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Autorentreffen: "Eine gemeinsame Sprache finden"

Das Gespräch führte Kerstin Hilt27. Juli 2005

Hwang Sok-yong ist Koreas bekanntester Schriftsteller. Gerade ist er aus Pjöngjang zurückgekehrt, vom ersten gesamtkoreanischen Autorentreffen. DW-WORLD hat mit dem engagierten Streiter für Koreas Einheit gesprochen.

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In Nordkorea geboren, jetzt zuhause in Südkorea: Schriftsteller Hwang Sok-yongBild: dpa

DW-WORLD: Herr Hwang, das Treffen in Pjöngjang, an dem Sie bis gestern (26.7.05) teilgenommen haben, ist eigentlich eine Sensation: Bis vor kurzem waren solche Kontakte nicht erwünscht, auch von südkoreanischer Seite nicht. Sie selbst saßen sogar für fünf Jahre in Seoul in Haft, weil Sie Nordkorea besucht hatten. Wie war es für Sie, nun wieder dort zu sein?

Hwang Sok-yong: Das war für mich natürlich ein großer Moment. Nicht nur, weil ich vor zehn Jahren zu einem solchen Treffen gar nicht hätte reisen können. Es wäre auch völlig unvorstellbar gewesen, mit einer deutschen Journalistin, so wie jetzt, ganz frei über Nord- und Südkorea zu sprechen! Da hat die südkoreanische Entspannungspolitik, der beginnende Dialog mit Nordkorea seit 1998, eine Menge verändert - auch in meinem eigenen Land. Allmählich fangen wir an, unsere überzogene Angst vor Spionage und Verrat abzulegen.

Welchen Eindruck haben Sie von Nordkorea gewonnen?

Dort hat das beginnende Tauwetter die Behörden zunehmend nervös gemacht. Man hat das schon an den Gesichtern gesehen: Die offiziellen Kontrolleure, die bei unserem Treffen vor Ort waren, wirkten alle sehr angespannt. Das war manchmal schon bedrückend.

Konnten Sie mit Ihren nordkoreanischen Kollegen überhaupt unbewacht reden?

Kaum. Südkoreanische Freunde von mir, die das erste Mal in Nordkorea waren, waren deshalb auch sehr enttäuscht. Ich hatte das von Anfang an realistischer gesehen und gesagt: Es ist wichtig, die Leute überhaupt kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen, sich vielleicht anzufreunden. Denn offen über politische Fragen zu debattieren, das geht natürlich nicht, wenn man unter Beobachtung steht. Trotzdem: Mit ein paar nordkoreanischen Kollegen konnte ich dann doch hinter dem Rücken der Bewacher mal ein paar Sätze im Flüsterton wechseln.

Die Literatur, die im kommunistischen Norden entsteht, ist ja eigentlich Kunst im Dienst des Staates, öffentlich gefördert und ständig kontrolliert. Kann man da überhaupt von Literatur sprechen?

Das ist so eine Sache. Wenn man sagt, Kunst hat mit absoluter Freiheit des Ausdrucks zu tun, dann ist das, was in Nordkorea geschrieben wird, natürlich keine Kunst. Aber ich versuche einfach zu akzeptieren, dass es da zwei völlig unterschiedliche Wertesysteme gibt und damit auch zwei unterschiedliche Begriffe von Literatur. Außerdem: Es gibt durchaus nordkoreanische Schriftsteller, die Neues probieren wollen. Und die wollen wir ermutigen.

Wie soll das geschehen?

Wir haben auf dem Treffen eine neue Organisation gegründet, einen gemeinsamen koreanischen Schriftstellerverband. Der soll auch eine Zeitschrift herausgeben - "Literatur für die Einheit" haben wir sie genannt. Darin werden sowohl Texte von nord- als auch von südkoreanischen Autoren erscheinen. Auf diese Weise wollen wir ein Podium schaffen, auf dem man, auch literarisch, aufeinander zugehen kann.

Ist das auch als Schutz für wagemutige nordkoreanische Autoren gedacht?

Durchaus. Sie bleiben dann nicht länger namenlos.

Und die Gefahr, dass das nordkoreanische Regime die Kooperation dafür nutzen könnte, sich einen Anschein von Legitimität zu geben - diese Gefahr sehen Sie nicht?

Ich denke, man muss sich einfach damit abfinden, dass es im Moment zwei koreanische Staaten gibt. Das ist ja auch die Grundlage der innerkoreanischen Entspannungspolitik: Man will nicht bei jeder Frage gleich über das ganz Grundsätzliche reden, sondern einfach eine friedliche Koexistenz zwischen beiden Systemen erreichen. Und da finde ich es übrigens sehr gefährlich, wenn etwa die USA bei den internationalen Verhandlungen eher auf Konfrontation setzen statt auf Dialog.

Dabei gibt es ja auch in Südkorea selbst genügend Stimmen, die für eine harte Politik plädieren.

Sie dürfen nie vergessen: In Korea hat die Teilung viel tiefere Wunden hinterlassen als in Deutschland. In den Fünfzigern haben hier Norden und Süden jahrelang Krieg gegeneinander geführt. Es gab Kriegsverbrechen und Spionage auf beiden Seiten, viele Familien sind noch immer geteilt. Und es stimmt: Eine nicht zu unterschätzende Minderheit bei uns lehnt selbst humanitäre Hilfe für den Norden ab - Lebensmittellieferungen etwa für die hungernde Bevölkerung. Aus dem Grund, weil ihre Familien im Krieg so viel Unrecht erfahren haben. Deswegen war unser Schriftstellertreffen nicht nur wichtig, um unsere Kollegen im Norden zu unterstützen. Wir wollten auch ein Signal ins eigene Land aussenden: Lasst uns endlich aufhören mit dem Aufrechnen.

Welche Rolle kann Literatur in diesem Versöhnungsprozess spielen - ist sie Therapeut, Gedächtnis, Friedensstifter?

Von allem etwas, glaube ich. Das ist ja so in Gesellschaften, wo es keinen wirklich offenen Dialog gibt - und den gab es ja unter der Militärregierung, die hier in Südkorea bis in die Neunziger Jahre hinein an der Macht war, ebensowenig: Die Literatur hat da einen viel höheren Stellenwert, weil man in Romanen, Erzählungen, Gedichten über Themen sprechen kann, die sonst tabu sind.

Auch im Dialog zwischen Nord- und Südkorea?

Da habe ich mich schon oft gefragt: Sprechen wir eigentlich nach all den Jahren der Teilung überhaupt noch eine gemeinsame Sprache? Eine Antwort darauf habe ich nicht - aber ich denke, wir müssen daran arbeiten, wieder eine gemeinsame Sprache zu finden. Und da haben wir jetzt mit unserem Treffen einen ersten Schritt gemacht.

1989, als die Mauer zwischen West- und Ostdeutschland fiel, waren Sie in Berlin. Wie könnte in Ihrer Heimat Korea eine Wiederannäherung der beiden Staaten aussehen?

Deutschland hatte 1989 ganz andere wirtschaftliche Kapazitäten als wir heute und auch eine viel größere politische Toleranz. Ich glaube, wir bräuchten eine weitaus längere Übergangszeit, in der sich die beiden Systeme langsam einander annähern. Das wird mindestens eine Generation dauern und damit wahrscheinlich zu lange, als dass ich das mit meinen 62 Jahren noch erleben werde. Aber ich denke: Wenn sich Korea je wiedervereinigen wird, dann wird es ein Prozess werden, den es so international noch nicht gegeben hat.