammenarbeit, die Außen- und Sicherheitspolitik.
Baerbock ist gegen Nord Stream 2
Es gab im Wahlkampf auch eine Diskussionsrunde nur über Außenpolitik, an der die damaligen Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen teilnahmen, Armin Laschet, Olaf Scholz und eben Annalena Baerbock. Im Rückblick ist hier vor allem interessant, welche Unterschiede dabei zwischen Baerbock und dem künftigen Bundeskanzler Scholz auftauchten. Soviel vorweg: keine grundsätzlichen.
Allerdings gibt es durchaus unterschiedliche Positionen in Einzelfragen. Baerbock hat sich zum Beispiel klar gegen die Ostsee-Gasleitung Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland ausgesprochen, die Scholz befürwortet.
Ihre Argumente: Die Pipeline sei klimapolitisch falsch, weil man wegwolle von fossilen Energieträgern. Sie mache Deutschland zu sehr abhängig von Russland, und die Ukraine fühle sich im Stich gelassen, weil Nord Stream 2 die Ukraine als Gas-Transitland umgeht.
Die Ukraine wird im Koalitionsvertrag nun extra genannt als Land, das von Deutschland unterstützt wird - gemeint ist offensichtlich - ohne dass Russland genannt wird - gegen russische Bedrohung.
Ende der Samthandschuhe bei China?
Baerbock hat allgemein den Anspruch, eine stärker Werte-orientierte Außenpolitik zu betreiben und die Menschenrechtslage in wichtigen Ländern wie Russland und China sehr viel mehr zur Sprache zu bringen. Es sind Länder, bei denen Deutschland starke Wirtschafts- und Handelsinteressen hat.
Im Koalitionsvertrag ist nun in Bezug auf China nicht nur von Wettbewerb die Rede, sondern auch von einer Systemrivalität. Es ist ein schärferer Ausdruck, der das Spannungsfeld der deutschen China-Politik verdeutlicht. Das Auswärtige Amt unter ihrer neuen Chefin wird nun die Aufgabe haben, eine umfassende China-Strategie auszuarbeiten, um "unsere Werte und Interessen verwirklichen zu können".
Die Vorgänger-Regierung unter Angela Merkel hatte bei China nach Meinung vieler Kritiker die (Handels-)Interessen viel stärker betont als die Werte. Zwar setzte Baerbocks Vorgänger als Außenminister, der SPD-Politiker Heiko Maas, mitunter etwas andere Akzente als Merkel, die CDU-Bundeskanzlerin hat aber die Außenpolitik weitgehend selbst bestimmt. Ob ein Bundeskanzler Olaf Scholz seiner Außenministerin mehr Gestaltungsspielraum lässt, als es Merkel getan hat, ist eine offene Frage.
Keine einfache Partnerin für die USA
Interessant wird auch zu beobachten sein, ob Baerbock die transatlantische Partnerschaft neu belebt, die während der Präsidentschaft von Donald Trump extrem gelitten hat, die aber auch nach dem Wechsel zu Präsident Joe Biden kühl geblieben ist. Baerbock wird sich hier überlegen müssen, ob sie Bidens Werben um Partner gegen China folgen will oder ob Deutschland sich aus dieser Konfrontation heraushalten soll. Ein schwieriger Balanceakt bleibt das in jedem Fall.
Problematisch ist hier auch Baerbocks Forderung, die USA sollten ihre Atomwaffen aus Deutschland abziehen, und ihre Ablehnung höherer Verteidigungsausgaben, wie sie vor allem die USA seit vielen Jahren fordern. Das könnte zu weiterem transatlantischem Konfliktstoff führen.
Mehr Europa - wie gehabt
Baerbock setzt sich seit Jahren für mehr weltpolitisches Engagement der EU ein, vor allem in der Sicherheitspolitik. Europa müsse seine "Friedensrolle" in der Welt ernster nehmen, hat sie gesagt. Der Koalitionsvertrag fordert denn auch eine "echte gemeinsame Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik in Europa"; nationale Armeen müssten stärker zusammenarbeiten.
Das ist allerdings seit Jahren die deutsche Position, noch dazu unterstützt von einer EU-Kommissionspräsidentin aus Deutschland, ohne dass viel daraus geworden wäre. Hier wird Baerbock dicke Bretter bohren müssen.
Allgemein spricht der Koalitionsvertrag viel vom Multilateralismus, von der Stärkung der internationalen Zusammenarbeit und ihrer Institutionen wie der UN. Das klingt ganz nach Baerbock, allerdings keineswegs exklusiv, es ist die Fortsetzung klassischer deutscher Außenpolitik. Es werden also keine dramatischen Abweichungen von der bisherigen Linie erwartet.
"Ich komme eher aus dem Völkerrecht"
Was bringt Annalena Baerbock für das Amt mit? In einem Auftritt vor einem Jahr hatte sie sich von ihrem Ko-Parteivorsitzenden, dem früheren schleswig-holsteinischen Landwirtschafts- und künftigen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, mit den Worten abgesetzt: "Was hast Du ... Kühe melken? Ich komme eher aus dem Völkerrecht."
Sie hat Politikwissenschaften in Hamburg studiert und einen Master in Public International Law an der London School of Economics and Political Science gemacht. Interviews kann sie in fließendem Englisch führen, was auch heutzutage keine Selbstverständlichkeit unter deutschen Politikern ist.
Ihr Aufstieg in der Grünenpartei war steil, in der Bundespolitik auch. Nach dem Scheitern ihrer Ambitionen auf das Kanzleramt jetzt also: das Auswärtige Amt.